Morning Briefing: In der Wirtschaftspolitik tut sich ein Graben auf

In der Wirtschaftspolitik tut sich ein tiefer Graben auf
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
kannten Sie bis vorgestern das Wort „Tünkram“? Olaf Scholz hat den plattdeutschen Ausdruck, der so viel bedeutet wie „wertloses Zeug“, zurück in die öffentliche Wahrnehmung gebracht. Am Dienstagabend sagte er im ZDF-Heute-Journal den Satz „Fritze Merz erzählt gerne Tünkram“. Eine Provokation nicht nur wegen des plattdeutschen Wortes, sondern vor allem wegen der despektierlichen Bezeichnung seines politischen Gegners.
Handelsblatt-Co-Politikchefin Leila Al-Serori schätzt: „Offenbar will der Kanzler seinen Herausforderer so lange reizen, bis dieser sich vor lauter Empörung einen echten Fauxpas erlaubt.“
Sie ist der Meinung, dass die gegenseitigen Angriffe zwischen Scholz und Merz in ihrer Schärfe über das Ziel hinausschießen. „Wer Respekt einfordert, muss ihn auch dem politischen Gegner entgegenbringen“, schreibt meine Kollegin.

Doch im Wahlkampf geht es ja eigentlich gar nicht um Personalien, sondern um Inhalte. Das zumindest betonen die Wahlkämpfenden selbst in regelmäßigen Abständen. Lassen Sie uns also einen Blick auf die Inhalte der Parteien werfen und uns der wichtigen Frage widmen, wie sie der lahmenden deutschen Wirtschaft wieder Dynamik verleihen wollen.
· Wirtschaftswende: Union und FDP wollen die steuerliche Belastung von Unternehmen auf maximal 25 Prozent senken. Die Grünen hingegen haben eine zehnprozentige Investitionsprämie vorgeschlagen. Diese Forderung findet sich nun auch im SPD-Programm. Alle Parteien wollen Bürokratie abbauen, wenn auch in unterschiedlicher Form.
· Steuern und Finanzen: Die Union will die Einkommensteuer senken, außerdem soll der Spitzensteuersatz erst ab höheren Einkommen greifen. Das unterstützt auch die FDP. Die Schuldenbremse wollen beide nicht lockern. Die SPD möchte 95 Prozent der Arbeitnehmer entlasten und die Mehrwertsteuer für Lebensmittel senken. Grüne und SPD wollen die Vermögensteuer von „Superreichen“ und Kapitalerträge stärker besteuern. Die Grünen wollen zur Finanzierung einen mit Krediten befüllten „Deutschlandfonds“ aufsetzen.
· Wohnen: Deutliche Unterschiede gibt es bei der Frage, ob die Mieten weiter reguliert werden müssen. Ja, finden SPD und Grüne. Tendenziell nein, finden Union und FDP.
In der Wirtschafts- und Finanzpolitik zeigt sich ein tiefer Graben zwischen Union und FDP rechts der Mitte und Grünen und SPD links der Mitte. Doch die Chancen stehen hoch, dass dieser Graben in der kommenden Regierungskoalition überwunden werden muss. Denn weder für schwarz-gelb noch für rot-grün gibt es laut aktuellen Umfragen eine Mehrheit.

Die CDU möchte im Falle einer Regierungsbeteiligung das „Heizungsgesetz“ wieder zurückdrehen. In der ARD-Talkshow „Maischberger“ kündigte Kanzlerkandidat Friedrich Merz an, das Gesetz zu „korrigieren, und zwar auf den ursprünglichen Bestand wieder zurückzubringen“. Die Heizungsbauer hämmern deshalb jetzt frustriert den Kopf auf ihre frisch installierten Wärmepumpen. Für sie ist das Hin und Her der Politik ein großes Problem.
Während die Hersteller jahrelang um ihr lukratives Geschäft mit Öl- und Gasheizungen gekämpft hatten, setzen sie jetzt voll auf den Technologiewandel und haben Milliarden in den Umstieg auf Wärmepumpen investiert. Norbert Schiedeck, Chef des Heiztechnik-Unternehmens Vaillant, erklärt:
Industrieunternehmen hätten entsprechende Investitionen getätigt, das Handwerk habe die Ausbildung vorangetrieben, Immobilienbesitzer hätten Klarheit darüber, welche Technologien in ihrem Gebäude eingesetzt werden dürfen.
Das Hin und Her kommt zu Unzeiten, denn der Heizungsmarkt steckt in der Krise. Die Absatzzahlen der Hersteller sind im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent eingebrochen. Jetzt ist die Angst groß, dass ein politischer Schlingerkurs den Markt zusätzlich lähmen könnte.
Der Regierungschef wirft die Finanzministerin raus, verursacht eine Regierungskrise, ist in der eigenen Bevölkerung unbeliebt und steht selbst vor einer unsicheren Zukunft. Kommt Ihnen dieses Drehbuch bekannt vor? Die Rede ist diesmal nicht vom Ampel-Aus, sondern von Kanada, das nach einem ähnlichen Skript wie Deutschland gerade in eine Regierungskrise schlittert.

Der liberale Premierminister Justin Trudeau musste seine Finanzministerin Chrystia Freeland ziehen lassen und sieht sich jetzt auch von Mitgliedern seiner eigenen Partei mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. In Ottawa wird weniger darüber diskutiert, ob Trudeau die Liberale Partei kommendes Jahr in die Wahl führt, sondern, wie lange er sich noch im Amt halten kann.
Bei der Drogeriemarktkette dm bekommen Sie mittlerweile fast alles: Zahnpasta, Windeln oder Rote-Bete-Saft. Bald könnten auch noch Medikamente hinzukommen. Denn die größte deutsche Drogeriemarktkette steigt in den Apothekenmarkt ein. Im Regal werden die rezeptfreien Arzneimittel allerdings nicht zu finden sein, denn geplant ist ausschließlich der Onlinehandel. Marktteilnehmer gehen von einem Start im Sommer aus, dm will sich aber auf keinen Termin festlegen.
Das Unternehmen aus Karlsruhe betritt damit einen wachsenden Milliardenmarkt. Die potenziellen Partner beurteilen den Schritt positiv. „Ich halte das für einen extrem guten strategischen Zug von dm“, sagt ein Topmanager eines Arzneimittelherstellers, „ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, dass sie es nicht schon viel früher gemacht haben“.

Stationäre Apotheken hingegen dürften von dem Schritt wenig begeistert sein. Sie sehen sich schon jetzt zunehmender Konkurrenz durch den Onlinehandel ausgesetzt. Die Zahl der stationären Apotheken in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren von mehr als 20.000 auf weniger als 17.300 gesunken.
Unsere heutige Abschlussfrage von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, lautet:
Hat man eigentlich irgendwann mal keinen „Bock“ mehr auf eine Story, wenn sich eine Sache unendlich in die Länge zieht?
Es gibt Themen, die tauchen über mehrere Tage, Wochen oder Monate immer wieder auf. Dazu zählen die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten aber auch die Übernahme der Commerzbank oder der Kollaps der Credit Suisse. Ich persönlich finde solche „Themenkarrieren“ spannend und fiebere auf die Fortsetzung hin wie bei einer guten Netflix-Serie. Abgesehen natürlich von Krieg, Tod und Leid, die mich auch als Schreiberin belasten.
Wenn mich ein Thema irgendwann langweilt, gehe ich davon aus, dass sich auch die Leserinnen und Leser langweilen würden – und lasse es dann damit auch gut sein.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, an dem Sie sich immer wieder aufs Neue begeistern können.





Es grüßt Sie herzlich
Ihre
Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt





