Kommentar: Feuer-Katastrophe in Moria: Mitschuld durch jahrelange Ignoranz

Das Feuer soll auch auf Wohncontainer der Flüchtlinge übergegangen sein.
Das Coronavirus, ein Feuer, ein Aufstand – es war klar, dass die Zustände im Flüchtlingslager Moria durch irgendeinen Auslöser einmal zu einer Katastrophe führen mussten. Jetzt ist es so gekommen – und alle in der Europäischen Union reagieren plötzlich entsetzt. Dabei tragen sie, das muss man so deutlich sagen, eine Mitschuld durch jahrelange Ignoranz.
Die EU hat zugelassen, dass am Rande Europas mehr als 12.000 Menschen dauerhaft in einem Lager hausen, das für weniger als 3000 Menschen, und nur übergangsweise, konzipiert war. Sie hat zugelassen, dass sich Hunderte Menschen eine Toilette teilen, Tausende einen Wasserhahn – und das selbst in Zeiten der Corona-Pandemie. Die Augen verschlossen haben die EU-Mitgliedstaaten – und die Geflüchteten weggeschlossen.
Nach den ersten Corona-Infektionen stand das ganze Lager seit vergangener Woche unter Quarantäne. Menschenrechtsorganisationen hatten seit Monaten vor einem Ausbruch gewarnt.
Moria ist ein europäisches Flüchtlingslager. Die EU trägt eine besondere Verantwortung für das Lager auf der griechischen Insel Lesbos. Es ist entstanden, als sich der Staatenbund vor vier Jahren mit der Türkei auf einen Flüchtlingspakt einigte. Abgelehnte Asylsuchende sollten von Griechenland direkt zurück in die Türkei gebracht werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Pakt persönlich mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan ausgemacht.
Damals, 2016, war klar, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei Zeit kaufen sollte, damit die EU-Mitgliedstaaten in Ruhe regeln können, wie sie künftig mit der Migration in die EU umgehen. Die Zeit wurde nicht genutzt, die Kluft zwischen den EU-Staaten war zu groß, es war zu bequem, eine Einigung angesichts sinkender Flüchtlingszahlen immer wieder zu verschieben. Die Menschen in Moria waren ja weit weg.

Tausende könnten durch das Feuer nun obdachlos sein.
In diesem Jahr haben sich EU-Länder monatelang umeinander gedreht auf der Suche nach einem Pakt der Freiwilligen, um wenigstens die Kinder aus Moria zu evakuieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Termin für eine EU-Migrationsstrategie mehrfach verschoben. Ende September will sie sie nun vorlegen – ein Verteilsystem auf die EU-Mitgliedstaaten, aber nicht verpflichtend für alle, zeichnet sich ab. Man darf gespannt sein, ob dies nach vier Jahren die Probleme löst.




Krisen können Auslöser für Durchbrüche sein. Die EU-Staaten sollten jetzt, die schrecklichen Bilder aus Moria vor Augen, sofort eine Lösung für die Unterbringung der Geflüchteten anbieten. Das kann auf eine Gruppe aufnahmewilliger Staaten begrenzt bleiben. Und dann sollten sich die EU-Staaten schnell auf ein reformiertes europäisches Asylsystem einigen. Die Zeit des Verdrängens ist vorbei. Deutschland hat mit der EU-Ratspräsidentschaft hier eine besondere Verantwortung.
Niemand fordert eine ungeprüfte permanente Aufnahme der Geflüchteten. Aber ein möglichst schnelles Asylverfahren unter menschenwürdigen Umständen, das sollte die Europäische Union, die Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit zu ihren Werten zählt, bieten können.
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