Prüfers Kolumne: Die Idee der Bequemlichkeit ist tief in die deutsche Kultur eingegraben

Ich habe gelesen, dass Birkenstock damit gescheitert ist, die eigene Sandale beim Bundesgerichtshof als Kunstwerk schützen zu lassen. Damit wäre der Schuh mit der Korksohle, der einst von Karl Birkenstock entworfen worden war, unter den Urheberrechtsschutz gefallen. Man hätte also Nachahmer viel einfacher verklagen können. Der BGH aber wies die Klage von Birkenstock ab und erkannte in dem Schuh lediglich handwerkliches Schaffen, aber keine Individualität.
Dabei hat Birkenstock doch individueller geschaffen als irgendein anderer Schuhmacher sonst. Er hat etwa die Idee des Fußbetts geprägt. Was für ein schöner Gedanke, dass man einen Fuß zu Bett bringt, anstatt ihn in einen Schuh zu schnüren.
Wenn man einmal bedenkt, dass andere Nationen mit Schuhkultur – etwa die Italiener oder die Franzosen – die Menschen in enge Budapester oder auf hohe Absätze gestellt haben, dann haben die Deutschen hingegen die Füße einschlafen lassen.
Die Idee der Bequemlichkeit, also dass man vor allem an das eigene körperliche Wohlgefühl denkt, ist tief in die deutsche Kultur eingegraben. Das ist ja fast eine Philosophie: Bevor man sich für andere hübsch macht, macht man es sich erst einmal für sich selbst bequem. Das Wichtige ist die Innerlichkeit, nicht das, worauf man von außen blickt. Während andere Männer sich in Budapester pressten, machten es sich die Deutschen in der Birkenstock-Sandale wohl.
Während andere den Fuß als einen zu vernachlässigenden Körperteil sahen, der nach den jeweiligen Anforderungen gepresst und verschnürt werden konnte – ein Quell ewiger Qual –, lernten die Deutschen, dass man dem Fuß vor allem Gutes tun muss. Und wenn das bedeutet, dass man auf einer klobigen Korksohle steht, in einer bestrumpften Sandale – sei es drum. Heute ist das ein Laufsteg-Look, und Birkenstocks sind ein Hipster-Schuh. Aber Menschen älteren Semesters kennen noch die Zeiten, als diese Schuhe das Markenzeichen von Gymnasiallehrern waren.
Der Sandalenträger will für andere nicht attraktiv sein
Wenn man diese immer etwas müffelnden Menschen früher mit ihren Sandalen über den Flur schlurfen sah – dieser Inbegriff des Kollabierens jeglicher modischen Motivation –, dann wäre es einem unmöglich eingefallen, dass solche Schuhe einmal It-Pieces werden könnten. Birkenstock aber hat im vergangenen Quartal einen weltweiten Umsatz von 362 Millionen gemacht – einfach nur mit Schuhen mit Korksohlen.

Der Sandalenträger: entweder der Inbegriff des Menschen, der es komplett aufgegeben hat, für andere attraktiv erscheinen zu wollen – oder aber einer, der so sehr von sich selbst überzeugt ist, dass er sich für so unwiderstehlich hält, dass selbst eine Tennissocke in einem Gesundheitsschuh dem keinen Abbruch tun kann.
Heute blicken viele pensionierte Lehrer auf die Schuhe ihres Lebens zurück und finden, dass sie ja schon immer topmodisch gekleidet waren. Der Rest der Welt hat eben nur einige Jahrzehnte gebraucht, um es auch zu verstehen. Das allein ist doch schon Konzeptkunst – oder?
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