Kommentar: Die deutsche Industrie braucht keine Gipfel, sondern Innovation


Deutschland erlebt seit geraumer Zeit eine Spaltung des Arbeitsmarkts. Die Industrie hat gegenüber dem Vorjahr 146.000 Stellen abgebaut, nicht zuletzt im Automobilsektor, während im Bereich Pflege, Gesundheit und Soziales 137.000 Stellen hinzukamen.
Zur Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung (IAA) am Dienstag in München klang Kanzler Friedrich Merz (CDU), als sei er in der Lage, diese Spaltung aufzuhalten. „Die Automobilindustrie ist und bleibt eine Schlüsselindustrie unseres Landes. Würde sie fehlen, das ganze Land wäre ärmer.“
Doch der Kanzler ist dazu nicht in der Lage, und er sollte es auch nicht krampfhaft versuchen. Sollte es Merz’ Ziel sein, jeden dieser Jobs zu erhalten, würde das vielmehr das Land ärmer machen.
An manchen Stellen kann der Staat versuchen, Brücken in Form von finanzieller Förderung für die Transformation zu bauen. Aber es wird Industriebranchen geben, in denen diese Brücke ins Nichts führt. Ein Teil der deutschen Industrie wird nicht dauerhaft zu halten sein. Dafür sind bestimmte Standortbedingungen unwiderruflich zu schlecht.
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Es ist aber auch eine Mär zu glauben, die Industriearbeiter könnten einfach umgeschult werden und die entstehenden Plätze im Sozialbereich und im öffentlichen Dienst übernehmen.
Das wäre nicht möglich und auch nicht wünschenswert. Denn ein Industriearbeiter ist viel produktiver als einer in einem herkömmlichen Dienstleistungsjob, je nach Rechnung eineinhalbmal so viel.
Neue Geschäftsmodelle müssen das politische Handeln bestimmen
Noch produktiver als die Industrie ist aber der Bereich Information und Kommunikation. Was Deutschland jetzt braucht, ist ein Fokus auf neue Geschäftsmodelle. Es geht um digitale Prozesse, Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, aber auch um Industrieprodukte der Zukunft.
Deutschland wird immer ein starkes verarbeitendes Gewerbe haben, aber dieses muss sich radikal ändern. Das heißt nicht, dass die heutige deutsche Industrie keinerlei Zukunft mehr hat. In bestimmten Bereichen wie dem Maschinenbau wird Deutschland immer ein globaler Spieler bleiben. Aber das allein wird nicht reichen, um unseren Wohlstand dauerhaft zu sichern.
Darüber muss sich auch die Politik klar werden. Die schwarz-rote Bundesregierung war mit der Ansage angetreten, diesen Schwenk der deutschen Industrie gestalten, anstatt das Herkömmliche verwalten zu wollen. In den Namen der Ministerien, in Strategien und einzelnen Projekten taucht das durchaus auf.
Doch dass das Grundkonzept der Regierung sich dahingehend verschoben hätte, diesen Eindruck konnte man bislang nicht gewinnen.




Die Ankündigungen von Gipfeltreffen für die Automobilindustrie und die Stahlproduktion im Bundeskanzleramt steigern diese Hoffnung auch wahrlich nicht. Anstatt Gipfelritis bräuchte es doch einen Fokus auf diese neuen Geschäftsmodelle. Nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im politischen Handeln, bei der Gesetzgebung und bei Fördermaßnahmen.
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