Kommentar: Frankreich braucht jetzt Vernunft – und keine linken Träumereien

Kann Frankreich Koalitionen? Das ist die große Frage nach den Parlamentswahlen, die keinem Lager eine absolute Mehrheit gebracht haben. Das Regierungssystem in Frankreich musste diese Antwort noch nicht geben. Nun hat das Land aber keine Wahl: Es muss mehr wie Deutschland werden, weniger präsidiale und mehr parlamentarische Demokratie. Sonst droht eine Blockade.
Eine besondere Verantwortung trägt dabei die französische Linke. Sie wurde überraschend in der zweiten Runde der Neuwahlen zur Nationalversammlung die stärkste Kraft vor dem Mittebündnis von Emmanuel Macron und der Rechtsaußenpartei Rassemblement National (RN). Die Risiken, die vom linken Rand für die EU oder die Unterstützung der Ukraine ausgehen, wurden in Deutschland in den vergangenen Wochen ausgeblendet. Im Vordergrund stand die Sorge, dass der RN von Marine Le Pen an die Macht kommen könnte.
Werden Sozialisten und Grüne im Linksbündnis Neue Volksfront auf der Partnerschaft mit der Betonfraktion des Unbeugsamen Frankreich bestehen oder sich offen für eine Zusammenarbeit mit dem Macron-Lager und vielleicht auch den rechtsbürgerlichen Republikanern zeigen? Sind sie bereit, Kompromisse zu schließen und ihre teils weltfremde Programmatik zu mäßigen? Davon hängt die Regierbarkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU ab.
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Die ersten Signale aus der Volksfront machen wenig Hoffnung. Die Linken sind zwar stärkste Kraft, aber zu einer eigenen Regierungsmehrheit fehlen rund 100 Sitze. Ihr kleiner Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass sie von den Absprachen mit dem Macron-Lager für ein Bollwerk gegen den RN profitierten. Dennoch treten sie nun auf, als hätten die Franzosen ihnen ein Mandat für einen grundlegenden Kurswechsel erteilt.
Die Volksfront will binnen einer Woche einen Kandidaten für das Amt des Premierministers aus ihren Reihen präsentieren. Sozialisten und Grüne betonen, dass für den Posten nicht Jean-Luc Mélenchon infrage komme, der polarisierende Wortführer der Unbeugsamen. Doch die Unbeugsamen, die in dem Linksbündnis tonangebend sind und die meisten Abgeordneten stellen, halten Mélenchon sehr wohl für einen geeigneten Kandidaten.
Wünsch-dir-was-Programm
Das Programm, mit dem das eilig zusammengezimmerte Linksbündnis angetreten ist, liest sich wie ein wirtschaftspolitisches Wünsch-dir-was. Zu den Forderungen gehören Preiskontrollen für Lebensmittel, Kraftstoffe und Energie. Die Volksfront spricht von neuen Staatsausgaben in Höhe von 150 Milliarden Euro bis 2027, andere Schätzungen beziffern die Kosten des Programms auf über 200 Milliarden Euro. Zur Gegenfinanzierung sollen Steuern erhöht werden, doch es bliebe ein Milliardenloch – eine Schuldenpolitik wäre unausweichlich.
Die EU-Defizitgrenzen lehnt das Linksbündnis ab, ebenso wie Handelsabkommen. Auf Druck von Sozialisten und Grünen hat sich die Volksfront in ihrem Programm zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland bekannt, doch die Unbeugsamen fielen in der Vergangenheit eher durch ihr Verständnis gegenüber Moskau auf. Eine Regierung „Volksfront pur“ dürfte für die Bundesrepublik ähnlich ungemütlich sein, wie es eine Regierung des RN gewesen wäre.
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Einen willigen Koalitionspartner dafür dürften die Linken aber wohl nicht finden. Es ist nicht vorstellbar, dass das Macron-Lager oder gar die rechtsbürgerlichen Republikaner der Volksfront zu einer Mehrheit verhelfen würden. Der Präsident ist auch nicht gezwungen, die Linken als stärkste Fraktion mit der Bildung einer Regierung und der Nominierung eines neuen Premierministers zu betrauen.
Der bisherige Regierungschef Gabriel Attal, ein Macron-Getreuer, reichte am Montag zwar seinen Rücktritt ein, das ist Usus nach einer Wahlniederlage. Doch Attal machte zugleich deutlich, dass er die Regierungsgeschäfte so lange wie nötig kommissarisch weiterführen werde. Wenn die gemäßigte Linke nicht Monate ohne eine handlungsfähige Regierung in Frankreich in Kauf nehmen will, sollte sie den Unbeugsamen vom linken Rand den Rücken kehren und mit Macrons Mitte nach einer Lösung suchen.

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Abstriche bei ihren Programmen werden dann alle Seiten machen müssen, aber diese Kompromissfähigkeit ist in der neuen politischen Lage mit einem zersplitterten Parlament in Paris geboten.




Überparteiliches Expertenkabinett?
Natürlich: Macron bleibt noch die Möglichkeit eines überparteilichen Expertenkabinetts, das dann mit wechselnden Mehrheiten in der Nationalversammlung das ein oder andere Gesetz zustande bringen und ansonsten den Regierungsalltag verwalten könnte. Das ist aber eigentlich keine Option für ein Land von der Größe und Bedeutung Frankreichs. Die Herausforderungen für Europa sind groß: der Krieg in der Ukraine, der Handelsstreit mit China, die digitale und grüne Transformation der Wirtschaft. In diesen Zeiten braucht die EU Stabilität und Führungsstärke in Paris – und keine Experimente von linken Träumern.
Die moderaten Kräfte in Frankreich – von Sozialisten und Grünen über Macrons Mittebündnis bis zu den rechtsbürgerlichen Republikanern – sollten sich auch über die innenpolitischen Konsequenzen einer möglichen Blockade bewusst sein. Wenn sie nicht zu einer Regierung der Vernunft zusammenfinden, werden die Ränder noch stärker werden. 2027 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt – Marine Le Pen wartet schon auf ihren Moment.





