Pro und Contra: Sollte Franziska Giffey auf ihr Bürgermeisteramt verzichten?


Die Amtsinhaberin bekam nicht das Ergebnis, das sie sich gewünscht hatte.
Franziska Giffey hätte sich den Wahlabend sicherlich schöner vorgestellt, ihre SPD erzielte am Sonntag in Berlin ein historisch schlechtes Ergebnis. Trotzdem erklärte die Sozialdemokratin, wolle sie am bisherigen Bündnis festhalten. Müsste sich Giffey nach ihrer Wahlniederlage von der Macht verabschieden?
Pro: Jetzt isch over!
von Thomas Sigmund
Man möchte der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin gern zurufen, wie es einst Wolfgang Schäuble bei den Griechen gemacht hat: Franziska Giffey, jetzt isch over! Die SPD-Frau steht vor dem politischen Bankrott, will aber einfach weitermachen.
Es reicht ihr offenbar nicht, dass sie die Stadt, an deren Spitze einst sozialdemokratische Galionsfiguren wie Ernst Reuter und Willy Brandt standen, an einen Tiefpunkt regiert hat. Das schadet der SPD, aber vor allem den Berlinerinnen und Berlinern.
Das Argument, SPD, Grüne und Linkspartei hätten eine Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus, mag machtpolitisch richtig sein. Mit der allgemeinen Stimmung in Berlin hat das aber nichts zu tun.
Die Bürger wollen einfach eine Stadt, die besser regiert wird.
Deshalb haben sie ja die SPD und Giffey, die auch ihr Direktmandat verloren hat, abgewählt. Was sollen die Bürger eigentlich sonst noch tun? Eine Bürgermeisterin, die an der Macht klebt, wird ihren Job jedenfalls auch nicht besser machen.
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Giffey ist als bodenständige und pragmatische Politikerin in Berlin gestartet. Doch dann kam die große Enttäuschung. Grüne und Linkspartei werden sie in möglichen Koalitionsverhandlungen weiter wie eine Zitrone auspressen – und Giffey muss mitspielen, nur damit sie Bürgermeisterin bleiben kann.
Ihr politischer Ziehvater Heinz Buschkowsky unterstellte ihr eine „gewisse Karrieregeilheit“.
Die deutsche Hauptstadt hat Besseres verdient. Und dafür braucht es einen politischen Wechsel – und keine Ausführungen zur Mehrheitsfindung im parlamentarischen System wie in einem Proseminar. Mit einer Koalition der Wahlverlierer geht das nicht.
Die Bürger sind die Misere in der Schul-, ‧Verkehrs-, Migrations- und Sicherheitspolitik leid. Ganz zu schweigen von dem allgemeinen Elend in der Berliner Verwaltung und dem Wohnungsnotstand.
Franziska Giffey sollte den Weg frei machen für eine Koalition mit dem Wahlgewinner CDU. Ob es dann mit der SPD oder den Grünen klappt, ist schon einerlei.
Contra: Wer das Bündnis hat, ist Sieger
von Teresa Stiens
Nicht nur Berlin, sondern ganz Deutschland diskutiert eine Frage: Darf Franziska Giffey trotz ihres historisch schlechten Wahlergebnisses und trotz eines Sieges der CDU die Hauptstadt regieren? Ja, sie darf. Ob es für Giffey die richtige Entscheidung wäre, „Regierende“ zu bleiben, oder ob nicht eine Regeneration in der Opposition der Berliner SPD guttun würde, muss sie selbst entscheiden. Doch aus dem Wahlsieg der Union einen automatisch geltenden Regierungsanspruch für die Konservativen um Kai Wegner abzuleiten wäre falsch.
Denn unsere Demokratie basiert darauf, dass sich Bündnisse zusammenschließen und Kompromisse ausgehandelt werden. Wer das schafft und die Mehrheit im Parlament hinter sich hat, darf die Macht übernehmen. In Frankreich, Großbritannien und den USA, wo es ein Mehrheitswahlrecht gibt, ist das anders.

Folgt aus dem Wahlsieg der Konservativen auch automatisch ein Machtanspruch?
Ob dort allerdings der Wählerwille besser zum Ausdruck kommt, darf bezweifelt werden – schließlich finden die Stimmen der Minderheiten so gar kein Gehör. Wir Deutschen haben uns stattdessen eine unbequeme Form der Mitbestimmung ausgesucht.
In einer Zeit, als zwei Volksparteien und die Liberalen die Mehrheiten unter sich ausmachten, waren die Verhältnisse noch klarer. Die FDP spielte trotz ihres geringen Stimmenanteils jahrzehntelang die Rolle des „Kanzlermachers“. Auch zu jener Zeit stellte die Partei mit den meisten Stimmen nicht automatisch den Regierungschef.






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Heute sind Grüne, Linke und AfD mit dabei, die Bündnisbildung ist noch komplexer. Das ist für die Berliner CDU ein Problem, die keine Mitte-rechts-Koalition mehr bilden kann, weil ihre potenziellen Partner sich entweder selbst verzwergen (FDP) oder für eine Regierungsbeteiligung nicht infrage kommen (AfD).
Am Ende, und das ist die gute Nachricht, entscheiden bei uns vor allem Inhalte darüber, wer regieren darf und wer nicht. Das Berliner Linksbündnis „R2G“ hat bisher die meisten Überschneidungen – und eine Mehrheit. Wenn die CDU Giffey verhindern und selbst regieren will, muss sie ihren Bündnispartnern also überzeugende Kompromisse anbieten und darf sich nicht auf ihrem Wahlsieg ausruhen. Ob das gelingen wird, darin liegt die eigentlich entscheidende Frage, die sich Berlin jetzt stellen sollte.
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