Infektionsschutzgesetz Einkaufen, Schule, Ausgangssperren: Wie die Länder die Notbremse umsetzen

Die Infektionsschutzregelungen sollen weiter verschärft werden.
Berlin Ohne härtere Infektionsschutzmaßnahmen wird es nicht gelingen, die dritte Welle der Corona-Pandemie zu brechen. Das machte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag im Bundestag noch einmal unmissverständlich klar: „Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten, sie machen alles nur noch schwerer“, sagte sie. Das Virus lasse nicht mit sich verhandeln, es verstehe nur eine einzige Sprache: „die Sprache der Entschlossenheit“. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte an die Bundesländer appelliert, nicht auf die Verabschiedung der sogenannten „Bundesnotbremse“ zu warten, sondern selbst zu handeln.
Der Regierungsentwurf für die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, der innerhalb der Koalition noch umstritten ist, sieht als Kernpunkt nächtliche Ausgangsbeschränkungen in Landkreisen vor, in denen mehr als 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen einer Woche registriert werden. In diesem Fall sollen auch die meisten Geschäfte wieder schließen müssen. Für Schulen ist bisher geplant, den Präsenzunterricht ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 zu untersagen.
Inzwischen legen erste Länder selbst die Hand an die Notbremse. Da man die eigene Corona-Verordnung ohnehin am Wochenende verlängern müsse, „werden die vorgesehenen Verschärfungen des Bundes direkt mit eingearbeitet“, teilte Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) am Donnerstag mit. Neu für sein Land sei dann vor allem eine Ausgangssperre als Ultima Ratio.
Das geplante Bundesgesetz komme „viel zu spät“, sagte auch Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) am Freitag im ARD-Morgenmagazin. Deshalb handele ihr Bundesland schon jetzt.
Welche Regeln gelten also derzeit schon bei Ausgangsbeschränkungen, fürs Einkaufen und in den Schulen?
Das Handelsblatt hat bei den Staatskanzleien der Länder nachgefragt. Eine Übersicht:
Ausgangsbeschränkungen
Hier gibt es kein einheitliches Bild. Länder wie Bayern, Hamburg oder Rheinland-Pfalz stellen sich hinter den Plan des Bundes, in Landkreisen ab einer Inzidenz von 100 automatisch nächtliche Ausgangsbeschränkungen vorzusehen. „Die Effektivität von Ausgangssperren wird von wissenschaftlicher Seite überzeugend bestätigt“, teilt die Staatskanzlei in München mit. „Die Alarmrufe aus den Intensivstationen sind nicht zu überhören“, heißt es aus Mainz.
Andere Länder wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Bremen sind dagegen, Ausgangsbeschränkungen ab einer Inzidenz von 100 automatisch in Kraft zu setzen, sehen sie aber als letztes Mittel. „Bevor man Menschen flächendeckend in ihren Wohnungen festsetzt, müssen zumindest alle milderen Mittel zur Begrenzung des Infektionsgeschehens umgesetzt worden sein“, fordert die Senatskanzlei in Bremen. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) warnte im WDR, „die Hürden für Ausgangsbeschränkungen sind bei den Gerichten sehr hoch“.
Aktuell oder ab kommender Woche sind Bürger in ihrer Bewegungsfreiheit bei einer Inzidenz von mehr als 100 beispielsweise in Bayern (22 bis 5 Uhr), Sachsen (ganztägig), Hamburg (21 bis 5 Uhr), Brandenburg (22 bis 5 Uhr) oder Rheinland-Pfalz (21 bis 5 Uhr) eingeschränkt. Überall gibt es Ausnahmen, teils auch für Bewegung oder Sport im Freien. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz hat nach einem Gerichtsbeschluss gerade die geltende Ausgangsbeschränkung wieder aufgehoben.
In Niedersachsen sind Ausgangssperren ab einer Inzidenz von 100 möglich und ab 150 verpflichtend. Baden-Württemberg führt ab dem kommenden Montag nächtliche Ausgangsbeschränkungen (21 bis 5 Uhr) als Ultima Ratio ein.
In Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Schleswig-Holstein haben die Kommunen die Möglichkeit, Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. Dabei komme es auf die jeweilige Situation an, heißt es aus Kiel. So spiele eine Rolle, ob es nachverfolgbare Ausbruchsschwerpunkte gebe oder es sich um ein diffuses Infektionsgeschehen handele.
Einkaufen
Die geplante Bundesregelung, ab einer Inzidenz von 100 das Geschäftsleben wieder weitgehend herunterzufahren, ist auch in der Regierungskoalition noch umstritten. „Mir kann beispielsweise niemand erklären, warum der Verkauf über Click & Collect, was zum Teil schon vollautomatisiert und ohne persönlichen Kontakt abläuft, ein übermäßiges Infektionsrisiko darstellen soll“, sagte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Carsten Linnemann (CDU), dem Handelsblatt. Unternehmen haben bereits Klagen angekündigt.
Dies sehen auch einige Bundesländer so, die in ihren Landesverordnungen zumindest die persönliche Abholung bestellter Waren (Click & Collect) auch bei einer Inzidenz von über 100 weiter zulassen. Dazu gehören Nordrhein-Westfalen, Hessen, Schleswig-Holstein oder Hamburg.
Bayern erlaubt sogar bei einer Inzidenz bis 200 auch Click & Meet, das heißt, Kunden mit negativem Corona-Test können nach vorheriger Terminbuchung einkaufen gehen. Sachsen macht eine Einschränkung des Click-&-Meet-Angebots von der Belegung der Krankenhausbetten mit Covid-19-Patienten abhängig. Auch Rheinland-Pfalz lässt den Einkauf nach Terminvereinbarung unter strengen Voraussetzungen derzeit weiter zu.
Schulen
Auch der Plan, im Infektionsschutzgesetz ab einem Inzidenzwert von 200 den Präsenzunterricht zu untersagen, ist noch umstritten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte beispielsweise erklärt, hier müsse man schon früher ansetzen.
Die Länder verfolgen sehr unterschiedliche Wege. Nordrhein-Westfalen startet ab Montag in Landkreisen mit einer Inzidenz unter 200 wieder mit dem Wechselunterricht – ein Teil der Klasse kommt in die Schule, ein Teil lernt zu Hause.
„Nordrhein-Westfalen wird den Weg der Vorsicht weitergehen und die Möglichkeiten des neuen Infektionsschutzgesetzes bewusst nicht vollständig ausschöpfen“, teilte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit. Denn nach dem geplanten Bundesgesetz wäre unter einer Inzidenz von 200 auch Unterricht mit der ganzen Klasse möglich.
In Bremen findet ab einer Inzidenz von 100 Wechselunterricht statt, auch in Grundschulen gilt dann die Maskenpflicht. In niedersächsischen Kreisen werden dann nur noch Grund- und Förderschüler sowie Abschlussklassen im Klassenzimmer unterrichtet, die Präsenzpflicht ist aber aufgehoben.
Bayern, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein gehen schon bei Inzidenzen ab 100 in den Distanzunterricht über, teils aber mit Ausnahme bestimmter Klassenstufen und unter der Voraussetzung, dass der Inzidenzwert mindestens drei Tage lang überschritten wird. In Rheinland-Pfalz stimmen sich Schulträger, Schulaufsicht und das örtliche Gesundheitsamt bei einer Inzidenz ab 100 über die zu treffenden Maßnahmen ab.
Distanzunterricht bei einer Inzidenz über 200 sieht Hessen vor, mit Ausnahme der Abschlussklassen. Der Hamburger Senat hat einen entsprechenden Schritt angekündigt. Brandenburg will bei Werten über 200 nun auch die Grundschulen schließen. Sachsen öffnet Schulen generell unabhängig von der Inzidenz und sichert dies durch Corona-Tests und eine Maskenpflicht ab.
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