Kolumne zum Newsletter Shift: Wann stellen Sie die Vertrauensfrage?

Düsseldorf. Hatten Sie auch eher geringe Erwartungen an den Montag dieser Woche? Keine Sorge, ich will Sie nicht runterziehen. Ich möchte eine Idee mit Ihnen teilen, die mir trotz aller Polarisierung in unserer Gesellschaft Zuversicht gibt. Ihnen ja vielleicht auch?
Der Bundestag stimmte am Montag zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers ab, die Olaf Scholz dem Parlament in der Woche davor gestellt hatte. Das Ziel: Neuwahlen im Februar.
Nicht erst seit dem tatsächlichen Bruch der Ampel-Koalition sind wir mitten im Wahlkampf. Raue Töne, oberflächliche Argumente, unfreundliche Angriffe – das erwarte ich in den kommenden Wochen.
Zugleich gibt es immer wieder Menschen, die am ernsthaften und zivilisierten Austausch von Argumenten interessiert sind. Die sich neuen Denkweisen öffnen und die Zukunft mitgestalten wollen. Die sich gegenseitig zuhören und die ihre eigene Perspektive hinterfragen, wenn sie andere Sichtweisen kennenlernen. Das finde ich großartig! Das ist für mich ein best case der freiheitlichen Gesellschaft und der gelebten Demokratie.
An was denke ich da exemplarisch? In sogenannten Unterhausdebatten laden die drei „Zukunftsreporter“ Carina Frey, Rainer Kurlemann und Alexander Mäder seit 2019 regelmäßig Menschen zu Dialogen über Zukunftsthemen ein, in Kooperation mit Stiftungen, Hochschulen oder Stadtbibliotheken. Sie stoßen damit Denkprozesse über Zukunftsfragen an.
Die drei gehören der Reporter-Genossenschaft Riffreporter an. Sie sind der Ansicht, dass Journalismus heute mehr denn je ein Dialog mit dem Publikum sein sollte. Sie wollen daher Menschen jeglicher Couleur zusammenbringen und letztlich Grundsätzliches klären: In welche Richtung wollen wir uns als Gesellschaft entwickeln?
Ihre Debatten beginnen sie mit einer einfachen Eingangsfrage wie „Fahren Sie gern Auto?“. Dann bitten sie die Anwesenden, sich für eine von zwei Seiten im Raum zu entscheiden – je nachdem, wie jeder und jede die Frage für sich beantwortet.
Die Debattenleiter gehen anschließend mit Mikrofonen durch die Reihen und fragen auf der Ja-Seite beispielsweise nach: Warum fahren Sie gern? Und gilt das auch für die Fahrten zur Arbeit? Diejenigen auf der anderen Seite bekommen Fragen wie: Auch wenn Sie nicht gern fahren, müssen Sie es trotzdem? Gibt es für Sie Alternativen?

„Und so kommt man dann in das Thema rein und kann am Ende kompliziertere Fragen stellen, etwa ob Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer tatsächlich gleichberechtigt in der Stadt sind, ob das Verhältnis ausgewogen ist – bis hin zu: Können Sie sich eine autofreie Stadt vorstellen?“, sagte mir Alexander Mäder im Gespräch.
Nun überlegen Sie mal, wie hitzig der FDP-Vorstoß zum Flatrate-Parken in Innenstädten im Sommer diskutiert wurde. Na?
Das sagt dagegen Mäder, der Professor für digitalen Nachrichtenjournalismus an der Hochschule der Medien in Stuttgart ist und als freier Wissenschaftsjournalist arbeitet. „Obwohl es so konfrontativ aussieht, weil man sich auf eine Seite setzen muss und nicht in die Mitte darf, ist es doch keine Lagerbildung, weil man seine Seite für sich definieren kann – und das bei der nächsten Frage schon wieder anders.“
Denn bei jeder neuen Frage dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Seite wechseln, sich also umsetzen.
Wie schön wäre es, wenn der Austausch von Argumenten auch in Talkshows oder anderen politischen Debatten so reflektiert stattfände? Ähnliche Formate, die Menschen miteinander ins Gespräch bringen, bieten sich dafür natürlich auch an. Das 2017 von Zeit Online initiierte Projekt Deutschland spricht zum Beispiel will kurz vor der Wahl im Februar wieder tausendfach den Austausch konträrer Argumente in Vier-Augen-Gesprächen anstoßen.
Es könnte so viel im positiven Sinne in Bewegung geraten, wenn wir mehr aufeinander zugehen würden und mehr Komplexität in unseren Diskussionen zulassen würden, glaube ich. Auch der nun intensiven Phase im Bundestagswahlkampf würde das sicher gut tun.

Alexander Mäder hat übrigens noch zwei Frage angesprochen, die er, sein Mitstreiter und seine Mitstreiterin sich immer wieder stellen: Berichten wir in den Medien über die Themen, die Sie, liebe Leserin, lieber Leser, tatsächlich beschäftigen? Haben wir wirklich immer alle relevanten Perspektiven im Blick?





Ich bin gespannt auf Ihr Feedback! Schreiben Sie uns an newsletter@handelsblatt.com. Und machen Sie uns gern auch auf Ideen und Projekte aufmerksam, die Sie spannend finden, weil sie Deutschland voranbringen könnten – und über die Sie gern in unserem Newsletter lesen würden.
Dieser Text ist Teil unseres Handelsblatt-Newsletters Shift. Kennen Sie schon die anderen Handelsblatt-Newsletter? Eine Übersicht finden Sie hier.









