Kommentar: Beide Parteien in Großbritannien haben Angst vor der eigenen Courage


Sunak versucht Optimismus daraus zu ziehen, dass die Tories bei drei Nachwahlen zumindest einen Sitz verteidigen konnten.
„Die Wahlen (im nächsten Jahr) sind noch nicht gelaufen.“ Mit dieser „Trotz-alledem“-Botschaft versucht der britische Premierminister Rishi Sunak seiner durch zwei bittere Niederlagen gebeutelten Konservativen Partei Mut zu machen.
Dass die Tories die drei Nachwahlen in Großbritannien nicht wie befürchtet mit null zu drei, sondern nur mit eins zu zwei verloren haben, ändert jedoch nichts daran, dass der landesweite Trend weiterhin ein Genosse der Opposition ist. Ohne ein Wunder steuert Großbritannien 2024 nach 13 Jahren konservativer Herrschaft auf einen Regierungswechsel zu.
Sunak ist es zwar nach dem chaotischen Intermezzo seiner Vorgängerin Liz Truss gelungen, das Königreich politisch und wirtschaftlich wieder zu stabilisieren. Gegen die chronischen Leiden Großbritanniens – von der Misere im staatlichen Gesundheitssystem NHS über den desolaten Zustand öffentlicher Leistungen wie zum Beispiel der Wasserversorgung bis hin zu den nach wie vor stark steigenden Lebenshaltungskosten – hat der 43-jährige Regierungschef jedoch bislang kein Rezept gefunden.
Schlimmer noch: Von den fünf Versprechen, die der Premier den Briten Anfang des Jahres als Maßstab für seine Arbeit gemacht hat, sind es vor allem die drei wirtschaftlichen Zielsetzungen, die in weite Ferne gerückt sind: die hohe Inflation zu halbieren, das Land auf einen Wachstumskurs zu steuern und die Verschuldung deutlich zu reduzieren.
Hinzu kommt, dass führende Tories ihren überraschenden Achtungserfolg im ehemaligen Wahlkreis von Boris Johnson jetzt als Argument missbrauchen, um den ohnehin nicht sehr ambitionierten Klimaschutz der Regierung weiter zurückzudrängen. Dass die Pendler im Londoner Stadtteil Uxbridge gegen eine Umweltmaut Sturm laufen, zeigt, dass sich Großbritannien ähnlich wie andere Industrienationen schwertut, Klimaschutz sozial abzusichern.
Labour und die Angst vor alten Vorwürfen
Das Land ist drauf und dran, seine international führende Stellung auf diesem zentralen Politikfeld zu verlieren. Das gilt umso mehr, als auch die oppositionelle Labour-Partei in der Umweltpolitik kalte Füße bekommen hat. So stellt Oppositionsführer Keir Starmer jetzt infrage, ob seine Partei nach einer Regierungsübernahme wie angekündigt jedes Jahr 28 Milliarden Pfund in grüne Technologien investieren würde. Der Grund: Der Labour-Chef hat Angst vor dem alten Vorwurf, seine Partei könne nicht mit Geld umgehen.
Hier geht es jedoch nicht nur um die Frage, ob man sich Klimaschutz leisten kann und will. Die grüne Transformation der britischen Wirtschaft ist sowohl für die regierenden Tories als auch für Labour die einzige ernst zu nehmende Vision, das schwache Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Die Entscheidung des indischen Industriekonzerns Tata, für vier Milliarden Pfund eine neue Batteriefabrik für Elektrofahrzeuge in Großbritannien zu bauen, zeigt, woher die wirtschaftlichen Impulse in Zukunft kommen müssen.

Starmers Labour-Partei zögert mit Plänen dafür, Geld in grüne Technologien zu investieren.
Das Königreich braucht grünes Wachstum, will es seine anderen Probleme lösen. Weder die dringend notwendigen Investitionen in das staatliche Gesundheitssystem NHS, noch der Inflationsausgleich für die streikenden Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder die Infrastrukturmaßnahmen, um die Lebensverhältnisse im ärmeren Norden zu verbessern, lassen sich ohne eine wachsende Wirtschaft finanzieren.



Die Crux ist, sowohl Sunak als auch Starmer wissen das. Was beide Spitzenpolitiker zurückhält, ist die Angst vor der eigenen Courage und das Unvermögen, den von Krisen erschöpften britischen Wählern einen Weg in eine wirtschaftlich und klimatisch bessere Zukunft zu weisen.
Mehr: Wie Regierung und Opposition in London mit ihren Zielen hadern





