Kommentar: Es ist Zeit, über unseren Journalismus zu sprechen


Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie einen Witz machen und schon beim Erzählen merken, dass ihn niemand versteht? Mir ging das vor einigen Monaten so, als ich vor einer Gruppe durchaus gebildeter Menschen über unsere redaktionelle Arbeit sprach. Der Vortrag lief gut, die Leute waren interessiert, die Diskussion lief angeregt. Es kamen Fragen auf über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die internen Abläufe und – irgendwann – über politische Einflussnahme.
Dann fiel die Frage: „Wie ist das bei Ihnen mit den Themen, über die Sie nicht schreiben dürfen?“
Ich dachte: Warum nicht ein bisschen Ironie? Und sagte: „Gute Frage! Das läuft bei uns so: Ich fahre morgens gegen sieben Uhr mit dem Fahrrad in die Redaktion, kurz vor acht ruft ein Sachbearbeiter aus dem Kanzleramt an, wir besprechen das Programm, ich bekomme Feedback und eine Liste von Themen, die Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt heute besonders interessieren. Und dann legen wir los.“
Was folgte, war nicht die erwartete Stille nach einem Lacher – sondern eine unangenehme Stille. Einige Gäste machten sich Notizen. Ein anderer nickte zustimmend, als hätte ich gerade den Workflow für eine Softwareumstellung erklärt.
Da wurde mir klar: Das ist komplett schiefgegangen. Natürlich stimmt nichts an dieser Geschichte, außer meiner Fahrradfahrt um sieben in die Redaktion. Als ich das erklärte, reagierten einige überrascht. Sie dachten offenbar, eine regelmäßige politische Einflussnahme sei bei Medien in Deutschland selbstverständlich.
Verantwortung ist das Gegenteil von Zensur
An diese Episode musste ich denken, als am Dienstag die Meldung über die Ticker lief, dass Mark Zuckerberg in den USA die Zusammenarbeit mit jenen Teams einstellen will, die sich bei Meta um das Prüfen von Fakten kümmern. Schon bald soll es für die Gewichtung eines Beitrags bei Instagram oder Facebook keine Rolle mehr spielen, ob er einen Link zu einer seriösen Nachricht enthält oder eine frei erfundene Geschichte wiedergibt. Gleichzeitig kündigte Zuckerberg an, zusammen mit Donald Trump gegen „Zensur“ durch Regierungen und herkömmliche Medien vorgehen zu wollen.

Mit Meinungsfreiheit hat das natürlich nichts zu tun. Sondern mit dem Wunsch, die Tore für eine riesige Flut an Fake News zu öffnen. Jeder soll alles behaupten können – ob es stimmt oder nicht.
Diese Herangehensweise unterscheidet sich in vier Punkten fundamental von der Art, wie Journalistinnen und Journalisten der großen Qualitätsmedien in Deutschland arbeiten. Und damit auch wir beim Handelsblatt.
Erstens: Wir veröffentlichen keine Informationen, die nicht mit geprüften Dokumenten oder mindestens zwei voneinander unabhängigen Quellen belegt sind. Das tun wir auch dann nicht, wenn wir uns noch so sicher sind, dass die Information stimmt. Bei heiklen Storys brauchen wir sogar noch mehr Quellen.
Zweitens: Wir trennen in unserer Berichterstattung sehr klar zwischen Fakten und Meinung. Was nicht ausschließt, dass wir am Ende einer Recherche auf der Basis aller Fakten zu einer bestimmten Bewertung gelangen. Aber die Bewertung steht niemals am Anfang einer Recherche.
Drittens haben Anzeigenkunden keinerlei Einfluss auf unsere redaktionelle Arbeit, egal, wie viel sie bei unserer Anzeigenabteilung buchen. Wenn ein Unternehmen Budgets streicht, weil einem Konzernchef unsere Berichterstattung nicht passt (was immer mal wieder vorkommt), erfährt die Redaktion davon nicht einmal.
Und viertens: Wenn wir Kontakt mit dem Kanzleramt oder Ministerien haben, dann natürlich nicht, um Themen abzusprechen, sondern um Informationen abzufragen, um sie mit unseren Recherchen zu konfrontieren – oder um ein Interview mit Olaf Scholz zu vereinbaren. Der Kanzler ist seit unserer letzten Titelgeschichte über seine wirtschaftspolitische Bilanz übrigens auch nicht mehr so gut auf uns zu sprechen.
Diese Qualitätsgrundsätze gibt es bei Facebook, Twitter, Tiktok und Instagram in dieser Form nicht. Die Plattformen werden nicht wie traditionelle Medien behandelt, obwohl sie ebenfalls Inhalte verbreiten. Für die geposteten Beiträge haften sie grundsätzlich erst einmal nicht, Medien dagegen schon. Das ist das Ergebnis von intensivem Lobbying in Brüssel und Washington. Und wenn sie, die Plattformen, dann doch mal zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Beiträge löschen sollen, die sie veröffentlichen, dann nennen sie das Zensur.
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Dabei geht es keinem der Tech-Bosse um Meinungsfreiheit. Wenn sie über Freiheit sprechen, dann meinen sie ihre eigene Freiheit als Unternehmer. Zuckerberg zum Beispiel will keine Verantwortung mehr dafür übernehmen, was erfundene Meldungen anrichten, die über seine Plattform verbreitet werden.
Es gibt gut belegte Forschung, die zeigt, dass der Brexit womöglich anders ausgegangen wäre, wenn bei Facebook weniger Lügen über den Zustand Großbritanniens veröffentlicht worden wären. Und wie viele Falschnachrichten bei X seit der Übernahme durch Elon Musk verbreitet werden, wie Musk selbst politischen Einfluss nimmt: das alles ist atemberaubend.
Würde eine Zeitung nur einen Bruchteil davon veröffentlichen, würde sie zu Recht vom Markt verschwinden.
Es ist eine gefährliche Allianz, die da entsteht: Eine Welt ohne Faktenchecks und ohne professionellen Journalismus hilft den Populisten wie auch den Plattformen. In einem Klima der Unsicherheit und Desinformation gedeiht nicht nur Misstrauen (was den Populisten politisch hilft) – es gedeihen auch die Klickraten (und mit denen steigen die Werbeerlöse).
Natürlich läuft auch bei Qualitätsmedien nicht alles perfekt. Es passieren Fehler. Mitunter wird politisch einseitig berichtet. Und es fallen auch mal wichtige Themen unter den Tisch. Aber am Ende trägt dafür eine Redaktion die Verantwortung.
Auch in einem Krankenhaus passieren Fehler. Aber verlassen Sie sich deshalb lieber auf Wunderheiler? Wahrscheinlich nur, wenn Sie zu lange auf Fake-News-Plattformen unterwegs waren.




Um gesund zu bleiben, brauchen Demokratien glaubwürdige, faktenbasierte Informationen. Sie brauchen eine kritische Öffentlichkeit, die zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden kann. Und sie brauchen Medien, in denen Menschen diese Unterscheidung vorfinden. Auch das ist den Tech-Kumpanen ein Dorn im Auge. Sie verachten traditionelle Institutionen und Medien wie die „New York Times“.
Diese Entwicklung ist nichts anderes als ein sehr bewusster Angriff auf das Fundament unserer Demokratie. Im Rückblick hätte ich all das gerne vor einigen Monaten bei meinem Vortrag gesagt. Die Lage ist zu ernst für Ironie.
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