Interview „Überzeugung hilft mehr als Druck“: Bremens Bürgermeister gegen Einschränkungen für Nicht-Geimpfte

Bremens Bürgermeister ist gegen eine Impfpflicht.
Am Dienstag treffen sich Vertreter von Bund und Ländern zum nächsten Corona-Gipfel. Bundesregierung und Ministerpräsidenten beraten darüber, wie sich eine vierte Welle verhindern lässt, ob Nicht-Geimpfte Einschränkungen hinnehmen müssen und wie sich die Impfquote steigern lässt.
In Bremen ist die Impfquote im bundesweiten Vergleich derzeit am höchsten. Das gelang aber ohne Druck, betont Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Im Gespräch mit dem Handelsblatt warnt der SPD-Politiker vor stärkeren Einschränkungen für Nicht-Geimpfte. „Ich glaube, mit Überzeugung kommt man weiter als mit Druck“, sagt Bovenschulte.
Einen neuen Lockdown hält der SPD-Politiker für „unwahrscheinlich“. Dadurch, dass mehr als jeder zweite Bürger geimpft sei, sei die Lage eine völlig andere. Aus diesem Grund dürfe die Inzidenz nicht mehr ausschlaggebend sein, so Bovenschulte.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Bovenschulte, die Inzidenzwerte steigen derzeit früher und schneller als im Vorjahr. Wie lässt sich eine vierte Welle noch verhindern?
Ich gehe davon aus, dass die Fallzahlen in der nächsten Zeit noch weiter steigen werden. Die spannende Frage ist: Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung? Und da ist die Situation heute doch eine andere als vor einem Jahr. Über 60 Prozent aller Menschen sind mindestens einmal geimpft. Entsprechend ist davon auszugehen, dass auch bei stark steigenden Inzidenzen deutlich weniger Menschen schwer erkranken und ins Krankenhaus müssen als bei der ersten, zweiten oder dritten Welle. In den Niederlanden und Großbritannien haben wir diesen Effekt in den letzten Wochen gut beobachten können.
Also alles kein Problem?
Natürlich nicht. Aber wir müssen wegkommen von dem reinen Bick auf die Inzidenz. Sinnvoller wäre ein Ampelsystem aus mehreren Indikatoren, also etwa Inzidenz, Hospitalisierungsquote und Intensivbettenbelegung. Eine zweite Möglichkeit wäre, einen Multiplikator für die bisherigen gesetzlichen Schwellenwerte 35 und 50 zu entwickeln, der berücksichtigt, dass es in Folge des Impfens weniger schwere Verläufe gibt als in den ersten Pandemie-Wellen. Also nach dem Motto „X ist das neue 35 und Y ist das neue 50“. Entscheidend bleibt aber in jedem Fall eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen.
Die Impfungen laufen aber derzeit schleppend, weil viele Menschen sich nicht impfen lassen wollen. Braucht es mehr Druck auf Impfverweigerer?
Ich glaube, mit Überzeugung kommt man weiter als mit Druck. Das ist jedenfalls die Erfahrung, die wir in Bremen gemacht haben. Außerdem gibt es doch jetzt schon spürbare Nachteile für Nicht-Geimofte. Wenn sie aus dem Ausland nach Deutschland einreisen, müssen sie sich testen lassen. Und wenn sie aus einem Hochrisikogebiet kommen, müssen sie zusätzlich in Quarantäne. Und schon bald, so meine Einschätzung, werden Corona-Tests nicht mehr kostenlos sein. Das wird den Anreiz sich impfen zu lassen nochmals verstärken.
Sollte Nicht-Geimpften der Zugang zu Hotels, Restaurants oder Konzerten verweigert werden, wie es diskutiert wird?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Druck. Aber den Ansatz halte ich für wenig zielführend. Auch Jens Spahn will Nicht-Geimpfte ja nicht von der Grundversorgung ausschließen. Aber wie will man das in der Praxis abgrenzen? Gehören Wahlveranstaltungen, der Kirchgang oder Volkshochschulkurse zur Grundversorgung eines Menschen? Was ist mit Schwimmen oder dem Besuch im Fitnesscenter, um sich gesund zu halten? Sollen die Einschränkungen für Nicht-Geimpfte auch in Landkreisen oder Städten mit geringer Inzidenz gelten? Und nicht zuletzt: Was ist mit denjenigen, die sich nicht impfen lassen können? Bekommen die einen speziellen Berechtigungsausweis oder will man die auch ausschließen? Und welche Instanz entscheidet, ob die Entscheidung des Einzelnen, sich nicht impfen zu lassen, berechtigt war? Diese Probleme kriegen sie doch ohne erheblichen bürokratischen Aufwand kaum gelöst.
Drohen wir dann aber nicht in einen neuen Lockdown zu laufen?
Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich. Wenn man der Überzeugung ist, dass sich ein neuer Lockdown nur vermeiden lässt, wenn alle Menschen geimpft werden, die geimpft werden können, dann sollte man ehrlicherweise für eine echte Impfpflicht eintreten. Sonst wird es immer einen gewissen Teil der Bevölkerung geben, der sich nicht impfen lassen will.
Was halten Sie von Anreizen, um sich impfen zu lassen, etwa einem Steuerbonus?
Davon halte ich nicht sehr viel. Die Politik muss die Menschen durch Ansprache, durch Aufklärung und, ja, auch durch einen gewissen Druck dazu bringen, sich impfen zu lassen, um sich und andere Menschen zu schützen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf der Ministerpräsidentenkonferenz zu einer gemeinsamen Haltung kommen.
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