Kommentar Das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump ist mehr als eine Show

Auch wenn Trump inzwischen eine Privatperson ist, provozierte er den Aufstand seiner Anhänger als Präsident.
Der zweite Impeachment-Prozess gegen Donald Trump ruft die verstörenden Ereignisse vom 6. Januar ins Gedächtnis. Zum Auftakt am Dienstag sah man brutale Szenen auf dem Capitol Hill, gefilmt aus der Perspektive Dutzender Mobiltelefone.
Die Videosequenzen führten vor Augen, warum das Impeachment notwendig ist – und zwar unabhängig davon, ob Trump mit einem Schuldspruch rechnen muss.
Denn die Ereignisse verlangen nach Aufklärung, auch fünf Wochen nach dem Sturm auf den US-Kongress. Das Trauma ist allgegenwärtig, es zeigt sich in den Aussagen von Kongressmitgliedern, die ihre Todesangst beschreiben, und in der Trauer der Angehörigen von Menschen, die ums Leben kamen. Es ist sichtbar auf den Fahndungsplakaten der Bundespolizei und in der Präsenz der Nationalgarde, die Washington noch immer absichert.
Wahrscheinlich wird der Ex-Präsident im Senat freigesprochen werden, weil ein Großteil der Republikaner das Impeachment ablehnt. Doch allein die Anklage ist ein wichtiger Schritt. Denn was wäre die Alternative? Eine Resolution oder eine Gedenkstunde sind nicht weitreichend genug. Das Impeachment ist eines der wirkungsvollsten Instrumente der US-Verfassung. Der Kongress hat die Pflicht, es zu nutzen, denn eine Rückkehr zur Tagesordnung darf es nach dem Sturm aufs Kapitol nicht geben.
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Auch wenn Trump inzwischen eine Privatperson ist, provozierte er den Aufstand seiner Anhänger als Präsident. Über Monate untergrub Trump die Demokratie mit einer Misstrauenskampagne, schürte Wut und leugnete das Wahlergebnis. Deshalb ist es unvermeidlich, dass die Demokraten und eine Handvoll Republikaner zumindest versuchen, ihn politisch zur Verantwortung zu ziehen. Alles andere signalisiert künftigen Präsidenten, sie müssten nach ähnlichen Taten keine Konsequenzen fürchten.
Zwar haben Impeachment-Prozesse viele Schwächen. Die Verfassung definiert die Kriterien für eine Amtsenthebung sehr vage, und zu oft profilieren sich die Akteure für ein paar Minuten Sendezeit. Insbesondere der aktuelle Prozess birgt Fallstricke: Ein Ex-Präsident, der nicht mehr im Amt ist, soll des Amtes enthoben werden.
Es ist juristisch umstritten, ob das überhaupt geht, vielleicht scheitert der gesamte Prozess an dieser Frage. Allerdings wäre es falsch, deshalb kein Verfahren anzustrengen. Nach dieser Logik würde es in normalen Gerichtssälen niemals Präzedenzfälle geben.
Grenzen des Mach- und Sagbaren wurden verschoben
Es lohnt ein Vergleich mit dem ersten Impeachmentverfahren gegen Trump. Noch heute dient die Ukraine-Affäre als gut dokumentiertes Zeitzeugnis eines Präsidenten, der seine Macht missbraucht. Ähnlich verhält es sich mit dem aktuellen Impeachment, bei dem ihm Anstiftung zum Aufstand vorgeworfen wird.
Auch wenn Trump erneut freigesprochen werden sollte, zeigt das Verfahren, wie weit Trump die Grenzen des Mach- und Sagbaren in der größten westlichen Demokratie verschoben hat. Dafür ist es unerheblich, ob Trump im Oval Office sitzt oder in Mar-a-Lago golfen geht. Bundespolizei und Staatsanwälte erledigen gerade ihren Job in der Strafverfolgung. Dass der Kongress auf politischer Ebene seinen Teil zur Aufarbeitung beiträgt, ist unverzichtbar.
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