„Out of the box“: Kein unternehmerisches Bewusstsein durch das Smartphone?

Jonathan Haidt ist Professor für Psychologe. Sein Berufsleben lang erforscht er die Wirkung von Technologie und sozialen Medien auf unser Leben. Vor einigen Tagen habe ich ihn in einer Videokonferenz erlebt. Er wirkte hoffnungslos.
Die negativen Auswirkungen der sozialen Kanäle auf das Wesen des Menschen sind seit Jahren unübersehbar und weithin dokumentiert. Die Selbstmordraten von Teenagern steigen, die Angstzustände und die Depression der Gesellschaft nehmen zu – eine stetig ansteigende Kurve.
Doch um das Jahr 2013 gab es einen unerklärlichen Sprung – alles wurde dramatisch schlimmer. Was war der Auslöser? Die Inhalte, die täglich aggressiver, pornografischer und unkontrollierbarer wurden? Der Sprung ließ sich damit nicht erklären. Amokläufe, Finanzkrise, Naturkatastrophen? Es gab diese auch vorher, ohne dass sie einen derartigen Effekt provoziert hätten.
Haidt erkannte, die Wurzel allen Übels ist das Medium selbst: das Smartphone. 2013 war der Moment, als dieses technische Wunderwerk massenmarktfähig wurde. Marshall Mc Luhans Erkenntnis „the medium is the message“ gilt auch fürs Smartphone und um eine Facette erweitert. The medium is the message and the problem. McLuhan warnte uns schon 1964: „Der Inhalt eines Mediums macht uns blind für dessen Charakter. Er wird übersehen.“
Das Smartphone hat den Charakter eines Drogendealers, es macht süchtig.
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„Stickiness“ ist seine hervorstechendste Eigenschaft wie bei der klebrigen Fliegenfalle. Einmal berührt, kommt man kaum wieder davon los. Es gilt, je interaktiver, desto gefährlicher. Neun Stunden am Tag kleben amerikanische Teenager am Smartphone, sie bekommen im Schnitt 270 Nachrichten – hat Haidt erforscht.
Es bleibt kaum Zeit für das echte Leben. Fernsehen ist da schon fast eine gesundheitsfördernde Maßnahme.
Das Smartphone sollte Darkphone heißen
Es hat eine dunkle Seite. Das Gerät selbst macht krank. Es hat sich zwischen den Menschen und das Leben gedrängt. Dort arbeitet es mit allen Tricks, um Nutzer ins digitale Nichts zu locken. Breitband, Highspeed, Datenvolumen, Flatrate und Pushmails erhöhen die Verweildauer und dienen der künstlichen Ergebnissteigerung. Ein Medium on Steroids.
Damit wendet sich das Gerät aktiv gegen seinen Nutzer. Denn es hält den Menschen davon ab, das Bewusstsein für sich selbst zu formen. Die lebenswichtige Fähigkeit, mit allen Sinnen am Leben teilzunehmen, seinen Platz und Wert in der Welt zu finden.
Der deutsche Psychologe Gerd Gigerenzer hat den Einsatz digitaler Technologie in Schulen untersucht. Klassen, in denen die Lehrkräfte mit Whiteboards und Co. technologisch unterstützt wurden, waren ihren Parallelklassen um sechs Lernmonate voraus.
Klassen, die ihre Schüler mit Tablets oder Smartphones ausstatteten, fielen sechs Monate zurück. Wie es scheint, ist der Mensch dieser smarten Technologie nicht gewachsen.
Das Smartphone verändert den Nutzer.
Zwischen mir und der Mona Lisa, dem Sonnenuntergang oder dem Nachtisch steht immer ein Smartphone. Ich „appe“, also bin ich. Die Reaktionen und Likes der digitalen Welt definieren das innere Ich. Das Spiegelbild wird wichtiger als das wahre Gesicht.
So verliert der Mensch das Gespür für sich, seinen Wert und das Leben selbst. Die Empfehlung von Jonathan Haidt lautet: „Keep the Smartphone away from people.“ Er ahnt, wie wenig erfolgversprechend sein Rat ist, daher seine Hoffnungslosigkeit.
Es braucht nicht viel Fantasie, um diesen Wirkmechanismus auf die Berufswelt zu übertragen. Die Begegnung mit der realen Welt und das persönliche Treffen am Kaffeeautomaten sind selten geworden. Unternehmen lösen sich auf und werden zunehmend digital zusammengehalten. Ich zoome, also bin ich.
Wir beantworten Unmengen an E-Mails und denken, wir hätten viel geschafft. Die Zeit, die wir beruflich in digitalen Kanälen verbringen, wächst Jahr für Jahr. Das Smartphone bekommt mehr Aufmerksamkeit als die Direct-Reports. Das ist unternehmerisch risikoreich. Die menschliche Intuition verkümmert. Das digitale Miteinander löst das Bewusstsein für die Kunden, die Märkte und die eigenen Mitarbeitenden auf.
Der Schaden ist schon erkennbar. Die Bindung der eigenen Kräfte zum Arbeitgeber löst sich auf, das Bauchgefühl für die alltäglichen Entscheidungen schwindet, und das innere Wertebild, das ein Unternehmen zusammenhält, lässt messbar nach.
Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen werden schlechter, der Krankheitsstand nimmt zu, der Zukunftsoptimismus nimmt ab. Wir arbeiten uns an den Inhalten ab, machen regelmäßige Kulturworkshops, doch das geht am Thema vorbei. The medium is the problem.
Der Mensch, das soziale Arbeitstier, ist vernetzt wie nie zuvor und doch von der wahren Welt abgeschnitten.



Helfen wir dem unternehmerischen „Bewusstsein“ auf die Sprünge.
Schützen wir uns, die Mitarbeitenden und das Unternehmen, indem wir der realen Begegnung wieder mehr Raum geben. Schalten wir die digitalen Medien eine Zeitlang aus. Das macht die Arbeit menschlicher. Selbst wenn wir dazu eine halbe Stunde ins Büro fahren müssen.







