Newsletter Shift: Lässt sich so die Bürokratie bezwingen?

Wie schön wäre es, wenn Bürokratie Investitionen nicht bremste? Wenn sich Unternehmen vorrangig mit ihrem Business beschäftigen könnten – anstatt umfassende Nachweispflichten zu erfüllen oder langwierige Genehmigungsverfahren abzuwarten? Oder wenn Kläger beispielsweise im Dieselskandal zügig an Entschädigungen kämen?
In dieser Ausgabe von Handelsblatt Shift möchte ich Ihnen ein Start-up vorstellen, das solche bürokratischen – und vor allem juristischen – Prozesse verschlanken oder ihnen zumindest einen Turbo verpassen will: Die in Berlin ansässige Rulemapping Group hat sich vorgenommen, dem Staat in Sachen Digitalisierung zu helfen.
Wie soll das gelingen? Indem Gesetze in ein computerlesbares Format gebracht, als sogenannte Rulemap visualisiert und mit Künstlicher Intelligenz (KI) verknüpft werden. Die KI geht dann wie bei einer juristischen Fallprüfung vor. Sie schreitet Entscheidungswege ab nach dem Prinzip: „Wenn A, dann B; wenn B, dann...“. Der Mensch, der am Ende die Entscheidung verantworten muss, kann quasi unter die Haube gucken und nachsehen, wie die KI zu ihrem Vorschlag gekommen ist.
„Wir haben die gesetzlichen Grundlagen in maschinenlesbarer Form vorliegen und können jetzt der KI tausend kleine Fragen – und zwar in der richtigen Reihenfolge – stellen und am Schluss ein juristisch korrektes Ergebnis erzielen“, erläutert Till Behnke, einer der sechs Rulemapping-Gründer. Halluzinationen, wie sie sonst bei wahrscheinlichkeitsbasierten Sprachmodellen vorkommen, seien durch die exakt vorgegebenen Regeln ausgeschlossen.
„Wenn wir nicht funktionierende Bürokratie um uns herum haben, dann wird es nicht nur an einzelnen Stellen frustrierend“, sagt Behnke. Sondern es gefährde auch die Demokratie. Denn diejenigen, die ganz einfache Antworten haben, könnten dann immer sagen, hier funktioniere ja „nichts“.
Bürokratie durch Digitalisierung beschleunigen
Behnke hat gemeinwohlorientierte Plattformen wie betterplace.org und nebenan.de mitgegründet und ist nun gemeinsam mit früheren Co-Gründern bei Rulemapping an Bord. „Wir haben uns gefragt: Wie können wir helfen, dass der Staat mit seinen Prozessen von Gesetzgebung bis zur Verfahrensdigitalisierung vorankommt, dass alles wieder ein bisschen Fahrt aufnimmt, was sich im Moment nach Stillstand anfühlt?“, erzählt er.
Behnkes Lieblingsbeispiel: Genehmigungsverfahren für neue Windräder dauerten an die sieben Jahre, sieben Fachbehörden auf verschiedenen staatlichen Ebenen wirkten daran mit. „Und keiner weiß, wo die Akte ist. Und jede Fachbehörde benutzt eine andere Software.“

Die beschleunigte Antwort auf die Frage, ob eine Baugenehmigung erteilt werden darf, ist Behnke zufolge nur eine logische Zusammensetzung der vielen kleinen Fragen, die man vorher mit dem Rulemapping-System beantwortet hat. „Durch dieses regelbasierte System leiten wir die KI durch“, erläutert er.
Erste Behörden in Bayern und Schleswig-Holstein sowie Kanzleien und Unternehmen arbeiten schon eine Weile mit den Modulen des Start-ups. Diese sind anders als bisherige Systeme nicht individuell programmiert, sondern beruhen auf einer sogenannten No-Code-Plattform, in die sich (Gesetzes-)Änderungen leicht per Drag & Drop einpflegen lassen. Weil die Bundesagentur für Sprunginnovation in der Rulemapping-Methode einen nachhaltigen volkswirtschaftlichen Nutzen sieht, hat sie deren Weiterentwicklung gefördert.
Warum nicht mal die Maschine machen lassen?
Ist das die Zukunft? Mich zumindest macht es zuversichtlich, dass sich der Staat solche Ideen näher anschaut, sie selbst beispielsweise in Form von Richterassistenzprogrammen ausprobiert – und sie auch fördert.
Natürlich lässt sich darüber streiten, ob Maschinen überhaupt Entscheidungsvorschläge machen sollten. Ich finde: Warum nicht? Warum sollten wir uns all das, was sich automatisieren lässt und zu detailliert nachprüfbaren Ergebnissen führt, nicht von einer Maschine abnehmen lassen?


Dieser Text ist am 9. Dezember 2024 zuerst im Newsletter Handelsblatt Shift erschienen.






