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KommentarVon einem irrlichternden Milei und einem verzweifelten Selenski – Eine Davos-Bilanz

Argentiniens Staatspräsident, sein ukrainischer Amtskollege und Chinas Premier hinterließen einen bleibenden Eindruck auf dem Weltwirtschaftsforum. Und auch sonst gab es überraschende Erkenntnisse. Jens Münchrath 20.01.2024 - 18:21 Uhr aktualisiert
People are reflected in a window with the logo of the World Economy Forum on the last day of the forum's Annual Meeting in Davos, Switzerland, Friday, Jan. 19, 2024. (AP Photo/Markus Schreiber) Foto: AP

Eine Woche Davos – und natürlich darf man sich fragen, ob sich dieser ganze Aufwand lohnt. All die Flüge aus aller Welt, der immense Aufwand für die Sicherheit und die unzähligen schwarzen Limousinen, die die Gäste von früh bis spät auf völlig verstopften Dorfstraßen von A nach B bringen und wieder zurück.

Über die ökologische Bilanz des Happenings der globalen Eliten streiten sich die Geister. Es gibt jedenfalls jene, die tatsächlich glauben, die eine Reise nach Davos mache unzählige weitere überflüssig, einfach weil man sie alle an einem Ort treffen kann. Die Überprüfung der gewagten These steht aus.

Und der Erkenntnisgewinn des Forums? Auch der ist am Ende zunächst überschaubar. Mal abgesehen davon, dass inzwischen auch das letzte zuversichtliche Klubmitglied das Offensichtliche nicht mehr leugnen kann. Dass nämlich der Davoser Globalist längst nicht mehr Gestalter der Weltwirtschaft, sondern Getriebener geopolitischer Umstände ist.

Immerhin, und das darf man in diesen Zeiten nicht unterschätzen: Das, was in der realen Welt nur beschwerlich möglich ist, findet in Davos immer noch unbeschwert statt: der Austausch von Gedanken im internationalen Kontext, der Wettbewerb um die beste Idee. Oder schlicht: Kommunikation. Und der Anspruch manches Davos-Menschen, nicht nur über Politik zu reden, sondern sie auch zu gestalten, war ohnehin immer schon vermessen.

Selenski klagt an

Was also hat Davos 2024 gebracht? Sicherlich in Erinnerung bleibt der Auftritt des ukrainischen Präsidenten. Wolodomir Selenski hielt eine insbesondere für Davoser Verhältnisse undiplomatische Rede. Sie glich einer Anklage gegen den Westen.

Der Vorwurf: Der Westen betone stets mit großem Pathos, die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpften auch für die Freiheit des Westens. Dennoch liefere er aber immer gerade nur so viele Waffen, dass es zum Sterben zu viele und zum Überleben zu wenige seien.  

„Bloß keine Eskalation“ – dieses Mantra des Westens stehe für eine fehlgeleitete Politik und vor allem für die Angst vor Wladimir Putin, der diese Schwäche wittere und ihn bei seinen imperialistischen Ambitionen nur antreibe. Selenski hat recht – wer wollte das bezweifeln.

Die Hilflosigkeit des Westens schreit zum Himmel – ebenso sein Mangel an strategischer Weitsicht. Und der Verdacht, dass die Bereitschaft in westlichen Gesellschaften wächst, die Ukrainer am Ende doch noch an Putin auszuliefern, ist nicht von der Hand zu weisen. Die inzwischen durchaus wahrscheinliche Wiederwahl Donald Trumps jedenfalls könnte eine fatale Dynamik in diese Richtung auslösen. 

Milei hält Feminismus für Sozialismus

Einen bleibenden Eindruck, wenn auch einen negativen, hinterließ der neue argentinische Staatspräsident. Javier Milei, der für seinen ersten Auslandsbesuch ausgerechnet Davos ausgewählt hatte, reiste mit der Ankündigung an, er wolle der abtrünnigen Davos- Glaubensgemeinschaft den „Sozialismus austreiben“.

Was folgte, war eine unreflektierte, vulgärkapitalistische, präsidial vom Blatt abgelesene Brandrede. Eine Rede, die der Präsident in so rasender Geschwindigkeit vorlas, dass die Simultanübersetzer überfordert waren.

Überfordert allerdings war auch das verblüffte Publikum, das nicht so recht wusste, ob es das Gesagte cool finden oder als Affront empfinden sollte. Denn einerseits schmeichelte der Präsident den anwesenden Unternehmern, sie seien die wahren Helden, die Wohlstand schafften. Alle anderen Entscheidungsträger seien Sozialisten.

Andererseits sorgte die Tatsache, dass Milei auch den Feminismus und die ökologische Bewegung unter der Kategorie „übergriffiger Staat“ subsumierte, für so große Irritation, dass einige demonstrativ den Saal verließen. 

Was bleibt, ist der Eindruck eines entrückten Präsidenten, der einer notwendigen Dialektik weder fähig noch willens ist. Und die Gewissheit,  dass er seinem wirtschaftskrisen- und inflationsgeplagten Volk ein gewagtes Experiment verordnen wird, das die Weltgemeinschaft noch nicht gesehen hat.

Li Qiang präsentiert sich als besserer Amerikaner

Da war schließlich Chinas Premier Li Qiang, der sich als der zuverlässigere Amerikaner gebärdete – kooperativ, offen, multilateral.  Mit einer erstaunlichen Unverfrorenheit tat er so, als sei das wirkmächtige China völlig unbeteiligt an dem fragilen Zustand der Weltgemeinschaft.

Jeder Zuhörer im Saal aber wusste, dass China allenfalls für den Kriegsherrn im Kreml ein zuverlässiger Partner ist. Jeder wusste, dass Peking eine China-first-Politik betreibt, von der selbst Trump noch lernen kann. Und jeder wusste, dass die größte Gefahr für die Weltwirtschaft von der drohenden Invasion in Taiwan ausgeht. Der Kontrast zwischen Selbstinszenierung und Realität jedenfalls klaffte bei keinem Auftritt so auseinander wie bei Li Qiang. 

Apropos Moskau: Russinnen und Russen, selbst jene aus der Zivilgesellschaft, suchte man in Davos vergebens. Sie wurden gleich ganz verbannt, obwohl sie als Gesprächspartner sicherlich zu den interessantesten gehört hätten. 

Das offensichtliche Kalkül dahinter: Wenn ich jemanden ausklammere, bringt er auch keine Probleme mit – nur dass diese Attitüde nicht so recht zum Anspruch des WEF passen will, neutrale Plattform zu sein. 

Trump könnte alles demontieren, wofür Davos steht

Für die größte Irritation in den fünf Tagen Davos sorgte freilich die Aussicht, dass Donald Trump bald wieder die Führungsmacht des freien Westens regieren könnte. Die demokratische Welt stünde ohne Schutzmacht da.

Die Weltmacht selbst würde sich wirkmächtig an die Demontage des demokratischen Rechtsstaats machen. Das kann den mächtigen Wirtschaftslenkern nicht egal sein.

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Davos – das war viele Jahre ein nicht selten verspottetes Wohlfühlereignis der globalen Eliten. Eliten, die der festen Überzeugung waren, dass freie Märkte und zunehmende ökonomische Verflechtung aus der Welt einen besseren Ort machen würden.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Und der Verdacht, dass sich die Protagonisten in dieser dann doch recht abgehobenen Parallelwelt immer auch ihrer eigenen Bedeutung vergewissern, ist nicht ganz ausgeräumt. Auch die angereisten Journalisten, die die Nähe der Mächtigen sicherlich genießen, sind davor nicht gefeit. 

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