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Soziale GerechtigkeitStaatliche Umverteilung löst keine Probleme

Die Rufe nach mehr sozialer Gerechtigkeit sind berechtigt. Doch eine Debatte über die Umverteilung von Reich zu Arm führt zu nichts. Stattdessen sollte der Staat lieber die Chancen der einkommensschwachen Familien erhöhen.Torsten Riecke 14.01.2012 - 15:30 Uhr Artikel anhören

Torsten Riecke leitet das Ressort Meinung und Analyse beim Handelsblatt.

Foto: Pablo Castagnola [M]

Düsseldorf. Kaum etwas treibt die Menschen in Krisenzeiten derart um wie der Wunsch nach Gerechtigkeit. Die deutschen Sozialdemokraten wollen 2013 unter dem Banner der sozialen Gerechtigkeit in die Bundestagswahlen ziehen. Spitzensteuersatz, Mindestlohn, Börsensteuer sind nur einige Stichworte, die von den Sozis dabei ins Feld geführt werden. Auch Barack Obama macht in Amerika Wahlkampf mit dem Versprechen, für „social justice“ zu sorgen. Und die „Occupy“-Bewegung ist nichts anderes als der Ruf nach einer gerechteren Verteilung der Lasten aus Finanz- und Schuldenkrise.

Fast immer geht es also um Umverteilung von Reich zu Arm – und fast immer soll der Staat als Robin Hood für Gerechtigkeit sorgen. So verständlich und berechtigt der Wunsch nach mehr Fairness ist, eine Debatte über eine staatliche Umverteilung führt uns wieder zurück in die Schützengräben eines ideologischen Stellungskrieges: keine Bewegung und hohe Verluste für alle. Besser wäre es, die vorhandenen Mittel des Staates gerechter zu verteilen und die Erfolgreichen bei ihrem Eigeninteresse zu packen.

Das Problem beginnt bereits damit, dass es, wie der Theologe Hans Küng feststellt, viel einfacher ist, Ungerechtigkeit zu benennen, als Gerechtigkeit zu definieren – geschweige denn, sie herzustellen. Wenn Manager und Banker trotz eklatanter Fehlleistungen Boni in zweistelliger Millionenhöhe kassieren, Privatanleger und Facharbeiter dagegen ihre Vermögen oder ihren Arbeitsplatz verlieren, werden sich fast alle einig sein, dass dies eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist.

Aber ist es etwa gerecht, der Wirtschaft einen allgemeinen Mindestlohn zu verpassen, wenn dadurch zugleich viele Billigjobs wieder verschwinden? Da wird es schon schwieriger. Wollen wir also lieber wieder Massenarbeitslosigkeit mit Steuergeldern alimentieren oder den Betroffenen durch zweifellos schlecht bezahlte Jobs zumindest die Chance geben, ihre Situation zu verbessern und ihr Leben selbst zu gestalten?

Halt, werden jetzt die Gewerkschaften sagen. Der Blick in die Einkommensstatistik zeige doch, dass die Ungleichheit in Deutschland stark zugenommen habe. Richtig. Nur: Wenn wir mehr Menschen in Arbeit mit niedrigen Löhnen bringen, kommt es unweigerlich zu einer Verschiebung der Einkommensverteilung. Wer das als ungerecht brandmarkt, muss die Frage beantworten, ob der Zustand hoher Arbeitslosigkeit unter den Geringqualifizierten gepaart mit einer weniger ungleichen Einkommensverteilung unter den Beschäftigten gerechter ist.

Denn um diese Alternative geht es. Die Vorstellung, man könne der Wirtschaft einen Mindestlohn vorschreiben und zugleich darauf hoffen, dass die Unternehmen mehr Leute einstellen, widerspricht den Erfahrungen, die wir in Deutschland mit den Arbeitsmarktreformen gemacht haben.

Unscharf wird die Gerechtigkeitsdebatte auch beim Thema Spitzensteuersatz. Die Befürworter sagen, es sei nur gerecht, wenn diejenigen mit breiten Schultern mehr Lasten tragen als bisher. Das ist jedoch mehr ein Aufruf zur Solidarität als zur Leistungsgerechtigkeit. Wenn wir die Anreize zur Mehrarbeit immer stärker reduzieren, können wir die Gerechtigkeitsdebatte bald beenden. Warum? Weil es dann immer weniger zu verteilen gibt. Es mag widersprüchlich klingen und bleibt dennoch richtig: Wer möchte, dass unten mehr vom Reichtum einer Gesellschaft ankommt, wird das nur durch mehr Leistungsgerechtigkeit auch für die oben erreichen. Wer einfach den Spitzensteuersatz erhöht, würgt jedoch die Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft ab. Warum soll man den zusätzlichen „Meter“ gehen, wenn man dafür nur mit knapp der Hälfte belohnt wird?

Müssen wir uns also mit einer zutiefst ungerechten Welt abfinden? Nicht unbedingt. Statt den von allen erarbeiteten Reichtum nach dubiosen Gerechtigkeitsvorstellungen platt umzuverteilen, sollte der Staat lieber die Chancen der einkommensschwachen Familien erhöhen und die soziale Mobilität verbessern. Das hat viel mit Bildung zu tun. Auch das kostet etwas, doch darf man daraus nicht wie in Deutschland sofort den Schluss ziehen, die Steuern zu erhöhen. Jörg Dräger von der Bertelsmann Stiftung hat diese Woche im Handelsblatt (Ausgabe vom 11. Januar) ein paar Wege aufgezeigt, wie sich durch eine Umverteilung staatlicher Ausgaben die Bildungschancen von sozial Schwächeren gezielt verbessern lassen.

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Dass für eine solche Politik auch mehr private Mittel mobilisiert werden können, zeigen die zahlreichen, von vermögenden Privatleuten geförderten Bildungsprojekte. Hier zeigt sich übrigens nicht nur das „Gutmenschentum“ einiger weniger. Vielmehr wächst unter den Erfolgreichen der Gesellschaft die Erkenntnis, dass mehr Gerechtigkeit in ihrem ureigensten Interesse liegt. Ist doch Fairness im Sinne einer Leistungsgerechtigkeit der Kitt, der eine Gesellschaft von unten bis oben zusammenhält.

Der Autor leitet das Ressort Meinung und Analyse. Sie erreichen ihn unter: riecke@handelsblatt.com

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