1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kommentare
  4. Zufallsgewinne: Der Staat muss auf dem Strommarkt eigene Fehler korrigieren

KommentarDer Staat korrigiert mit der Idee der Zufallsgewinne nur die eigenen Fehler

Das Abschöpfen der sogenannten Zufallsgewinne ist legitim. Der Strommarkt funktioniert schon lange nicht mehr – nicht zuletzt wegen der staatlichen Eingriffe.Jürgen Flauger 06.09.2022 - 10:41 Uhr Artikel anhören

Der Energiemarkt ist zu komplex geworden.

Foto: dpa

Zufallsgewinn – vor einem halben Jahr noch hätte man diesen Begriff allenfalls im Parteiprogramm der Linken vermutet. Seit dem Wochenende ist er Teil der öffentlichen Debatte, und bald schon wird der Staat solche Zufallsgewinne tatsächlich abschöpfen. Die Bundesregierung sieht sich einmal mehr gezwungen, in den Strommarkt einzugreifen – dieses Mal auch, um Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

Nach eigenem Bekunden geht es der Regierung darum, exzessive Erlöse abzugreifen, um sie schließlich dem Endverbraucher zurückzugeben.

Das Konzept wird von allen Parteien der Ampelkoalition getragen, von den Grünen, von der SPD und sogar von der wirtschaftsliberalen FDP. Auch wenn der Begriff „Übergewinn“ vermieden wurde, letztlich läuft es auf dasselbe hinaus: einen bisher beispiellosen Markteingriff.

Ist das also ein Tabubruch? Nein. Aus einem simplen Grund: Der Energiemarkt ist ein Sonderfall.

Er hat schon von Beginn an nach eigenen Regeln funktioniert, die ein perfektes Spiel von Angebot und Nachfrage verhinderten. Die freie Preisbildung wurde dann in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch immer neue Eingriffe der Politik gestört, und jetzt liefert der Markt Preise, die rational kaum zu erklären sind.

Ein Preissprung von 1000 Prozent innerhalb eines Jahres – das hat mit den Fundamentaldaten nichts mehr zu tun. Ein Eingriff ist daher nicht nur legitim, er ist sogar geboten. Doch Zweifel bleiben, etwa was die Frage angeht, ob der Bundesregierung dieser Eingriff zielgenau gelingen wird.

Der Strommarkt ist an sich nicht perfekt. Auf der einen Seite ist die Nachfrage kaum elastisch, sie reagiert also nur begrenzt auf Preissignale. Strom wird eben für viele Dinge des täglichen Lebens und immer mehr Geräte benötigt. Inzwischen sogar zum Autofahren und zunehmend zum Heizen.

Bei Konjunkturflauten gibt die Stromnachfrage nur wenig nach. Selbst zu Beginn der Coronakrise, als weite Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens stillstanden, waren es in der Spitze gerade einmal zehn Prozent.

>> Lesen Sie hier: Was hinter den aktuellen Rekordpreisen für Strom steckt

Auf der anderen Seite kann das Angebot nur langsam auf Preissignale reagieren. Kraftwerke kosten mehrere Hundert Millionen Euro, teilweise Milliardensummen. Genehmigung, Planung und Bau dauern Jahre und die Projekte werden nur in Angriff genommen, wenn sie jahrzehntelang am Netz bleiben können. Selbst Wind- und Solaranlagen werden nicht von heute auf morgen gebaut.

Das Kohlekraftwerk war schon abgeschaltet und ist seit dem 1. August als erster Marktrückkehrer wieder am Netz. Die Bundesregierung hat mit dem Kohleausstieg das Angebot selbst verknappt.

Foto: dpa

Dabei wurde das Angebot wiederholt durch staatliche Eingriffe gestört. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz durften Betreiber von Solar- und Windanlagen ihren Strom zu festen Preisen vorrangig ins Netz einspeisen. Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke konkurrierten um einen immer kleiner werdenden Teil der Nachfrage.

Noch vor wenigen Jahren waren die Strompreise im Großhandel so sehr im Keller, dass konventionelle Kraftwerke unrentabel wurden. Eon und RWE verbuchten hohe Verluste. Das hat vor allem viele Gaskraftwerke, die besonders hohe Produktionskosten haben, aus dem Markt gedrängt.

Die Politik hat das Angebot selbst verknappt

Inzwischen hat sich der Markt komplett gedreht. Das Angebot ist knapp – und dafür ist die Politik auch zu einem großen Teil verantwortlich. Von den 17 Atomkraftwerken, die 2010 noch Strom liefern konnten, sind nur noch drei am Netz. Nach dem Atomausstieg wurde dann auch noch der Kohleausstieg eingeleitet. Viele Braun- und Steinkohlekraftwerke wurden bereits abgeschaltet. Das war mit Blick auf den Klimaschutz sicherlich sinnvoll. Dass es die Strompreise treiben würde, wenn das Angebot verknappt wird, war aber absehbar.

Jetzt bleiben fast nur noch Gaskraftwerke, um Spitzen im Verbrauch abzudecken – und deren Betriebskosten sind durch die Knappheiten auf dem Gasmarkt eben sprunghaft gestiegen. Das letzte Kraftwerk, das zur Bedienung der Nachfrage ans Netz muss, bestimmt die Preise im Spotmarkt. Merit-Order heißt das Prinzip.

>> Lesen Sie hier: Wie das System aus Zufallsgewinnen und Strompreisbremse funktionieren könnte

Das ist das energetische Panorama, in dem es in der Tat vielen Unternehmen derzeit gelingt, exzessive Gewinne zu erwirtschaften. Das Anliegen, diese Zufallsgewinne, Übergewinne, oder wie man sie auch immer nennen will, einzugrenzen, ist wichtig und richtig. Was die Ampelkoalitionäre allerdings verschweigen, ist die Tatsache, dass die Pervertierung des Strommarkts letztlich auch Folge vergangener Interventionen des Staats sind.

Verwandte Themen RWE

Vor allem aber ist zu bezweifeln, dass die Politik – der Bund will das im Einklang mit der Europäischen Union machen – dieses Mal zielgerichtet vorgehen wird. Zu komplex ist der Energiemarkt inzwischen. Ein großer Teil des Stromes, den große Produzenten wie RWE erzeugen, ist beispielsweise langfristig am Terminmarkt zu festen Preisen vermarktet.

Das große Geld wird aktuell im kurzfristigen Handel gemacht, und zwar von hochprofessionellen Händlern. Diese zu packen, ist der Bundesregierung schon bei der Gasumlage nicht gelungen. Ob die Politik bei den richtigen Profiteuren der Energiekrise die Zufallsgewinne abschöpfen kann, darf bezweifelt werden.

Mehr: Materialengpässe bremsen Solarboom in Deutschland

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt