Qualifizierung Die Berufsausbildung steht unter Druck – durch Reformen soll sie attraktiver werden

Der DIHK fordert, dass auch der Aufenthalt ausländischer Azubis in Deutschland gefördert wird.
Berlin Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fordert für die nächste Legislaturperiode eine Modernisierung der Berufsausbildung – vor allem ihre Digitalisierung. Nur so könne die berufliche Bildung in Deutschland „ein weltweit anerkanntes Erfolgsmodell bleiben“, teilt der DIHK mit.
Anlass ist, dass die Zahl der Azubis seit Jahren tendenziell zurückgeht – und in der Pandemie zusätzlich stark eingebrochen ist. Die Ausbildung „bleibt unser Sorgenkind“, sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, am heutigen Donnerstag bei der monatlichen Pressekonferenz zum Arbeitsmarkt. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) spricht von einem „Warnzeichen“.
Bis Juli registrierte die BA 404.000 Interessenten für eine Ausbildungsstelle – 35.000 weniger als im Vorjahr. Das sei aber trotz des verstärkten Drangs zum Studium nicht mit einem rückläufigen Interesse der jungen Menschen gleichzusetzen, heißt es im BA-Monatsbericht.
Vielmehr würden sich viele gar nicht melden, weil in der Pandemie die gewohnten Zugangswege teilweise versperrt waren und durch digitale Alternativen nicht vollständig ersetzt werden konnten.
127.000 Bewerber sind noch unversorgt, gleichzeitig sind noch 194.000 Lehrstellen frei. Die Unternehmen hatten seit Oktober 2020 insgesamt 485.000 Ausbildungsplätze gemeldet – 14.000 weniger als vor einem Jahr.
DIHK dringt auf rasche Digitalisierung
Um die Ausbildung zukunftsfest zu machen, drängt der DIHK auf eine rasche Digitalisierung: Vor allem die Prüfungen sollten „wo immer sinnvoll“ digitalisiert werden. Denn bis heute finden Prüfungen selbst in Berufen, die weitgehend am Computer ausgeübt werden, weiter mit Papier und Bleistift statt. Digitale Formate könnten zudem den Aufwand der mehr als 150.000 ehrenamtlichen Prüfer reduzieren.
Dringend nötig sei auch ein „Pakt für Berufsschulen“, den die Enquetekommission zur Berufsausbildung des Bundestags in ihrem Abschlussbericht fordert. So gelte es, unter anderem virtuelle Klassenzimmer stärker zu nutzen – vor allem an Berufsschulen auf dem Land.
Zwar haben auch die Berufsschulen in der Pandemie Distanzunterricht praktiziert. Das wird jedoch ebenso in Zukunft vielfach das Mittel der Wahl sein müssen, wenn wegen der sinkenden Zahl der Lehrlinge die Berufsschulen regional konzentriert werden müssen und so die Wege für die Azubis zumindest außerhalb der Großstädte immer länger werden.
Zudem hapert es offenbar an ganz simplen Dingen: So drängt der DIHK generell auf mehr digitale Kommunikation –„zum Beispiel durch die Erfassung von Mailadressen und Telefonnummern bei der Eintragung von Ausbildungsverhältnissen“.
Sinnvoll wäre aus Sicht des Verbandes auch der Aufbau eines Deutschen Beruflichen Austauschdienstes (DBAD) analog zum DAAD für Studierende. „Das würde sowohl den Azubis als auch ihren Betrieben nutzen“, sagt der Ausbildungsexperte des DIHK, Markus Kiss.
Gleichzeitig sollten so auch Aufenthalte ausländischer Azubis in Deutschland gefördert werden. Auslandsstationen für Azubis gibt es schon jetzt, sie werden etwa über das Erasmus-Programm der EU gefördert. Die Teilnehmerzahlen sind allerdings noch sehr gering.
Nachbesserungsbedarf bei Ausbildungsreife
Nachbesserungsbedarf sieht der Wirtschaftsverband beim Konzept der „Ausbildungsreife“. Dieses hatten die Partner des Ausbildungspaktes Anfang der Zehnerjahre entwickelt. Seither können etwa Berufsberater der BA Schulabgänger als noch „nicht ausbildungsreif“ einschätzen – und eher den Besuch eines Berufsgrundbildungsjahres im Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung empfehlen. Die Pisa-Tests zeigen regelmäßig, dass etwa ein Fünftel der 15-jährigen Schüler beim Lesen, Schreiben und Rechnen nicht die Mindestanforderungen erfüllt.
Den Gewerkschaften – die anfangs noch nicht Teil des Paktes waren – ist dieses Konzept allerdings suspekt, weil es ihrer Ansicht nach von der Wirtschaft teilweise als Vorwand missbraucht wird, nicht auszubilden.
Der DIHK schlägt nun vor, das „etwas in die Jahre gekommene Konzept der Ausbildungsreife zu einer „Ausbildungsstartkompetenz“ weiterzuentwickeln. Dabei müssten jedoch die Anforderungen der Wirtschaft einerseits und veränderter Kompetenzen und Perspektiven der Jugendlichen andererseits berücksichtigt werden.
Außerdem setzt sich der DIHK auch für eine stärkere Verbreitung von Teilqualifikationen ein. Das Instrument wird bereits in einigen Kammerbezirken genutzt, um Ungelernten die Chance zu bieten, sich zumindest Teile einer Ausbildung zertifizieren zu lassen – und im Optimalfall eine externe Gesellenprüfung abzulegen.
Die Gewerkschaften lehnen diese Konzepte jedoch ab, weil sie eine Aufweichung der Ausbildung fürchten. Daher „soll sich das Angebot auch nur an Erwerbstätige und Geringqualifizierte ab 25 richten – und keinesfalls die klassische Ausbildung ersetzen“, sagt Kiss.
Schließlich spricht sich der DIHK für „verbindliche und sachgerechte Qualitätskriterien für die Praxisphasen dualer Studiengänge“ aus. Diese sind bisher so gut wie gar nicht durch den Staat geregelt oder kontrolliert, vor allem die Arbeitgeber lehnten eine solche Einmischung auch ab. In der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Kritik am „Wildwuchs“ und mangelnder Ausbildungsqualität in einigen Unternehmen.
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