Kommentar: Mit der Wahl von Janet Yellen als neue Finanzministerin setzt Joe Biden gleich drei Ausrufezeichen
Die frühere Fed-Chefin steht für eine mutige keynesianische Fiskalpolitik, ohne die weder Amerika noch der Rest der Welt die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie überwinden können.
Foto: AFPRechtzeitig zum Thanksgiving-Fest am Donnerstag hat Amerika Grund zum Feiern: Donald Trump macht drei Wochen nach seiner Wahlniederlage den Weg für einen Machtwechsel frei. Der designierte US-Präsident Joe Biden kann nun durchstarten und setzt dabei auf eine gesunde Mischung aus Erfahrung, Pragmatismus und mutigem Neuanfang. Amerikas Demokratie der „checks and balances“ hat sich in ihrer bislang größten Krise allen Warnungen zum Trotz bewährt.
Für die Wirtschaft, und nicht nur für die amerikanische, geht damit eine quälende Phase der Unsicherheit zu Ende. Nicht nur das: Biden plant gerade in der Wirtschaftspolitik einen Neustart. Mit seiner Wahl von Janet Yellen als neue Finanzministerin setzt er gleich drei Ausrufezeichen: Die ehemalige Notenbankchefin hat während ihrer Zeit an der Spitze der US-Notenbank Fed gegen den Widerstand vieler konservativer Ökonomen mit extrem niedrigen Zinsen geduldig die längste wirtschaftliche Erholung der US-Geschichte durchgesetzt.
Mehr Erfahrung kann man sich bei der Bekämpfung der aktuellen Corona-Wirtschaftskrise kaum wünschen. Yellen steht zudem für eine mutige keynesianische Fiskalpolitik, ohne die weder Amerika noch der Rest der Welt die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie überwinden können.
Das nächste Hilfsprogramm für die gebeutelte US-Wirtschaft dürfte also eher größer ausfallen. Das und die Tatsache, dass Yellen die erste Frau an der Spitze des US-Schatzamts wäre, dürften auch die progressive Linke bei den Demokraten besänftigen und Biden mehr Rückhalt in der eigenen Partei geben.
Seinen politischen Mut in der Wirtschaftspolitik paart Biden mit einem multilateralen Pragmatismus in der Außenpolitik. Mit Antony Blinken als Außenminister und Jake Sullivan als Nationalen Sicherheitsberater setzt der neue US-Präsident auch hier auf langjährige Erfahrung im Kabinett.
Kehrtwende in der amerikanischen Außenpolitik
Zugleich signalisiert Biden mit den beiden Personalentscheidungen eine Kehrtwende in der amerikanischen Außenpolitik: Statt Trumps „America first“-Politik, die für den Republikaner meist auf „America alone“ hinauslief, setzt das Team Biden auf die seit Ende des Zweiten Weltkriegs bewährte Strategie, außenpolitische Ziele gemeinsam mit internationalen Verbündeten durchzusetzen. Dabei dürften Menschenrechte und Demokratie künftig eine größere Rolle spielen.
Dass der Kampf gegen den Klimawandel mit der Berufung des ehemaligen Außenministers John Kerry zum Sonderbeauftragten ebenfalls einen hohen Stellenwert bekommt, dürfte vor allem die Europäer freuen.
Europa rückt damit zwar wieder stärker ins Blickfeld, aber das Hauptaugenmerk der US-Außenpolitik wird auch unter Biden dem Rivalen China gelten. Peking feiert gerade den Abschluss der asiatischen Freihandelszone RCEP als Sieg des Multilateralismus.
Jetzt melden sich die USA unter Biden als Bündnispartner zurück. Das ist vor allem für die Europäer eine gute Nachricht, aber auch eine Verpflichtung. Europa sollte künftig weniger von „digitaler Souveränität“ schwadronieren und im Datenschutz und in der Wettbewerbspolitik den Schulterschluss mit der neuen Biden-Administration suchen.
Nie waren die Chancen für eine multilaterale Chinastrategie besser. Daran haben auch andere westlich orientierte Länder wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland ein Interesse. Aber auch asiatische Nationen wie Indien, Vietnam und die Philippinen haben jetzt eine Alternative zum autoritären China.
Biden muss aus den Fehlern der Obama-Jahre lernen
Entscheidend wird sein, ob Biden die protektionistischen Vorbehalte in seiner Partei und bei seinen Wählern im Mittleren Westen mit dem Wunsch vieler Demokraten nach einer klaren Abgrenzung gegenüber China ausbalancieren kann.
Bidens erste Weichenstellungen deuten darauf hin, dass er die gravierendsten Fehler der Trump-Ära möglichst schnell korrigieren will. Dabei muss das Team Biden aber auch zeigen, dass es dazugelernt hat.
Viele Köpfe, die der neue US-Präsident jetzt in seinen Führungskreis beruft, haben während der Obama-Jahre eine Politik mitverantwortet, die zumindest nicht verhindern konnte, dass Donald Trump 2016 ins Weiße Haus einzog.
Entsprechend vorsichtig wird Biden gerade in der Sicherheits- und Handelspolitik agieren. Die Kehrtwende Bidens kann keine dritte Amtszeit Obamas sein. Dass nach der quälenden Hängepartie jetzt ein Neustart für Amerika möglich wird, bleibt die gute Nachricht des Jahres 2020.
Trump wird zwar nicht lautlos das Weiße Haus räumen, aber seine Tweets bestimmen nicht mehr den Takt der mächtigsten Nation der Welt. Amerikas Demokratie hat die Herausforderung durch einen Autokraten gemeistert – nicht glänzend, aber doch überzeugend.
Dazu haben nicht nur die Abermillionen Amerikaner beigetragen, die sich an der Wahl beteiligt haben. Die lokalen Wahlbehörden und die unabhängigen Gerichte haben sich dem politischen Druck Trumps nicht gebeugt, sondern ihren Verfassungsauftrag erfüllt.
So befremdlich dieser Prozess manchmal für europäische Augen sein mochte, so lebendig und beeindruckend war das demokratische Ringen. Die Amerikaner haben Grund zu feiern – nicht nur das Thanksgiving-Fest.