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Kolumne „Kreative Zerstörung“Das Internet – die Müllhalde unseres Kommunikationsabfalls

Im Internet konsumieren und produzieren wir. Doch was, wenn sich die Prozesse verselbstständigen? Miriam Meckel befürchtet: Wir verlieren das Internet als öffentliches Gut. 13.02.2024 - 20:12 Uhr
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

Es war noch nie so voll im Internet wie heute, und doch wirken viele Ecken des weltweiten Netzes so unglaublich leer. So als würde man durch einen mit Menschen vollgestopften Supermarkt spazieren und sich doch völlig allein fühlen.

Das Gefühl kann entstehen, wenn einem in diesem Supermarkt Werbeflächen, Lautsprecher und blinkende Anzeigen nur Hunderte von Werbevariationen entgegenbrüllen. Das ist dann keine Information, schon gar keine Kommunikation. Es ist schlicht ein Albtraum.

So entwickelt sich gerade das Internet. Fast für jedes Land dieser Welt gibt es auf Amazon Reiseführer zu erwerben, die von KI geschrieben wurden. Die vermeintlichen Autoren existieren nicht. Auch ihre Konterfeis hat KI erschaffen.

Tausende von Websites bieten „Informationen“, die keiner braucht. Sie sind nichts anderes als Clickbait-Plattformen für geschäftstüchtige Techies, die Generalunternehmer unserer kulturellen Degeneration. Vorsicht, wenn es da beispielsweise um Ratschläge fürs richtige Pilzesammeln geht. Wer wegen fehlerhafter Informationen den grünen Knollenblätterpilz verspeist, wird seines Lebens nicht mehr froh.

Das Internet wandelt sich: Von der großen Hoffnung einer demokratisierten Kommunikation, eines gesellschaftlichen Gesprächs und kreativer Geschäftsmodelle, die neue Formen des Crowdsourcing und -fundings möglich machen, jenseits ökonomischer Monopolstrukturen, wird es zu einer Müllhalde von KI-generiertem Content, einem Werbestrudel, in dem jeder wahre Beachtungs- und Verständigungsmoment sogleich aufgesogen wird.

Die Zeit der „Prosumer“ ist vorbei

ChatGPT und Co. setzen nämlich eine Entwicklung fort, die vor vielen Jahren mit dem Internet begonnen hat: die „Remix Culture“. Sie beschreibt, wie es im Web zur Gewohnheit geworden ist, dass Informationen und Inhalte kopiert, manipuliert und weiterverarbeitet werden.

Der Harvard-Jurist Lawrence Lessig unterscheidet in seinem Buch „Remix“ zwei Kulturen. Da ist die „Read only“-Kultur, die das analoge Medienzeitalter bestimmt hat. Informationen wurden professionell geschaffen, produziert und verbreitet, aber die Mehrheit der Menschen konnte sie lediglich passiv konsumieren.

Das Internet und das digitale Zeitalter haben uns die „Read/Write“-Kultur gebracht. In ihr stehen Produzent*innen und Konsument*innen von Inhalten in einem wechselseitig dynamischen Verhältnis zueinander. Einmal geschaffene Inhalte werden von den Nutzer*innen weiterverarbeitet, die damit wiederum zu Produzent*innen werden – neudeutsch „Prosumer“. Das war übrigens ein echter zivilisatorischer Fortschritt.

Kommunikation soll Ausdruck von Demokratie sein, nicht aber allein das Geschäftsmodell der Lautesten.
Miriam Meckel
Kommunikationswissenschaftlerin

Medien verloren zum Teil ihre Schleusenwärterfunktion, Menschen, die sonst nie Zugang zur Öffentlichkeit gehabt hätten, bekamen die Chance, sich mit Reichweite zu äußern. Nicht immer ist das Ergebnis gut oder wünschenswert, aber die Möglichkeit entspricht dem, was wir von unserer Gesellschaft erwarten. Ihre Kommunikation soll Ausdruck von Demokratie sein, nicht aber allein das Geschäftsmodell der Lautesten.

Mit der generativen KI treten wir ein in ein drittes kulturelles Zeitalter: die „Write/Write“-Kultur. In der schreibt das Internet sich selbst fort, immer mehr ohne Zutun von Menschen. Denn genau das kann KI hervorragend: die Inhalte im Internet nutzen, um daraus einen nie mehr endenden Strom von Remixes zu machen.

Im Moment greifen Menschen noch in diesen Prozess ein, aber er kann auch ohne unser Zutun weitergehen. Und da ChatGPT, Gemini und Co. auch Code schreiben können, ist sogar eine Zukunft vorstellbar, in der das Internet sich kontinuierlich reprogrammiert, ohne dass wir noch wissen und nachvollziehen können, was da gerade passiert

Wir werden derzeit Zeug*innen einer Tragik der Allmende auf Steroiden. Das Konzept von Garrett Hardin (1968) beschreibt, was geschieht, wenn eine Ressource allen Menschen unbegrenzt zur Verfügung steht, und jeder versucht, so viel Vorteil daraus zu ziehen wie eben möglich.

Wenn fünf Bauern sich mit ihren Kühen eine Wiese zum Grasen teilen, und jede Kuh frisst ununterbrochen, dann ist die Wiese bald weg. Harding hat übrigens in seinem Beitrag explizit darauf hingewiesen, dass sich diese tragische Entwicklung nicht allein über Technologie lösen lässt. Vielmehr bedarf es einer gemeinschaftlichen Anstrengung, das Ganze für alle zu retten. Wer macht das für das Internet?

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Das Internet geht nicht weg, aber sein Wesen verwandelt sich so, dass von einem öffentlichen Gut irgendwann keine Rede mehr sein kann. Es wird zur Müllhalde des kommerziellen Kommunikationsabfalls unserer Weltgesellschaft.

Der kanadische Schriftsteller Cory Doctorow hat dafür einen herrlichen Begriff geprägt: „Enshittification“ – zu Deutsch, Verzeihung – die Zuscheißung des Internets. Kein schönes Wort. Aber gemessen an dem, was man täglich auf X, einst Twitter, sowie Tiktok, Reddit und überall im Internet lesen kann, wird man das ja mal so sagen dürfen.

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