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Kolumne „Kreative Zerstörung“OpenAI – „Klau dir, was du brauchst!“

OpenAI hat sich nun Zugang zu Youtube-Videos geschafft. Diese Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Das ist kein Fortschritt, sondern ein großer Schritt zurück, meint Miriam Meckel. 23.04.2024 - 17:44 Uhr
Die Autorin ist deutsche Publizistin und Unternehmerin. Sie ist Mitgründerin und CEO der ada Learning GmbH. Außerdem lehrt sie als Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Foto: Klawe Rzeczy

Gesichtszüge können entgleisen. Und so geschah es der CTO von OpenAI in einem Videointerview mit dem „Wall Street Journal“. Mira Murati sah aus, als müsse sie angesichts von Godzilla in ein verschimmeltes Wurstbrötchen beißen.

Der Ausdruck, eine Mischung aus Angst, Ekel und Unglauben, wurde sogleich zu einem „Meme“ und verbreitete sich über das Internet. Er ist mehr als ein Meme. Mira Murati ist vor laufender Kamera beim Klauen erwischt worden, und dieser Augenblick stürzte sie in ein Gefühlswechselbad zwischen Abwehr, Angst und Entrüstung.

Klauen. Genau das hat OpenAI getan. Ebenso wie viele andere Tech-Firmen, die große Sprachmodelle entwickelt haben. Zum Training braucht man Milliarden von Daten. Die gibt es im Internet, aber viele davon sind urheberrechtlich geschützt.

Das hat OpenAI, Google und Meta nicht gestört, wie eine Recherche der „New York Times“ zeigt. Sie haben sich willentlich und wissentlich über alles hinweggesetzt, was es an Regeln gibt, um die Urheberschaft und das geistige Eigentum an Ideen, Texten, Bildern, Videos oder Kunst zu schützen.

Weil der Text im Internet zwar unfassbar reichhaltig, aber doch irgendwann zu Ende ist, hat OpenAI unter Leitung von Präsident Greg Brockman eine Spracherkennungstechnologie namens „Whisper“ entwickelt, mit der sich die Tonspur von Youtube-Videos in Text verwandeln lässt. Der lässt sich dann wieder an die Sprachmodelle verfüttern, damit sie weiter lernen können.

Wie OpenAI Youtube-Inhalte nutzt

Der Name ist Programm. Was hier geschieht, sollte man lieber nicht mal flüstern. Es ist der größte Bruch der Copyright-Gesetze der Digitalzeit. Und womöglich ist es der Beginn einer Krise in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.

Für die trägt nicht nur OpenAI Verantwortung. Google hat kürzlich seine Nutzungsbedingungen angepasst, um es möglich zu machen, die Daten aus öffentlich verfügbaren Google-Docs und Restaurantbewertungen auf Google Maps der KI einzuspeisen.

Und warum beschwerte sich niemand bei Google über die diebischen Tendenzen von OpenAI? Weil der Mutterkonzern von Youtube sich selbst an den Videos bediente – und damit womöglich weitreichend gegen das Copyright der Creator verstieß.

Meta erwog, gleich den Verlag Simon & Schuster zu kaufen, der unter anderem JK Rowling verlegt, um alle dort verfügbaren Daten zu Trainingszwecken für die eigenen KI-Modelle zu nutzen. Was Meta von der Idee wieder abgebracht hat? Es hätte zu lange gedauert, mit allen Beteiligten auf dem üblichen Rechts- und Vertragsweg die Lizenzverträge für die Datennutzung auszuhandeln. Also griffen sie einfach mal so zu.

Ist KI ohne Regeln eine Option?

Um das mal ins Leben von Normalsterblichen zu übertragen: Ich gehe einfach in einen Laden und klaue mir alles zusammen, was ich brauche, um beruflich erfolgreich zu sein. Mich an der Kasse anzustellen hätte wirklich zu lange gedauert. Meine Karriere eilt und geht schließlich vor.

Und jetzt höre ich schon den immer wiederkehrenden Murmeltier-Einwand derjenigen, die überzeugt sind, am besten gedeihe Innovation im regulierungsfreien Raum. Ist da nicht was dran?

Hätte Jesus etwa den Bäcker konsultieren sollen, bevor er das Brot brach, oder den Winzer, bevor er den Wein an die Jünger ausschenkte? Wer kann so spießig denken in einem Moment, in dem die Nächstenliebe in die Welt kam? Hätte Thomas Edison die Tiere fragen sollen, ob sie weiter gemütlich im Dunkeln schlafen wollen, bevor er die Glühlampe erfand? Der wahre Fortschritt muss sich seinen Weg bahnen, ungeachtet der kleinteiligen Einwände.

Es lässt sich auch andersherum betrachten. Künstliche Intelligenz hat die Kraft, unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf eine neue Zivilisationsstufe zu heben. Sie kann Menschen produktiver und Arbeit lebens- und lohnenswerter machen. Sie erlaubt völlig neue Formen der Kreativität, der Mensch-Maschine-Kollaboration. Soll sich all das entfalten können, braucht es ein paar Regeln, die absichern, dass der Mensch ein Teil der Gleichung bleibt.

Die Tech-Konzerne wollen ihn gerne rausrechnen, weil es für sie so einfacher und lukrativer ist. Und weil sich in der Szene des Tech-Akzelerationismus – größer, höher, weiter, und das so schnell wie möglich – inzwischen eine Variante der Überheblichkeit breitmacht, die einen schwindelig werden lässt.

Dabei gäbe es zahlreiche Lösungsmodelle. In Deutschland haben wir die GEMA für die Verwaltung der Musik und die VG Wort für die der Wortrechte, in den USA gibt es das US Copyright Office. Vorbildlich wäre eine Bemühung, das zentrale Problem der Datennutzung zu Trainingszwecken für Sprachmodelle analog zu lösen: durch so etwas wie die IPAI, die „Institution for the Protection of Copyright in AI“.

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Denn hier geht es um viel. Wer willentlich und wissentlich Gesetze bricht, ja sogar ausdrücklich gegen die eigenen Unternehmensprinzipien verstößt, dabei Urheberschaft ignoriert und nicht mal zu einer Aushandlung bereit ist, unter welchen langfristig tragfähigen Bedingungen man das möglich machen kann, der setzt die neue Zeit aufs Spiel. Eine auf Diebstahl aufgesetzte Gesellschaft ist kein Fortschritt, sie ist ein Rückschritt in die Steinzeit.

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