Kommentar: Wenn die Wahrheit verhandelbar wird


Die US-Regierung spart bei der Erhebung von Daten zu einem sehr wichtigen, auch politisch einflussreichen Thema: der Inflation. Ökonomen und der Chef der US-Notenbank (Fed), Jerome Powell, zeigen sich zu Recht besorgt. Werden die Daten ungenauer, wird es schwieriger für die Fed, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Aber dieses Thema hat noch eine andere Dimension. Unter Präsident Donald Trump ist die Wahrheit in den USA verhandelbar geworden. In diesem Umfeld haben genaue Daten keinen großen Wert, stören am Ende vielleicht noch die eigene gefühlte Wahrheit. Ein Trend, der über Sozialmedien leider schnell verbreitet werden kann.
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In dem Punkt passen mehrere Beobachtungen sehr gut zusammen. Schon in Trumps erster Amtszeit taufte seine Beraterin Kellyanne Conway seine Falschaussagen um in „alternative Fakten“. Mit System betreiben die Populisten in den USA die Vermischung von Fakten und Meinungen und stellen so die Verbreitung von Lügen unter den Schutz der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit.
J. D. Vance, Trumps Stellvertreter, hat bereits „die Professoren“, also die Wissenschaftler, als „Feinde“ bezeichnet. Verständlich: Fakten und Argumente stören, wenn man sich und die eigene Anhängerschaft mit Lügen und Hetze einlullen möchte. Passend dazu wurde mit Robert F. Kennedy Jr. ein bekannter Gegner von Impfungen als Gesundheitsminister ernannt, der sich so gut wie möglich von jeglichem medizinischen Sachverstand distanziert. Und dass glanzvolle Universitäten wie die Columbia und Harvard ins Zielfeld der US-Regierung geraten sind, ist ebenfalls kein Zufall.
Ist Europa vor solchen Trends gefeit?
Dazu passt auch, dass Wahrheit oft gerade da nicht zu finden ist, wo sie als Markenzeichen auftritt. Die russischen Kommunisten gründeten die „Prawda“, zu Deutsch „Wahrheit“, als Zentralorgan ihrer Ideologie, Trump das soziale Netzwerk „Truth Social“ als Zentralorgan seines Egos.





Leider ist auch nicht zu übersehen, dass der üble Umgang mit der Wahrheit die Funktion haben kann, Verwirrung zu stiften, die dann durch terrorisierende Politik wie die offene Jagd auf Migranten in den Städten der USA noch verschärft wird. Diese Mischung aus Lüge, Wirrwarr und Angst erleichtert es enorm, eine Gesellschaft zu destabilisieren, um sie dann nach eigenem Muster umzuformen oder sogar auf die eigene Person zuzuschneiden.
Das erste Opfer im Krieg sei die Wahrheit, heißt es. Aber manchmal wird sie schon vorher geopfert. Sind wir in Europa vor solchen Trends gefeit? Das zu glauben, wäre unverzeihlicher Leichtsinn.
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