Lateinamerika Tausende demonstrieren gegen Bitcoin-Experiment: In El Salvador wächst die Angst vor dem Autoritarismus

Die Menschen protestieren gegen die Einführung des Bitcoins als offizielles Zahlungsmittel.
Mexiko-Stadt Dieser Nationalfeiertag in El Salvador ist anders als die vorherigen gewesen – zumindest deutlich anders, als ihn sich der autokratische Staatschef Nayib Bukele vorgestellt hatte. Anstatt die 200-jährige Unabhängigkeit von Spanien am Mittwoch groß zu feiern, gingen zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren die Salvadorianer gegen ihren Staatschef auf die Straße.
Bis zu 8000 Menschen demonstrierten gegen die Politik des Präsidenten. Der Grund: Bukele hat in den vergangenen Wochen seine Macht in dem lateinamerikanischen Land nach und nach zementiert – und Menschen mit der Entscheidung gegen sich aufgebracht, die Kryptowährung Bitcoin als erster Staat als legales Zahlungsmittel einzuführen.
Im Zentrum von San Salvador zündeten Unbekannte einen Bitcoin-Geldautomaten an. Ansonsten verliefen die Proteste weitgehend friedlich. Die Demonstrantin Betsi Gaviria meint: „Der Bitcoin war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Sie sei gegen eine Wiederwahl Bukeles. Und: „Wir wehren uns gegen die aufkeimende Diktatur“, sagte die 49-Jährige.
Am Abend ging Bukele überraschend landesweit auf Sendung. Wütend warf der Autokrat der internationalen Gemeinschaft vor, die Proteste zu finanzieren und ihn als „Diktator“ zu geißeln.
Grund für die Proteste am Unabhängigkeitstag ist auch die wachsende Angst, dass Bukele das Land immer weiter in den Autoritarismus führt. Er behandelt kritische Reporter teilweise unwürdig, verhandelt heimlich mit Vertretern der organisierten Kriminalität und schickte bereits das Militär ins Parlament, um Gesetze durchzusetzen.
Hohe Beliebtheitswerte trotz wachsender Kritik
In weniger als einem halben Jahr tauschte er zudem widerständige Richter am Verfassungsgericht aus und sorgte so dafür, dass das neu besetzte Verfassungsgericht das Wiederwahlverbot aufhob. So kann der Antidemokrat also 2024 für eine neue Amtszeit kandidieren. Die USA, wichtigster Partner El Salvadors, sehen Bukeles Handeln inzwischen mit wachsender Besorgnis.
José Manuel Vivanco, Amerikadirektor der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, geht noch einen Schritt weiter: „Bukele verfolgt das gleiche Drehbuch wie Chávez, nur in Rekordzeit.“
Der frühere venezolanische Machthaber wandelte sich über die Jahre ebenfalls von einem beliebten gewählten Staatschef zu einem Autokraten. Das US-Magazin „Time“ warnt in seiner neuesten Ausgabe, der salvadorianische Staatschef sei das flagranteste Beispiel für „Intoleranz“ und Vorgehen gegen Kritiker und Opposition in Lateinamerika.
Trotz der wachsenden Kritik ist Bukele noch ausgesprochen beliebt in seinem Land – auch wenn die Zustimmungsrate inzwischen von 90 auf unter 80 Prozent gesunken ist. Seine Anhänger loben ihn für sichere Straßen und Nachbarschaften, weil der Präsident mit den Jugendbanden „Maras“ Deals einging. Auch die Ausgabe von Nahrungsmittelpaketen an Bedürftige trug zu seiner Popularität bei.
Aber im Schatten dieser Popularität will er den Staat so umbauen, dass ihm die Macht sicher ist. Im Fernsehen machte er deutlich, wie wenig Kritik er verträgt. „Ich bin jetzt zwei Jahre und drei Monate an der Macht und habe noch nicht einmal Tränengas eingesetzt. Aber wenn das Ausland die Proteste gegen mich weiterhin finanziert, wird es vielleicht irgendwann notwendig“, drohte er offen.
Umfrage: Großteil der Bevölkerung ist gegen den Bitcoin
Weltweit schauen Notenbanker, Finanzexperten und Regierungen derweil mit großem Interesse auf El Salvadors Modellversuch. Die Bevölkerung fürchtet die virtuelle Währung. In einer Umfrage der Universität Francisco Gavidia in San Salvador sprachen sich Anfang Juli 77 Prozent der Befragten gegen die Einführung des Bitcoins aus. Ein junger Student sagte auf der Demo, die Menschen seien „einen Populisten satt, der auch noch mit dem Bitcoin ihre Ersparnisse und Renten gefährdet“.
Anfang Juni hatte das von Bukeles Partei „Neue Ideen“ kontrollierte Parlament das gerade einmal zwei Seiten umfassende Bitcoin-Gesetz über Nacht verabschiedet. Der 40-jährige Autokrat, der sich selbst mit Lederjacke, falschherum aufgesetzter Baseballkappe und seiner Twitter-Diplomatie ein Hipster-Image gibt, rechtfertigt die Bitcoin-Einführung damit, dass dadurch die hohen Kosten für die Überweisungen der im Ausland lebenden Salvadorianer wegfallen oder geringer würden. „Unsere Leute zahlen 400 Millionen Dollar pro Jahr an Überweisungsgebühren. Allein diese Einsparungen werden ein großer Vorteil sein“, warb Bukele.

Der Präsident El Salvadors führt das Land in eine Autokratie.
Experten wie der Entwicklungsökonom und Zentralamerikakenner Christian Ambrosius sehen den Bitcoin eher als Spielfeld für Investoren. Anders als von der Regierung behauptet schaffe der Bitcoin keine „finanzielle Inklusion“.
Dazu bräuchte es laut Ambrosius Chancen für den Vermögensaufbau, die Absicherung gegen finanzielle Risiken und den Zugang zu günstigen Krediten und Versicherungen. Dies leiste ein Zahlungsmittel wie der Bitcoin nicht, kritisiert der Professor am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Ganz abgesehen davon, dass nicht einmal die Hälfte der Salvadorianer Zugang zum Internet hat.
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