Kommentar: Warum sich die Bundesregierung mit der Realität so schwertut


Sebastian Matthes ist Chefredakteur des Handelsblatts.
Wenn Menschen oder Organisationen vor großen Veränderungen stehen, das beobachten Wissenschaftler seit Jahrzehnten, passiert psychologisch Folgendes: Sie durchleben eine Abfolge immer ähnlicher Phasen. Zunächst ist da die große Überraschung, der Schock, dass die Welt, die eben noch vertraut schien, sich nun radikal wandeln wird. In Phase zwei dann die Verneinung, das Nicht-Wahrhaben-Wollen, weil den Leuten klar wird, wie groß die nötigen Veränderungen sein werden. Erst in den Phasen darauf folgen die Einsicht, die Akzeptanz, das Lernen – schließlich das Ausprobieren und dann die eigentliche Veränderung.
Daran musste ich denken, als ich dem Bundeskanzler diese Woche zuhörte, der im ZDF-Sommerinterview Sätze sagte wie: „Deutschland ist eine hocherfolgreiche Exportnation.“ Oder: Er sei „derjenige, der das Tempo macht“. Er schien über ein anderes Land zu sprechen als das Land, das in den Sommerwochen Inhalt besorgter Debatten war.
Seit diesem Interview wissen wir, dass der Bundeskanzler gerade Phase zwei durchlebt: die Verneinung. Und das geht seinen Kolleginnen und Kollegen in der Ampelkoalition nicht anders, die einstweilen eher seltsame Prioritäten haben, wenn sie mitten in der Krise zwar Cannabis legalisieren, nicht aber die Kraft aufbringen, ein eigentlich unstrittiges Wachstumspaket für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen.





