Kommentar: Robert Habeck und Ludwig Erhard trennen Welten


Vor dem Grünen-Parteitag an diesem Wochenende hat Robert Habeck die Kanzlerschaft noch nicht abgeschrieben. Trotz der Debatte um Sozialbeiträge auf Zinsen und Dividenden, den innerparteilichen Sexismus-Skandal um einen Berliner Abgeordneten und die für die Grünen schwierige Migrationsdebatte übt sich Habeck in Zweckoptimismus.
Dabei ist das Wirtschaftsministerium nicht das beste Sprungbrett zur Kanzlerschaft. Lediglich der Übervater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, hat es aus diesem Amt zum Kanzler gebracht. Doch die beiden haben nichts gemeinsam – aus vier Gründen trennen sie Welten.
Erstens: Erhard war ein Anti-Politiker, Habeck hat eine lupenreine Parteikarriere hingelegt. Bis heute streiten sich die Historiker, ob Erhard einen Aufnahmeantrag für die CDU unterschrieben hat, deren Vorsitzender er wurde. Legendär sind seine Auseinandersetzungen mit dem gewieften Politprofi Konrad Adenauer, der ihn etwa vor der Gründung des Sachverständigenrates mit der Frage warnte: „Wollen Sie sich wirklich eine Laus in den Pelz setzen?“ Erhard wollte.
Ihm ging es um die Sache, er war offen für ökonomische Argumente. Habecks Weg führte über die Partei nach oben. Er war Fraktionschef im Landtag, dann Umwelt- und Landwirtschaftsminister und Bundesvorsitzender der Grünen. Dabei stilisiert er sich gerne als Anti-Politiker. Das Gegenteil ist der Fall.
Zweitens: Der Ökonom trifft den Philosophen. Der füllige Franke war mit Leib und Seele Volkswirt und hatte sein ganzes Leben der Wirtschaft und ihren wissenschaftlichen Grundlagen gewidmet. Seine Bibel hieß „Wohlstand für alle“. Wenn er morgens aufstand, brauchte er seinen ordnungspolitischen Kompass nicht zu suchen. Ludwig Erhard stand für einen klaren Kurs der Verlässlichkeit, er setzte auf Rahmenbedingungen, Wettbewerb und den Kampf gegen Oligopole. Der Preismechanismus war für ihn der Kern der Sozialen Marktwirtschaft.

Mit dieser ordoliberalen Denkschule kann Habeck wenig anfangen. Sein neuestes Buch heißt „Den Bach rauf“, obwohl es wirtschaftspolitisch den Bach runter geht. Wenn er Ökonomen zitiert, meint er meist progressive Ökonomen. Das ist nichts anderes als eine Chiffre für linke Wirtschaftspolitik. Erhard wollte einen Staat, der ordnet, nicht lenkt. Habeck will einen Staat, der lenkt und ordnet. Die Maximen seiner Ökonomie sind eine hohe Staatsquote, hohe Einzelsubventionen und eine nicht nachhaltige Verschuldung.
Habeck ist nicht der erste Wirtschaftsminister, der der Versuchung erlegen ist, mit viel Staatsgeld in die Strukturen der Wirtschaft einzugreifen. Selbst der „Marktgraf“ Lambsdorff (FDP) verteilte Subventionen an die AEG.
Aber Habeck hat Erfahrungen gemacht, die viele Subventionsgeber vor ihm auch schon hinnehmen mussten: Manches wird einfach versemmelt wie die Batterieförderung für Northvolt. Oder man wird zum Spielball einzelner Konzerne wie Intel, die immerhin zehn Milliarden an Steuergeldern abgreifen wollten, bis sie keine Lust mehr hatten, überhaupt in Deutschland zu investieren.
Die Prachtexemplare der CSU
Drittens haben Erhard und Habeck eine völlig unterschiedliche Bilanz ihrer Arbeit. Der Vater des Wirtschaftswunders war als Minister beliebt und erfolgreich. Die Wirtschaftsbilanz von Robert Habeck ist nur mit gutem Willen als noch durchwachsen zu bezeichnen. Er hat eine der längsten Schwächephasen der deutschen Wirtschaft zu verantworten.
Markus Söder von der CSU hält ihn sogar für den schlechtesten Wirtschaftsminister aller Zeiten. Das mag eine politische Übertreibung sein, denn immerhin hat das Wirtschaftsministerium mit dem lustlosen Michael Glos und dem hochstapelnden Karl-Theodor zu Guttenberg zwei Prachtexemplare von CSU-Ministern hervorgebracht, die sicher keinen besseren Job gemacht haben als Habeck. Aber mit Erhard kann sich Habeck nicht messen.
Viertens: Erhards Ministerium war der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet. Die Grundsatzabteilung war für ihn die Nummer eins im eigenen Haus. Sie war seine ordnungspolitische Leibgarde, die in der gesamten Regierung aufpasste, dass die marktwirtschaftlichen Mechanismen nicht zu sehr außer Kraft gesetzt wurden.

Heute ist die Grundsatzabteilung ein Schatten ihrer selbst. Habeck hat das Ministerium massiv umgebaut. Klimaschutz steht zwar im Titel des Hauses an zweiter Stelle. Doch im Machtgefüge dominieren grüne Themen. Es gibt nicht nur eine Grundsatzabteilung Klimaschutz, sondern auch eine Industrieabteilung, die sich fast ausschließlich der grünen Transformation verschreiben musste. Dann gibt es zwei Energieabteilungen, von denen eine für das viel diskutierte Heizungsgesetz zuständig ist und die andere den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie organisiert hat.
Anhänger des Helikopter-Geldes beraten Habeck
In wirtschaftspolitischen Grundsatzfragen lässt sich Habeck von einer ehemaligen Blackrock-Volkswirtin beraten, die in ihrer früheren Tätigkeit durchaus Sympathien für das sogenannte Helikoptergeld gezeigt hat. Vor der Pandemie gab es viele linke Ökonomen, die die These vertraten, die Zentralbanken sollten das Geld wie mit dem Hubschrauber unter die Leute bringen, weil Inflation keine Rolle mehr spiele.

Nach einer Phase mit fast zweistelligen Inflationsraten hört man heute nicht mehr viel davon. Für Ludwig Erhard war ein stabiler Geldwert genauso wichtig wie Privateigentum. Er hatte die Erfahrung gemacht: Wenn das Geld schlecht wird, wird alles schlecht.
Was bleibt unter dem Strich? Habeck hat sich bewusst nicht in die Tradition von Ludwig Erhard gestellt. Das Porträt von Erhard in XXL-Format in der Ahnengalerie der Wirtschaftsminister wurde auf Normalmaß gestutzt und seine Büste ist ebenfalls verschwunden. Habeck und Erhard trennen eben Welten.
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