Newsletter Shift: Wann sich Drohnen etwas Positives abgewinnen lässt

Ich musste neulich fast etwas schmunzeln, als ich einen Text unseres Japan-Korrespondenten Martin Kölling las. Aber nur fast – denn das Thema ist ernst: Es geht um tödliche Bärenattacken auf der japanischen Hauptinsel Honshu, die nun auch mit Drohnen eingedämmt werden sollen. Die unbemannten Flugobjekte verjagen die Raubtiere dort mit Hundegebell und Feuerwerkskrach, wenn sie sich in bewohnte Gebiete vorwagen.
Abgesehen von der dramatischen Situation und der irgendwie unfreiwilligen Komik durch quasi-himmlisches Gebell: Ich halte den Artikel auch deshalb für bemerkenswert, weil es darin um den Einsatz von Drohnen außerhalb eines Kriegsgebiets geht.
Militärisch genutzte Drohnen dominieren die aktuelle Berichterstattung. Von einer Drohnen-Revolution ist gar die Rede, sodass ich mit dem Wort „Drohne“ derzeit vor allem Todbringendes, mindestens aber Negatives assoziiere – insbesondere nervige Nachbarn, die ihr Spielzeug-Fluggerät minutenlang über meinem Garten surren lassen, ohne auf die Privatsphäre zu achten.
Es gibt aber durchaus nützliche Ideen für zivile Einsätze kommerzieller Drohnen. So versucht Amazon schon seit Längerem, mit Prime Air Pakete per Drohne zustellen zu lassen. Der US-Handelskonzern Walmart scheint dabei schneller und besser voranzukommen.
Optimistische Umsatzprognose für deutschen Drohnenmarkt
Im chinesischen Shenzhen kommt die Essenslieferung mit der Drohne. Das südhessische Start-up Wingcopter, das zunächst Medikamente per Drohne in entlegene Gebiete liefern wollte, setzt heute vor allem darauf, Pipelines oder Schienen selbst in schwer zugänglichen Regionen exakt aus der Luft zu vermessen.
Das Wachstumspotenzial in der Branche ist groß: Die EU-Kommission erwartet laut dem Verband für unbemannte Luftfahrt (UAV DACH) bis zum Jahr 2030 einen Marktumfang von etwa 14,5 Milliarden Euro, wenn die europäische Drohnenstrategie konsequent umgesetzt wird. Für den deutschen Drohnenmarkt, der 2022 ein Volumen von 955 Millionen Euro hatte, wobei der größte Teil davon kommerziell war, rechnen die Experten bis 2030 mit nahezu einer Verdopplung auf mehr als 1,7 Milliarden Euro.
Über diese Zahlen und die Entwicklung dieser innovativen Branche habe ich mit dem UAV-DACH-Vorstandsvorsitzenden Gerald Wissel gesprochen. Sie lesen unser Interview mit ihm über den zivilen Einsatz von Drohnen direkt im Anschluss in der Rubrik „In Conversation“.
Lesen Sie hier das Interview:
Herr Wissel, wir hören und sprechen derzeit viel über den militärischen Einsatz von Drohnen – und über deren Abwehr. Sind Drohnen in Verruf geraten?
In den vergangenen Jahren haben Drohnen in der Öffentlichkeit immer wieder zwiespältige Gefühle hervorgerufen. Früher gab es Vorbehalte wegen ihrer militärischen Nutzung, was sich aber seit dem russischen Angriff auf die Ukraine auch ein Stück weit geändert hat. Illegale Drohnenflüge rund um Flughäfen sorgen natürlich für negative Schlagzeilen, und es besteht auch weiterhin vielfach die allgemeine, wenig konkrete Sorge, mit einer Drohne ausgespäht werden zu können. Gleichzeitig erleben wir, dass zunehmend auch die vielen positiven Dinge gesehen werden, die mit kommerziell betriebenen Drohnen möglich sind: von der nachhaltigen Landwirtschaft über medizinische Transporte bis zu Versorgungsmissionen in Offshore-Windparks
Lassen Sie uns über die Potenziale kommerzieller ziviler Drohnen sprechen: Wo werden die heute schon häufig genutzt?
Viel und auch zunehmend mehr eingesetzt werden Drohnen zum Beispiel für die Rehkitzrettung auf Feldern. Rehkitze haben einen natürlichen Schutzmechanismus: Sie laufen nicht weg, geben keinen Laut von sich und riechen nicht, wenn die Mutter sie allein zurücklässt. Hunde können sie daher nicht aufspüren. Wenn dann aber ein Mähdrescher kommt … Deswegen fliegen wir mit Drohnen über die Felder, finden die Rehkitze mit Infrarot und können sie dann in eine Box packen und wegtragen.
Unternehmen wie Wingcopter bauen Drohnen für Vermessungszwecke. Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es noch?
In der Vermessung, bei Gasleitungen oder bei Dachinspektionen setzen Handwerksbetriebe heute schon Drohnen regelmäßig ein. Und im Katastrophenschutz kommen Fotodrohnen zunehmend zum Einsatz. Die Feuerwehr beispielsweise kann sich erst mal ein Lagebild machen oder gucken, ob es noch irgendwo Brandherde gibt. Überall da, wo man früher Menschen reingeschickt oder zum Teil mit Helikoptern gearbeitet hat, funktioniert es mit der Drohne wesentlich besser, weil Sie damit leichter in Gebäude oder unwegsames Gelände kommen.

Bei „Lagebild“ denke ich sofort an Überwachung und Kontrolle, etwa bei Demonstrationen.
Ja, natürlich sind das Themen, zum Beispiel bei der Bundespolizei. Aber man kann Drohnen auch nutzen, um bestimmte Gebiete oder Grundstücke zu schützen. Das ist im Grunde nichts anderes als ein Wachschutz, nur dass keine Menschen patrouillieren, sondern Drohnen. Dadurch können Sie auch die statischen Kameras an Geländen und Gebäuden ersetzen, übrigens zum Teil auch an den Flughäfen. Und durch den Einsatz von KI können Sie auch erkennen, ob da jemand eine böse Absicht hat oder ob derjenige einfach nur neugierig ist.
Wie viel klimaschädliche Emissionen ließen sich einsparen, wenn überall dort, wo es praktikabel ist, Drohnen zum Einsatz kämen anstatt wie bislang Helikopter?
Wenn Sie das jetzt in Europa ausrollen, dann können Sie ungefähr 180 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent einsparen, etwa wenn Sie Methangaslecks detektieren oder Oberleitungen, Offshore-Windanlagen oder Photovoltaik-Anlagen inspizieren wollen. Die gesamte Luftfahrt in Europa hat ungefähr 200 Millionen Tonnen CO2. Das heißt also, gerade im Bereich der Energiewende sind Drohnen durchaus sinnvoll, weil wir da eben große Flächen haben. Hinzu kommt: Drohnen sind immer günstiger als Hubschrauber-Einsätze und können etwa in bewaldetem Gebiet besser, weil tiefer, navigieren.
Sie haben in einem anderen Interview einmal erwähnt, dass Drohnen auch die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn massiv erhöhen könnten. Wie das?
Nehmen Sie das Thema Personen im Gleis: Heute müssen deswegen Leute ausrücken, hinfahren und nachsehen, ob noch Menschen auf der Trasse sind, bevor die Bahn die Strecke wieder freigeben kann. Da fällt es leicht, sich vorzustellen, dass die Einsatzleitung eine Drohne sehr schnell irgendwo hinfliegen und nachschauen kann – und dann über die mit Lautsprecher bestückte Drohne zum Verlassen der Gleise auffordern kann. Die Drohne kann im Grunde dann die Strecke freigeben.
Dürfte die Bahn das jetzt schon? Ist das rechtlich möglich, weil das Gleis das Gelände der Bahn ist?
Nein, das darf die Bahn in der Form noch nicht, aus mehreren Gründen. Abstandsregelungen sind das eine und dass man bestimmte Dinge nicht überfliegen darf. Momentan ist ganz viel verboten. Nur das, was nicht verboten ist, ist für Drohnen erlaubt. Wir als Verband wollen das umdrehen und erreichen, dass erst mal grundsätzlich alles erlaubt ist. Bestimmte Gebiete müssen dabei natürlich verboten bleiben, zum Beispiel Militäreinrichtungen oder bestimmte andere sensible Einrichtungen. Der zweite Grund ist: Wenn es wirklich Nutzen bringen soll, dann müsste die Bahn massiv in Drohnen investieren.

Der Konzern müsste sie auch irgendwo stationieren.
Da sind wir beim Thema Bodeninfrastruktur. Die Bahn müsste auch in Drohnen-Hubs investieren, in denen die Drohnen stationiert sind, automatisch herausfliegen können und so weiter. Und man darf nicht vernachlässigen: Die Drohnen und die Hubs müssen auch gewartet werden. Aber unsere Berechnungen sagen ganz eindeutig, dass der Aufwand, den wir da betreiben, dem Nutzen auf jeden Fall entspricht. Wir wissen ja heute, was jede halbe Stunde Verspätung bei der Deutschen Bahn kostet. Wenn man das gegenrechnet, ist der Einsatz von Drohnen sinnvoll.
Wie wird sich die Branche in Europa in den kommenden Jahren entwickeln?
Es wird eine Konsolidierung geben. Zwar wird es sicherlich ein paar Start-ups geben, die groß werden, einfach weil sie Nischen besetzen und ein klares Geschäftsmodell haben. Ich denke aber auch, dass es eine Entwicklung im Wesentlichen hin zum modularen Aufbau geben wird. Sozusagen Multi-Purpose-Drohnen, die sowohl im zivilen Bereich in der Überwachung eingesetzt werden, in der Inspektion wie auch beispielsweise zur Auslieferung und im militärischen Bereich. Und letzter Punkt, ganz wichtig: Serienfertigung. Wir sind in ganz Europa noch nicht so weit, dass wir wirklich Drohnen in Serie automatisch fertigen können, so, wie wir das aus der Automobilindustrie kennen.






Sondern?
Die Drone-Economy befindet sich in einer rasanten Entwicklungsphase. Ein Teil davon ist es, dass aus Start-ups und Ausgründungen aus dem universitären Umfeld, in denen innovative Technologien entwickelt werden, Schritt für Schritt größere Unternehmen werden, die von der Einzelfertigung auf größere Stückzahlen skalieren müssen. Mit all den Herausforderungen, die das mit sich bringt. Deswegen werden wir in den nächsten Jahren eine Kommerzialisierung, eine weitere Professionalisierung sowie natürlich eine Konsolidierung in diesem volatilen und dynamischen Markt erleben. Umso wichtiger ist es, dass der Staat und wir als Gesellschaft die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Die Chancen, die diese Zukunftsindustrie bietet, sollten wir nicht so verschlafen, wie wir es in Europa bei den Themen Solarenergie und KI getan haben.
Herr Wissel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Dieser Text ist zuerst am 01. Dezember 2025 im Newsletter Handelsblatt Shift erschienen. Den Newsletter können Sie hier abonnieren.





