Einzelhandel Neustart auf 800 Quadratmetern – doch die Krise ist für den Handel noch nicht vorbei
Viele Einzelhändler öffnen wieder: HDE befürchtet Wettbewerbsverzerrung
Berlin Auch wenn die ersten Einzelhandelsunternehmen ab diesem Montag wieder öffnen dürfen, ist die Coronakrise für die Branche nicht beendet. Handel und Immobilienwirtschaft erneuerten ihre Kritik an dem unterschiedlichen Vorgehen der Bundesländer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte am Montag dagegen in einer Sitzung des CDU-Präsidiums vor einer „Öffnungsdiskussionsorgie“.
„Die Öffnung der Geschäfte bis zu einer Größe von 800 Quadratmetern ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE), dem Handelsblatt. „Diese Grenze bewirkt aber auch, dass viele Frequenzbringer in den Innenstädten nach wie vor geschlossen sind.“ Das sei weiterhin existenzbedrohend für viele Unternehmen.
Bund und Länder hatten sich in der vergangenen Woche darauf geeinigt, dass nach fünfwöchiger Schließung kleinere Geschäften ab diesem Montag wieder öffnen können sollen. Die Handhabung ist aber sehr unterschiedlich.
Unter anderem in Hessen, Nordrhein-Westfalen, in Hamburg sowie im Saarland dürfen Bürger wieder in Geschäften mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern einkaufen.
Auch in einigen ostdeutschen Bundesländern – etwa Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – machen die Läden wieder auf. In Berlin will der Senat dagegen erst am Dienstag erste Beschlüsse fassen.
Größen-Frage umstritten
„Nicht zuletzt die fachlich nicht belegte Zahl von 800 Quadratmetern für den Handel, aber auch die unterschiedliche Handhabe von Sortimenten haben klar Fragen aufgeworfen“, sagte Andreas Mattner, Präsident beim Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, am Montag.
Umstritten sei nach wie vor die Frage, ob die Regel zur Größe der Geschäfte auch auf Shopping-Center allgemein anzuwenden ist und diese geschlossen bleiben müssen – oder ob dort kleinere Geschäfte ebenfalls öffnen dürfen.
„Der Kostendruck bei den Händlern steigt“, warnte Genth. Für die meisten der Geschäfte, die nun wieder öffnen, gilt: „100 Prozent Kosten bei verhaltenen Umsatzerwartungen.“ Vermieter sollten deswegen auf ihre Mieter zugehen, um kulante Konditionen bis zum Jahresende zu vereinbaren.
In vielen Fällen könnte es weiterhin angemessen sein, die Mietkosten auf 50 Prozent zu reduzieren, bis die Umsätze wieder ein normales Maß erreicht haben. „Sonst droht die große Pleitewelle nach der überstandenen Schließungsphase.“
Das Gebot der Stunde sei der Erhalt der Vermietungsquote. „Der Mieter, den man verliert, ist auch in drei Monaten nicht so leicht zu ersetzen. Da kann es die wirtschaftlich bessere Variante sein, den Mieter zu stützen“, sagte Genth.
Immobilienwirtschaft fordert eine Kommission
Der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft forderte die Einsetzung einer Begleitkommission, die darüber berät, wie der Einzelhandel seinen Betrieb wiederaufnehmen kann. Nach Vorstellungen des Verbandes sollen dieser Kommission als Mitglieder – neben Virologen und Vertretern des Sachverständigenrats der Bundesregierung – auch Verbände angehören, die ihren Schwerpunkt im Bereich der Handels- und Wirtschaftsimmobilien haben.
„Diese Kommission könnte sich fachlich mit der viel kritisierten Regel zur Öffnung von Läden nur bis 800 Quadratmetern und den noch immer sehr unterschiedlichen Handhabungen von Sortimenten und Abstandsregelungen der Besucher befassen“, sagte Mattner.
Flankierend dazu forderte ZIA-Präsident Mattner, für den stationären Einzelhandel temporär steuerliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Händlern dringend benötigte Liquidität sichert. So könnte über die aktuell schon möglichen Steuerstundungen hinaus dem stationären Einzelhandel zeitlich begrenzt ein Teil der Umsatzsteuernachzahlung erlassen werden“, heiß es am Montag in einer Stellungnahme.
Von den Kunden gezahlte Umsatzsteuer auf die Einkünfte würde so im wirtschaftlichen Ergebnis den Händlern verbleiben. „Der Einzelhandel käme auf diese Weise zu mehr Liquidität, um sein wirtschaftliches Überleben und damit Arbeitsplätze und Vielfalt in den Innenstädten zu sichern.
Auch bei der Gewerbesteuer könnte die Belastung reduziert werden. Aktuell erhöhten die Ausgaben für „Miet- und Pachtzinsen“ die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer. „Würde auf diese Hinzurechnung bei der Bemessungsgrundlage verzichtet“, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands, „würde der mietende Einzelhändler im Ergebnis durch eine geringere Gewerbesteuer wirtschaftlich entlastet.“
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