Infektionsschutzgesetz Merkel verteidigt Bundes-Notbremse gegen heftige Kritik – die nächste Hürde wartet schon

„Die Lage ist ernst, und zwar sehr ernst.“
Berlin Nach nur vier Minuten musste Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Debatte zur geplanten „Bundes-Notbremse“ unterbrechen. Zu laut waren die Zwischenrufe, während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Vorhaben verteidigte. Man müsse der Notlage auch in der Debatte Rechnung tragen, sagte Schäuble.
Der Bund will nach mehr als einem Jahr Pandemie und angesichts steigender Infektionszahlen mehr Kompetenzen an sich ziehen. In Deutschland sollen demnach regional automatisch schärfere Corona-Schutzmaßnahmen wie eine nächtliche Ausgangssperre greifen, wenn die Zahl der neuen Corona-Fälle den Schwellenwert von 100 pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche überschreitet.
Die entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes nimmt an diesem Freitag ihre erste Hürde im parlamentarischen Prozess. Nach der ersten Lesung am Vormittag wird am Nachmittag in einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss über die Bundes-Notbremse beraten. Die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag ist für Mittwoch vorgesehen.
„Die Lage ist ernst, und zwar sehr ernst“, sagte Merkel im Bundestag. Das geplante Gesetz solle das Land aus der „furchtbaren Phase“ der ständig steigenden Infektionszahlen herausführen und ein immer weiteres Ansteigen der Zahl der Schwerkranken und Intensivpatienten verhindern.
Die CDU-Politikerin verteidigte die geplanten Ausgangsbeschränkungen. „Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen – im Übrigen auch unter Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs – zu reduzieren.“
Die Opposition hingegen meldete sich mit heftiger Kritik zu Wort. FDP-Partei- und -Fraktionschef Christian Lindner drohte der Bundesregierung mit einer Verfassungsbeschwerde. „Es ist richtig, dass nun bundeseinheitlich gehandelt wird“, sagte er. Die geplanten Regelungen zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen nannte er verfassungsrechtlich „hochproblematisch“.
Man werde Vorschläge machen, dieses Gesetz verfassungsfest zu machen. Er sagte an die Koalitionsfraktionen gerichtet, die FDP-Fraktion werde sich gezwungen sehen, „den Weg nach Karlsruhe im Wege von Verfassungsbeschwerden zu gehen“, wenn auf die Bedenken nicht eingegangen werde.
Grüne und Linke wiederum warfen der Regierung vor, das Wirtschaftsleben in dem Gesetz unzureichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe es faktisch gar keine Beschränkung, sagte der Linken-Politiker Klaus Ernst. Im Gesetz stehe etwa nicht, dass man testen müsse, bevor man sich am Arbeitsplatz aufhalte. „Warum schreiben Sie das nicht rein? Weil Sie den Unternehmerverbänden im Hintern hängen!“
Und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte, dass „dringend nachgebessert“ werden müsse. „Und da geht es zuallererst für mich um die Kontakte in der Arbeitswelt, die müssen maximal rechtsverbindlich runter, und der Schutz muss hoch.“ Göring-Eckardt kritisierte zudem den geplanten Grenzwert für Schulschließungen, der im Gesetz bei 200 festgelegt wird. Erst ab dieser Sieben-Tage-Inzidenz zu handeln sei zu spät, sagte sie.
Nächste Hürde im Gesundheitsausschuss
Das Gesetz sorgt jedoch nicht nur bei Parlamentariern für heftigen Widerstand. Dieser dürfte sich am Nachmittag in der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss äußern. Dort werden neben Experten auch zahlreiche Vertreter von Interessenverbänden gehört, die ihre Einwände teilweise bereits in Stellungnahmen veröffentlicht haben. Es ist die nächste Hürde für das Vorhaben der Bundesregierung – und die Grundlage für mögliche Änderungen an dem Gesetz.
Der Deutsche Landkreistag etwa spricht angesichts der bundesweit einheitlichen Regeln von einem „in Gesetzesform gegossenen Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen“. Diese seien gar mit Nachteilen in der Corona-Bekämpfung verbunden.
Indem die Regel auf „die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte abstellt, schließt sie weitere räumliche Differenzierungen bei der Corona-Bekämpfung aus, obwohl sich diese in der Praxis – auch zur Wahrung der Akzeptanz – als dringend erforderlich erwiesen haben“, heißt es. Zudem stelle sich die Frage, ob die Beschlüsse überhaupt umsetzbar seien – etwa die Ausgangssperre in ländlichen Räumen.
Darauf weist auch der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität in einer Einschätzung hin. Die Novelle habe das richtige Ziel, die Mittel aber seien problematisch.
Käme es zu einer Beanstandung durch Gerichte – etwa gegen die Ausgangssperre –, „würde das als Niederlage des gesamten politischen Prozesses wahrgenommen werden, selbst wenn das Gericht nur Teile des Gesetzes aufheben würde – mit viel weitreichenderen Folgen für die Akzeptanz der Corona-Politik als bei verwaltungsgerichtlichen Beanstandungen im Einzelfall“.
Kritisch wird auch gesehen, dass die Sieben-Tage-Inzidenz als alleiniger Maßstab für die Maßnahmen herangezogen wird. Diese sei ein „zu grobes Maß“ für Entscheidungen mit erheblichen Konsequenzen für die Bürger, schreibt die Bundesärztekammer in einer Stellungnahme. Es müssten weitere Kennzahlen berücksichtigt werden, etwa die Auslastung der Intensivstationen oder die Anzahl der neu aufgenommenen Covid-19-Patienten.
Gaß: „Wir brauchen eine Entlastung der Krankenhäuser“
Generell aber unterstütze die Bundesärztekammer einheitliche Maßnahmen, insbesondere „vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehens und um die Intensivstationen in den Krankenhäusern schnellstmöglich zu entlasten und weitere Todesfälle zu verhindern“.
Passend dazu skizzierte Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, am Freitagvormittag die Lage in den Krankenhäusern. „Wir brauchen eine Entlastung der Krankenhäuser“, forderte er auf einer Pressekonferenz in Berlin mit Blick auf die angespannte Situation auf den Intensivstationen.
Es drohe allerdings keine totale Überlastung. „Es ist nicht der Fall, dass wir Bilder wie in Bergamo erleben werden“, sagte Gaß. Die Region war zu Beginn der Pandemie so stark betroffen, dass zeitweise Patienten nicht mehr versorgt werden konnten. Davon sei man hierzulande weit entfernt.
Mehr: Lesen Sie hier, warum die Debatte um die Ausgangsbeschränkungen typisch deutsch ist. Ein Kommentar.
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@Herr Eckhard Ritter:
Spahns Maskenkauf für 7 Milliarden Euro ist ein Hohn, wenn man bedenkt, dass BYD ihm Masken für ca. 1/10 der Kosten anbot und dazu in einer guten Qualität und schnell.
Die Korruption, die damit einherging war sagenhaft!
Leider sind in der Seilschaft Merkel viele untaugliche Köpfe nach oben gespült worden nach dem Motto: "Ein wenig qualifizierte Manager (Merkel) stellt gerne noch weniger qualifizierte ein."
Dann wurde bei IMPFSTOFFEN und INTENSIVBETTEN GESPART.
Ein Irrsinn!
Noch laufen die Tests und Impfungen nicht rund, die Digitalisierung fehlt weiterhin - langsam bekommt die Seilschaft Panik - Menschen sterben!
@Pella
Es passiert nichts, da die Lage nicht so ernst ist wie sie von unseren lieben Politikern geschildert wird. Das Virus ist wegen der Impfstoffe und Behandlungsmöglichkeiten bei weitem nicht so gefährlich wie vor 1 Jahr..
Das einzige was die Politik im letzten Jahr gelernt hat ist, dass wenn die Gesellschaft ängstlich und verschreckt ist, dass sich dann leichter problematische Gesetze durchsetzen lassen. Das ist der einzige Grund weshalb in den letzten Tagen vermehrt Panik und Fake News von politischen Eliten propagiert werden.
Wer das politische Spiel kennt, der könnte kotzen und wer es nicht kennt, der ist ängstlich und leise. Aber wer ein Teil davon ist, feiert sich hinter verschlossener Tür.
Frau Merkel ist in 5 Monaten Geschichte in diesem Amt - weshalb sie jetzt auch so brachial und ohne Rücksicht auf Verluste „ihre“ Vorstellungen durchkämpfen will.
Sie hat nichts mehr zu verlieren - wir aber schon, weil es ein Schreddern unserer Gewaltenteilung für die Zukunft bedeuten würde.
Widerstand ist jetzt Pflicht.
@ H. Ritter
Zumindest müßten Frau Merkel, Herren Spahn und Konsorten Ihre Fehler zu geben und sofort korrigieren.
Statt lauthals zu jammern sollte man die Sanitätseinheiten der Bundeswehr und des THW mobilisieren und Lazarette bauen lassen, einschließlich Intensivbetten. Ärzte und Sanitäter sind vorhanden.
Warum passiert nichts???
2021 hat Spahn 9000 Intensivbetten geschreddert.
Wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung der Intensiv- und Notfall-Mediziner (DIVI) berichtet, standen Patienten in Deutschland noch im Sommer 2020 rund 32.000 Intensivbetten zur Verfügung, nun sollen es nur noch 23.000 Betten sein. Ursache: Jens Spahn hat zum Januar 2021 einen neuen Pflegeschlüssel eingeführt. Eine Intensiv-Pflegekraft darf deshalb nur noch 25% weniger Betten bearbeiten. Gut gemeint, aber nun fehlt Personal für 9000 Betten. Deshalb müssen diese Betten stillgelegt werden. Nun jammern alle, dass die Intensivbetten knapp werden. Ist Jens Spahn völlig durchgedreht? Mir fehlen die Worte.