Kommentar Selbstmitleid wird den Rückstand europäischer Firmen auf das Silicon Valley nicht beseitigen

Wer künftig auf einzelne Nutzer abgestimmte Werbung anbieten will, braucht eigene Plattformen mit vielen Nutzern.
Der Tod des Cookies ist ein Erfolg für die Privatsphäre aller Internetnutzer. Die penetranten Anzeigen für Sportschuhe oder Kindersocken, die einen nach deren Kauf überallhin verfolgen, wird kein Mensch vermissen, wenn Google Seitenbetreibern bald verbietet, Nutzer seines Chrome-Browsers quer durchs Internet zu verfolgen.
Dass sich selbst der Datenkonzern Google auf die Post-Cookie-Welt einlässt, wirkt wie ein Erfolg für Europa – schließlich drängt die EU seit Langem auf einen stärkeren Schutz der Privatsphäre. In den USA ziehen erst langsam einige Bundesstaaten nach. Ob der Exportschlager Datenschutz aber auch Europas Digitalwirtschaft nützt, ist äußerst fraglich.
Google kann ein stalking-freies Internet besser verschmerzen als die Werbetechnologie-Industrie, die auch in Europa Erfolgsgeschichten hervorgebracht hat. Oder hatte: Das Berliner Start-up Adjust war bis vor Kurzem eine der Wachstumshoffnungen der deutschen Digitalszene.
Dass aber Apple das Tracking von Nutzern quer durch Apps einschränken will, war ein Leberhaken für Adjust. Das Unternehmen hilft App-Entwicklern, den Effekt ihrer Werbung in anderen Apps zu messen – ohne Tracking ist das schwierig. Im Februar wurde Adjust verkauft, an ein Unternehmen aus dem Silicon Valley.
Wer künftig auf einzelne Nutzer abgestimmte Werbung anbieten will, braucht eigene Plattformen mit vielen Nutzern. So wie Google, das die Nutzer seiner Internetsuche, des Kartendienstes Maps oder der Videoplattform Youtube ziemlich genau kennt. Oder Mark Zuckerbergs Konzern, der Facebook, Instagram und WhatsApp zunehmend enger verzahnt. Die Daten von ihren eigenen Plattformen kann den Digitalkonzernen keiner nehmen.
Der Schutz der Privatsphäre ist ein Wert an sich, als Knüppel gegen Big Tech ist er aber wirkungslos. Kein Daten- oder Leistungsschutz und keine Kartelldebatte werden Europas digitale Misere lösen.
Jeder der Billionen-Konzerne von der US-Westküste hat sein spezielles Sündenregister, das die EU-Kommission angemessen sanktionieren sollte. Aber Google, Amazon und Co. sind nicht vor allem deshalb dominant, weil sie uns illegal ausspionieren oder europäische Wettbewerber unfair behandeln. Sondern weil Menschen ihre Dienste gern nutzen.
Facebooks Konkurrenten boomen
Politiker, die jeden europäischen Misserfolg mit Marktverzerrung und Überwachungskapitalismus wegerklären, wirken wie der Fußballer, der jede Niederlage auf den holprigen Platz schiebt. Wenn Facebooks Netzwerkeffekte doch jeden Nutzer und Werbedollar einsaugen, warum boomt dann Snapchat? Oder Tiktok? Oder Clubhouse?
Als die Welt vor einem Jahr ins Homeoffice wechseln musste, stahl der Videokonferenzdienst Zoom aus San Jose Microsoft, Google und Facebook die Show – Zoom ist keine zehn Jahre alt und erst seit 2019 an der Börse. Europa hatte mit Skype einst den Pionier der Branche hervorgebracht. Der war da aber schon längst in die USA verkauft.
Heute steht Europas Start-up-Szene besser da – befeuert von mehr Risikokapital und einem Ökosystem von Gründern, die den Wettbewerb mit dem Silicon Valley nicht scheuen. Dieses Unternehmertum und kluge Politik können Europas Rückstand beseitigen. Selbstmitleid nicht.
Mehr: Google will Cookie-Tracking abschaffen – und auch keine ähnliche Technik nutzen.
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