Kommentar: Trotz stabiler Wachstumszahlen – in Brasilien wächst die Skepsis


Eigentlich geht es der brasilianischen Wirtschaft nicht schlecht: Sie wird in diesem Jahr um 2,5 Prozent wachsen. Die Inflation liegt bei 3,5 Prozent und damit nicht weit vom Inflationsziel der Zentralbank entfernt. Die Arbeitslosigkeit beträgt knapp acht Prozent. Das ist nicht wenig, aber die niedrigste Arbeitslosenquote seit zehn Jahren. Der Handelsüberschuss ist historisch hoch.
Dennoch wenden sich Investoren von Brasilien ab: In diesem Jahr haben sie so viel Kapital abgezogen wie seit 40 Jahren nicht mehr. Der brasilianische Aktienindex ist in diesem Jahr das weltweite Schlusslicht. Der Real verliert gegenüber dem Dollar, während die meisten lateinamerikanischen Währungen aufwerten. Investoren verlangen höhere Zinsen für brasilianische Anleihen, weil das Risiko aus Sicht der Finanzmärkte steigt.
Was also ist der Grund für die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Realität und der schlechten Stimmung der Investoren gegenüber Brasilien?
Vereinfacht gesagt: Brasilien hat derzeit keine gute Story zu bieten. Es gibt keine Aussichten auf eine rosige Zukunft.
Im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, dass Brasilien auf dem Weg ins unambitionierte Mittelmaß weiter absteigen wird. Denn wo sollen die notwendigen Produktivitätssteigerungen der Volkswirtschaft herkommen – wenn man von der Landwirtschaft und vielleicht noch vom Bergbau absieht? Bei den Themen Künstliche Intelligenz, Data-Science, Halbleitertechnologie, Informatik oder auch Nearshoring – also der Verlagerung wirtschaftlicher Wertschöpfungsketten näher an die westlichen Staaten – spielt Brasilien international keine große Rolle.
Brasilien macht zu wenig aus seinen Vorteilen
Zwar ist Brasilien ein weltweiter Lieferant von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und traditioneller wie nachhaltiger Energie. Die Bedeutung Brasiliens auf dem Weltmarkt für diese Produkte wird weiter zunehmen. Gleichzeitig hält Brasilien Äquidistanz zu den geopolitischen Machtpolen China und USA – handelt und verhandelt mit beiden Weltmächten.
Das ist nach wie vor richtig. Aber Brasilien macht zu wenig aus diesen Vorteilen. Die Regierung Lula verspielt diese Trümpfe. Sie setzt auf die Rezepte der Vergangenheit für die Probleme der Gegenwart.
Lulas wenig marktfreundliche Politik belastet die Wirtschaft: Die laxe Haushaltsdisziplin, die Angriffe auf die Zentralbank wegen ihrer Inflationsbekämpfung, die alte Industriepolitik mit dem staatlich instrumentalisierten Ölkonzern Petrobras im Zentrum – all das hat schon einmal zur schwersten Rezession Brasiliens und zum historisch größten Korruptionsskandal des Landes geführt.
Lula ist dabei, diese Fehler zu wiederholen. Die Investoren bestrafen daher seine Politik. Petrobras hat an der Börse inzwischen fast ein Fünftel seines Werts verloren.
Schwindende Rechtssicherheit schreckt Investoren
Apropos Korruptionsermittlungen: Inzwischen werden alle damaligen Urteile revidiert. Auch die Kartellbehörde hebt reihenweise Urteile auf. Damit erweist die Justiz Brasilien einen Bärendienst. Die schwindende Rechtssicherheit ist auch ein Grund, warum sich Investoren fernhalten.
Hinzu kommt Lulas schwacher Auftritt auf der internationalen Bühne. Anderthalb Jahre nach seinem hoffnungsvollen Amtsantritt ist er international nicht mehr der angesehene Staatsmann, der er einmal war. Mit seiner einseitigen Parteinahme für Russland, Venezuela und zuletzt Palästina hat er sich im Westen viele Sympathien verscherzt, aber keine neuen verlässlichen Freunde gewonnen.






Seit Stefan Zweigs „Land der Zukunft“ ist es Brasilien immer wieder gelungen, sich weltweit als hoffnungsvolle Gesellschaft und wichtige aufstrebende Volkswirtschaft zu präsentieren. Doch davon ist das Land heute weiter entfernt denn je.
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