Kommentar: Es stimmt doch: Gazprom ist ein Erpresser
Westliche Zertifizierer fehlen, eine Gasverknappung soll die Inbetriebnahme erzwingen.
Foto: REUTERSRussland habe noch nie Gas oder Öl als politisches Instrument eingesetzt oder damit Nachbarländer erpresst. Das sagen die eng mit Gazprom verbandelten europäischen Versorger wie Uniper, Wintershall-Dea, OMV oder Engie immer wieder und weisen den Vorwurf zurück, die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 sei ein politisches Projekt.
Gazprom selbst widerlegt jetzt diese Behauptung: Während normalerweise in dieser Jahreszeit die Gasspeicher in Europa gefüllt werden für den stark steigenden Bedarf im Winter, leert Gazprom derzeit gezielt die unterirdischen Lagerstätten, verknappt sogar die Erdgaslieferungen und treibt so die Gaspreise auf immer neue Höhen.
Dabei geht es Gazprom nicht nur um eine Steigerung der Einnahmen des vom Kreml kontrollierten Konzerns. Die gezielte Verknappung der Gasmengen für Europa vor dem Winter findet zugleich genau zu dem Zeitpunkt statt, wo die letzten Meter von Nord Stream 2 in der Ostsee verlegt werden. In wenigen Wochen soll sie fertig sein. Dann aber muss sie zertifiziert und versichert werden. Doch alle anerkannten westlichen Zertifizierungsunternehmen und Versicherer haben sich wegen der US-Sanktionen zurückgezogen.
Dieses Problem ist Nord-Stream-2-Eigner Gazprom bewusst, und der Konzern hat Mitarbeiter von etablierten westlichen Zertifizierern angeheuert. Dass den zuständigen Zulassungsbehörden dies aber reichen wird und sie ohne ein dahinterstehendes anerkanntes Unternehmen ihr Okay geben, darf bezweifelt werden. Auch dass ein Infrastrukturprojekt dieser Größenordnung ohne einen verlässlichen westlichen Versicherer in Betrieb gehen kann und nur mit einer russischen Assekuranz im Rücken, darf bezweifelt werden.
Wie gut, dass dann im Winter das Gas knapp wird. Das erhöht den Druck auf die Behörden, Nord Stream 2 nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ in Betrieb gehen zu lassen. Frieren für Prinzipien und Sicherheit? Wird der Winter kalt, ändern sich die Haltungen schnell. Da sage noch jemand, Russland setze Energie nicht als Waffe ein.
Bisher wurden nur die Ukraine, Polen und andere unbotmäßige osteuropäische Staaten vom Kreml mit der Reduzierung von Gas- und Öllieferungen unter Druck gesetzt. Jetzt zielt Gazprom auf deutsche und EU-Behörden. Diesem Druck dürfen sich Politik und Verwaltung aber nicht beugen. Nord Stream 2 muss als sensibles Großprojekt von anerkannten Firmen zertifiziert und versichert werden.