Kommentar Die eigene App ist für viele Händler rausgeschmissenes Geld

Immer mehr Händler wollen die Kunden mit eigenen Apps an sich binden.
Wer heute einen Einzelhändler fragt, was für ihn das wichtigste Projekt bei der Digitalisierung ist, erhält häufig die Antwort: eine eigene Kunden-App. Lidl beispielsweise ist auf diesem Weg mit rund 10 Millionen Downloads von „Lidl Plus“ schon weit fortgeschritten. Auch Rossmann und dm setzen voll auf die App.
Im Grunde ist das eine gute Idee – zumindest deutlich besser als die herkömmlichen Papierprospekte, die oft genug ungelesen im Papierkorb landen. Über eine App bekommt der Händler Daten über das Kaufverhalten der Kunden, kann ihnen personalisierte Angebote schicken, immer öfter funktioniert sie bereits als Zahlungsmittel im Geschäft.
Doch die Gefahr ist groß, dass die App-Euphorie bei den Händlern bald verfliegt. Denn entscheidend ist nicht der Vorteil für den Händler. Ob die Rechnung aufgeht, entscheidet der Kunde. Und der dürfte bald entnervt abwinken.
Wenn jeder Händler seine eigene App produziert, wird es bald zum Overkill im Smartphone kommen. So wie früher die Plastik-Kundenkarten das Portemonnaie zum Bersten gebracht haben, drängeln sich jetzt die Icons der Händler-Apps auf dem Bildschirm. Für jede Anwendung soll der Kunden seine Daten neu eingeben, sich am besten aus Sicherheitsgründen noch für jeden Händler ein neues Passwort ausdenken und im Gedächtnis behalten.
Die Marktforschung zeigt: Selbst wenn die App heruntergeladen wurde, nutzt der Kunde meist doch nur die Anwendungen, die auf dem ersten, maximal zweiten Bildschirm Platz finden. Und da steht in der Regel schon die App von Amazon als wichtigster Einkaufskanal. Dazu kommen dann wahrscheinlich noch die ein, zwei Lieblingsläden – und dann ist Schluss.
Apps müssen dem Kunden Zusatznutzen bieten
Für einen Onlinehändler, der sich an eine junge Klientel wendet, ist die eigene App vielleicht Pflicht, um glaubwürdig zu sein. Doch für viele stationäre Händler dürfte die Investition rausgeschmissenes Geld sein.
Es sei denn, sie bringt dem Kunden echten Zusatznutzen, indem sie andere Partner einbindet, wie es der Warenhausbetreiber Galeria Karstadt Kaufhof geplant hat. Oder indem sie für eine ganze Stadt gilt und sich die dort ansässigen Händler und Dienstleister auf eine gemeinsame Anwendung einigen.
Doch das wird wohl am Konkurrenzdenken scheitern. Es steht zu befürchten, dass viele Händler immer noch nicht begriffen haben, dass es ganz neues Denken braucht, um die Kunden in Zukunft noch zu erreichen.
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