Coronakrise „Kostet Steuerzahler Milliarden“: Wie die Wirtschaft auf den Impfstopp reagiert

Das Impftempo dürfte sich durch das Aussetzungen der Impfungen mit Astra-Zeneca deutlich verlangsamen.
Berlin An diesem Mittwoch wollten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten eigentlich zu einem Impfgipfel zusammenschalten. Es sollte darum gehen, wie das Impftempo in Deutschland beschleunigt werden kann – auch mit einer Einbindung der 75.000 Praxen von Haus- und Fachärzten.
Doch der Gipfel wurde verschoben, nachdem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) die Verimpfung des Mittels von Astra-Zeneca vorläufig gestoppt hat. Solange der weitere Einsatz des Präparats nicht geklärt ist, steht eine Beschleunigung der Impfungen nicht auf der Tagesordnung.
Nach den Entscheidungen der Regierungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, ein mögliches Risiko von Blutgerinnseln im Gehirn nach einer Astra-Zeneca-Impfung überprüfen zu lassen, ist die Verunsicherung groß. Die Auswirkungen auf den Kampf gegen die Pandemie treiben auch Unternehmen um: Verzögert sich die erhoffte Rückkehr zur Normalität?
Der Handelsverband HDE warnte nach der Aussetzung von Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astra-Zeneca vor falschen Konsequenzen: „Den Handel in einen erneuten Lockdown zu schicken wäre fatal“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Handelsblatt.
„Viele Händler stehen am Rand ihrer Existenz. Und das, obwohl das Ansteckungsrisiko im Handel gering ist.“ Um die Pandemie effektiv einzudämmen, hält Genth eine funktionierende Impfstrategie für zwingend erforderlich. Sie sei ein „zentraler Baustein“ für den Weg aus der Coronakrise. „Daher muss die Bundesregierung sowohl bei der Beschaffung sicherer Impfstoffe als auch bei der Verimpfung nun endlich mehr Tempo machen“, mahnte Genth. „Dazu sollten auch die Betriebsärzte in die Impfstrategie einbezogen werden.“
Der Mittelstandsverbund ZGV, der nach eigenen Angaben die Interessen von etwa 230.000 mittelständischen Unternehmen vertritt, übte scharfe Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung. „Die Expertenmeinung, dass durch Aussetzung der Impfung mit dem Präparat mehr Menschen an Corona-Folgen schwer erkranken oder gar sterben als durch die Fortsetzung des Impfens, wurde von den politischen Entscheidungsträgern nicht ausreichend gewürdigt“, sagte Verbands-Hauptgeschäftsführer Ludwig Veltmann. „Auch ist der Imageschaden des Impfstoffs durch die Aussetzung seiner Anwendung verheerend.“
Veltmann warnte vor neuen Corona-Beschränkungen. Eines der „falschesten Signale“ wäre nun das Inkraftsetzen der im jüngsten Bund-Länder-Beschluss verankerten „Notbremse“ in Form eines erneuten großflächigen Lockdowns. „Richtig dagegen wäre ein konsequentes und auf Hotspots gezieltes Vorgehen“, sagte er.
Impfstart bei Haus- und Fachärzten könnte sich verzögern
Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kann die Impfpause bei Astra-Zeneca Milliarden kosten. „Wird der Impfstoff von Astra-Zeneca für eine Woche ausgesetzt, bedeutet das eine halbe Woche späteren Impfschutz und im Zweifel auch eine halbe Woche längeren Lockdown“, sagt IW-Experte Hubertus Bardt. „Die gesamtwirtschaftlichen Kosten sind dann schnell bei zwei Milliarden Euro.“ Wenn die Verzögerung dazu führe, dass der Wettlauf gegen die dritte Corona-Welle endgültig verloren gehe, seien die Kosten „sicher noch deutlich höher“.
Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Familienunternehmerverbandes, kritisiert: „Der Impfstoff-Stopp kostet vor allem Vertrauen in das Krisenmanagement dieser Regierung, er kostet aber auch weitere Milliarden für den Steuerzahler, er kostet Wirtschaftskraft, unternehmerische Existenzen und Arbeitsplätze.“

Die EMA will am Donnerstag über den Impfstoff entscheiden.
Um einen erneuten Lockdown zu verhindern, müsse man die Wirtschaft stärker einbeziehen. „Viele Betriebe stehen in den Startlöchern, sie sind bereit zum Testen und Impfen“, sagte Eben-Worlée. Eine repräsentative Umfrage des Verbands unter den Mitgliedsunternehmen zeigt die hohe Impfbereitschaft der Firmen. Fast 90 Prozent können sich vorstellen, ihre Mitarbeiter durch den Betriebsarzt impfen zu lassen.
Bis ausreichend Impfstoffdosen verfügbar sind, um auch die Betriebsärzte einzubinden, wird aber noch einige Zeit vergehen. Geimpft wird derzeit noch in den Impfzentren und durch mobile Teams, die in Pflegeheime oder Krankenhäuser fahren. Im April sollen die Haus- und Fachärzte einsteigen. Auf einen genauen Starttermin konnten sich Bund und Länder wegen fehlender Impfdosen schon vor der Astra-Zeneca-Pause nicht einigen.
Nun könnte er tendenziell noch weiter nach hinten rücken. „Von den 60 Millionen Impfdosen, die im zweiten Quartal fest eingeplant sind, entfallen rund 17 Millionen auf Astra-Zeneca“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, dem Handelsblatt. „Und wenn die auch nur vorübergehend ausfallen, dann wird es schwieriger, mit dem Impfen in den Praxen zu beginnen.“
EMA will am Donnerstag über Astra-Zeneca entscheiden
Die Experte des PEI hatten am Montag empfohlen, wegen der „in Deutschland und Europa aufgetretenen schwerwiegenden thrombotischen Ereignisse“ die Impfungen mit Astra-Zeneca auszusetzen. Bei bislang mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit Astra-Zeneca in Deutschland sind nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums bislang sieben solcher Fälle registriert worden – davon drei Todesfälle. Betroffen seien jüngere Menschen und insbesondere Frauen. Auch aus anderen europäischen Ländern wurden derartige Fälle gemeldet. Spahn sprach von einer „Vorsichtsmaßnahme“.
Die europäische Arzneimittelagentur EMA soll am Donnerstag entscheiden, ob sie die Ende Januar erfolgte Zulassung von Astra-Zeneca ändert. Die Signale aus der in Amsterdam ansässigen Behörde deuten nicht darauf hin, dass sich die Einschätzung des Impfstoffs gewandelt hat. Solange die Untersuchungen der EU-Behörde andauerten, sei man entschieden überzeugt, dass die Vorteile des Vakzins bei der Verhinderung von Covid-19 das Risiko überwögen, erklärte EMA-Chefin Emer Cooke.
Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, die nach der Impfung auftreten. Die EMA prüfe nun, ob dies tatsächlich eine Nebenwirkung sei oder Zufall. Es brauche dazu einer wissenschaftlichen Bewertung.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht beim Impfstoff von Astra-Zeneca keine Alarmzeichen. Die Vorfälle seien nicht notwendigerweise auf das Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen.“ Eine WHO-Fachgruppe zur Impfstoffsicherheit analysiere die Daten. „Bisher haben wir keine Verbindung zwischen den Ereignissen und den Impfungen gefunden“, sagte WHO-Expertin Soumya Swaminathan.
Die Entscheidung der Bundesregierung für eine Impfpause stieß auf Kritik – auch innerhalb der Koalition. „Auf der Grundlage der vorliegenden Daten halte ich das für einen Fehler“, schrieb der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach auf Twitter. Die Erstimpfungen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff seien angesichts der steigenden Infektionszahlen „Lebensretter“.
Die Opposition äußerte Unverständnis über die Verschiebung des Impfgipfels. Spahns Entscheidung habe eine Kettenreaktion ausgelöst, die nun die gesamte Impfkampagne zurückwerfe, sagte die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus. „Deshalb wäre gerade jetzt ein Impfgipfel nötig, um mit allen Beteiligten zu beraten.“ Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte: „Wann, wenn nicht jetzt, muss über das Impfdebakel gesprochen werden?“
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