Pro & Contra: Innovativer Trend oder die nächste Spekulationsblase – Ist der Hype um Krypto-Sammlerobjekte gerechtfertigt?

Sophia wurde vom Hongkonger Unternehmen Hanson Robotics geschaffen. Ihre Gemälde kommen durch künstliche Intelligenz zustande.
Pro: Die Avantgarde moderner Finanztechnik rechtfertigt die Bewertungen
von Mareike Müller
69 Millionen Dollar für ein digitales Kunstwerk? Scheinbar absurd. 240.000 Dollar für ein Video, in dem ein Basketballer einen Korb wirft, oder eine halbe Million für ein Katzen-Gif: grotesk?
Beim aktuellen Internethype um sogenannte NFTs sind solche Summen beinahe Alltag. Das Kürzel steht für Non Fungible Tokens, eine Art digitales Echtheitszertifikat, das auf der Blockchain-Technik basiert, die auch hinter der Kryptowährung Bitcoin steht. Kurz gesagt machen NFTs virtuelle Sammlerobjekte wie digitale Kunst, Musik oder Tweets fälschungssicher und damit handelbar.
Warum so viel Geld ausgeben, um etwas zu besitzen, das sich jeder frei im Internet anschauen kann? Die Antwort lautet: Wer den NFT besitzt, besitzt das eine Original – oder mindestens einen Teil einer streng limitierten Auflage, bei der sich alle Exemplare minimal unterscheiden.
Wie viel das wert ist, bestimmt einzig und allein der Markt. Ist ein Gut limitiert, steigt der Preis je nach Nachfrage. Das gilt auch für die digitale Welt.
Eine junge, technikaffine Gemeinschaft entscheidet gerade: Digitale Token sind uns wichtig, und wir sind bereit, viel Geld dafür auszugeben. Das ist gut so. Denn dahinter steckt weit mehr als hedonistischer Spaß von Leuten, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld:
Viele Menschen nutzen die Technologie bereits: Wer Fußball liebt, kauft sich digitale Sammelkarten. Musikliebhaber investieren in die erste Aufnahme eines geliebten Songs. Diese Investoren bilden die Avantgarde moderner Finanztechnik. Sie wissen, wie die Blockchain funktioniert, was Kryptowährungen sind und wie sich Vermögenswerte digital absichern lassen.
Natürlich kann sich der NFT-Hype zur Blase entwickeln, die mit lautem Knall platzt. Wahrscheinlicher ist aber eine schlichte Korrektur. Die Gefahren halten sich also in Grenzen, solange man die Regeln für alle spekulativen Anlageklassen einhält: Setze nur Kapital ein, das du bereit bist zu verlieren.
So können NFTs sogar ein klassisches Depot bereichern. Denn in ein gutes Portfolio gehört auch immer ein kleiner spekulativer Anteil. Und der kann auch aus NFTs für Computerspiel-Katzen oder NBA-Stars bestehen. Er darf ruhig Spaß machen.

Fast 70 Millionen Dollar brachte das digitale Kunstwerk in Form eines NFTs bei der Versteigerung durch das Auktionshaus Christie's ein.
Contra: Der Hype um digitale Zertifikate ist ein Schneeballsystem
von Michael Maisch
Was fängt man bloß mit einem virtuellen Designer-Turnschuh an? Es gibt offenbar eine erkleckliche Anzahl von Menschen, die die Antwort auf diese Frage zu kennen glauben. Zumindest kann man auf der Internetplattform RTFKT Tausende Dollar für knallbunte Sportschuh-Unikate ausgeben, die nur im Cyberspace existieren.
Dank der gerade in Mode gekommenen NFT-Technik können die Freunde seltener immaterieller und teurer Sneakers ihre Leidenschaft ungebremst ausleben. Das Gleiche gilt für die Liebhaber anderer Sammelobjekte von hehrer Kunst bis zu profanen Fußballbildchen.
Das klingt nicht nur merkwürdig, das ist es auch. Der NFT-Hype ist ein weiteres Indiz für die spätdekadente Party an den globalen Finanzmärkten, die irgendwann mit einem gigantischen Kater enden wird.
Hinter der neuen Cyber-Sammelleidenschaft stecken zwei Phänomene: der Reiz der neuen Technik und die Liquiditätsschwemme, die in immer exotischere Märkte vordringt. Tragfähig sind beide Trends nicht.
Der Reiz des Neuen wird sich schnell erschöpfen, und sobald die weltweite Investorengemeinde ernsthaft nervös wird, wird die Liquidität zuerst aus den riskantesten und entlegensten Teilen des Marktes verschwinden – und dazu zählen zweifellos die NFTs.
Dann wird sich zeigen, dass Phänomene wie der Hype um die einzigartigen Krypto-Tokens nichts anderes als Schneeballsysteme sind. Investoren auf der verzweifelten Suche nach Rendite treiben die Preise für immer obskurere Vermögenswerte in die Höhe, das lockt Spekulanten an, die die Inflation weiter anheizen. Die großen Verlierer werden diejenigen sein, die als Letzte einsteigen und noch Geld auf dem Tisch haben, wenn die schlaueren Spekulanten längst ausgestiegen sind.


Die entscheidende Frage lautet, wann wird aus Sammelleidenschaft Spekulation? Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal: Dem Sammler geht es um den Besitz des begehrten Gutes, dem Spekulanten um den möglichst gewinnträchtigen Handel. Die Grenzen sind fließend, aber im NFT-Markt scheinen sie sich in rasantem Tempo in Richtung Spekulation zu verschieben.
Am Anfang der berühmt berüchtigten Tulpenmanie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts stand vermutlich auch die unschuldige Freude an den seltenen bunten Blüten. Wie das Ganze endete, ist hinlänglich bekannt. Auch nach knapp 400 Jahren gilt die holländische Tulpenhysterie noch immer als die Mutter aller Spekulationsblasen. Die jüngste bläht sich gerade am NFT-Markt auf.
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