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Pandemie Weltgrößte Corona-Welle bremst Indiens Aufschwung aus

Eigentlich sollte Indien in diesem Jahr wieder Wachstums-Weltmeister werden. Doch angesichts von Hunderttausenden Neuinfektionen pro Tag droht ein schwerer Rückschlag.
20.04.2021 - 18:45 Uhr Kommentieren
Das Gesundheitssystem in Indien hat keine Kapazitäten mehr. Quelle: dpa
Provisorische Betten für Corona-Patienten

Das Gesundheitssystem in Indien hat keine Kapazitäten mehr.

(Foto: dpa)

Bangkok Angesichts voller Krankenhäuser kommen die Notrufe in Indien neuerdings über die sozialen Medien. „Brauche dringend ein Bett für einen 83-Jährigen“, schreibt ein junger Mann am Dienstag auf Twitter. „Seine Sauerstoffsättigung fällt rapide, die Lage ist kritisch.“

Nachrichten wie diese machen auf dem Subkontinent derzeit im Minutentakt die Runde. Besonders in der Hauptstadt Neu Delhi sind Behandlungsplätze inmitten von Indiens bisher heftigster Corona-Welle so rar geworden, dass der öffentliche Hilferuf für viele Familien als letzte Hoffnung erscheint.

Im Lok-Nayak-Krankenhaus, eine von Indiens größten Gesundheitseinrichtungen zur Behandlung von Covid-19-Patienten, spielen sich erschreckende Szenen ab. Patienten müssen sich Betten teilen. Krankenwagen werden wegen Überfüllung abgewiesen.

Eine digitale Anzeigetafel vor dem Eingang fasst die Situation nüchtern zusammen: „Betten insgesamt: 1500. Freie Betten: keine.“ Auch der Regierungschef der Hauptstadtregion, Arvind Kejriwal, wählt klare Worte: „Das Gesundheitssystem hat keine Kapazitäten mehr“, sagte er Anfang der Woche.

Die mehr als 20 Millionen Einwohner große Metropole steht im Zentrum des bisher größten Coronavirus-Ausbruchs in Asiens drittgrößter Volkswirtschaft. Seit dem Wochenende verzeichnet Indien täglich mehr als eine Viertelmillion Neuinfektionen – mit einem so starken Anstieg der Ansteckungen hatte bisher noch kein anderes Land zu kämpfen. Am Dienstag meldeten die Gesundheitsbehörden mehr als 1700 Tote. Die Dunkelziffer ist hoch, schätzen Experten.

Coronavirus-Lockdown in Indien: Fabriken müssen schließen

Die Gesundheitskrise ist für Indien nicht nur eine humanitäre Tragödie, sie bedeutet auch einen schweren wirtschaftlicher Rückschlag. Eigentlich sollte das Schwellenland in diesem Jahr wieder zu der am stärksten wachsenden großen Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Der Internationale Währungsfonds ging zuletzt von einer Wachstumsrate von 12,5 Prozent aus.

Doch der heftige Anstieg der Infektionszahlen bremst den erhofften Aufschwung aus: Teile des Landes kehren wieder zu einem strikten Lockdown zurück – das wirtschaftliche Leben kommt zum Erliegen.

In Delhi gilt der neue Lockdown zunächst bis Montag: Private Büros, Fabriken, Märkte und Einkaufszentren müssen ebenso schließen wie Bars, Restaurants und Bildungseinrichtungen. Nur eine Notversorgung soll in der Stadt aufrechterhalten werden.

Die Bevölkerung ist aufgerufen, ihr Zuhause nur bei gutem Grund zu verlassen. Die Maßnahmen seien nötig, um einen vollständigen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern, sagte Kejriwal. Er will die gewonnene Zeit nutzen, um dringend benötigten medizinischen Sauerstoff zu beschaffen und um Schulen und Festsäle in Notkrankenhäuser umzubauen.

Die Gesundheitskrise bedeutet auch einen schweren wirtschaftlichen Rückschlag für das Land. Quelle: dpa
T-Shirt Verkäufer in Indien

Die Gesundheitskrise bedeutet auch einen schweren wirtschaftlichen Rückschlag für das Land.

(Foto: dpa)

Auch Indiens wirtschaftlich bedeutendster Bundesstaat Maharashtra, der die Finanzmetropole Mumbai beheimatet, hat die Corona-Maßnahmen bereits deutlich verschärft und einen großen Teil der Fabriken geschlossen. Der Autohersteller Tata Motors kündigte an, seine Fahrzeugproduktion in Mumbais Nachbarstadt Pune bis Ende des Monats einzustellen. Die Regierung des Bundesstaats erwägt nun, Delhis Beispiel eines noch härteren Lockdowns zu folgen.

Noch sind die strikten Maßnahmen regional begrenzt. Der wirtschaftliche Einbruch dürfte daher nicht so hart ausfallen wie vor einem Jahr, als die Regierung von Premierminister Narendra Modi als Reaktion auf den Pandemiebeginn das ganze Land für zwei Monate zum Stillstand brachte – die Wirtschaftsleistung zwischen April und Juni brach deshalb im Vergleich zum Vorjahr um fast 24 Prozent ein.

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Doch auch die aktuelle Corona-Welle und die eingeleiteten Gegenmaßnahmen dürften sich spürbar in der konjunkturellen Entwicklung niederschlagen. Die Analysten der Banken JP Morgan, UBS und Nomura kürzten ihre Wachstumsprognosen für Indiens laufendes Fiskaljahr angesichts des starken Anstiegs der Covid-19-Infektionen um ein bis zwei Prozentpunkte.

„Die neue Welle, die größer als die des vergangenen Jahres ist, bringt Gegenwind“, kommentiert der Volkswirt Shilan Shah, Indien-Experte des Analysehauses Capital Economics. „Wenn sich die Corona-Beschränkungen ausweiten und die Inder wieder verstärkt die Öffentlichkeit meiden, könnte der Aufschwung entgleisen.“

Ein besonders großes Risiko sieht Shah für die Banken des Subkontinents. Sie litten bereits vor dem Beginn der Coronakrise an einem Berg von faulen Krediten – ihr Anteil an dem gesamten Kreditportfolio war in kaum einem anderen Schwellenland so hoch wie in Indien. Shah rechnet damit, dass der Wert nun auf den höchsten Stand seit 20 Jahren klettern könnte: Vor allem kleinere und mittelgroße Betriebe, denen jetzt das Geschäft abhandenkommt, dürfte es schwerfallen, ihre Darlehen weiter zu bedienen.

Narendra Modi muss Europa-Reise womöglich absagen

An der Börse in Mumbai gehörten Bankaktien zuletzt zu den größten Verlierern. Seit Mitte Februar, als die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Indien noch bei rund 10.000 lag, sackte der Nifty-Banken-Index um mehr als 16 Prozent ab.

Beim Gesamtmarkt ging es im gleichen Zeitraum nur um knapp sieben Prozent bergab. Indiens Zentralbank hatte bereits Anfang des Jahres davor gewarnt, dass ein signifikanter Anstieg der faulen Kredite die Finanzmarktstabilität des Landes gefährden könnte.

Mächtige Regionalpolitiker fordern von der Zentralregierung nun neue Hilfsprogramme. Doch diese zeigt sich zögerlich. Finanzministerin Nirmala Sitharaman sicherte am Montag nach Gesprächen mit Industrievertretern lediglich zu, dass es der Regierung sowohl darum gehe, das Leben wie auch den Lebensunterhalt der Menschen zu schützen. Ihr Chef Modi stand unterdessen in der Kritik, weil er trotz der Infektionslage an einer großen Wahlkampfveranstaltung teilgenommen hatte.

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Für den Regierungschef bedeutet die Zuspitzung der Krise auch einen Rückschlag im Versuch, Indiens Wirtschaft stärker an Europa zu binden. Geplant war eine diplomatische Offensive mit einem Indien-Besuch des britischen Premiers Boris Johnson Ende April und einem EU-Indien-Gipfel Anfang Mai in Portugal, zu dem Modi persönlich anreisen wollte, um über engere Handelsbeziehungen zu sprechen. Indischen Medienberichten zufolge steht Modis Reise nun auf der Kippe.

Johnson hat seinen Flug nach Delhi bereits abgesagt. Die Briten wollen den Reiseverkehr mit Indien ab Freitag stark einschränken – wegen einer neuen Virusmutation, die sich auf dem Subkontinent derzeit stark verbreitet. Vor der Variante mit der offiziellen Kennzeichnung B.1.617 warnte auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Da B1.617 sich auch bei Impfung durchsetzen kann, kommt auch auf Europa ein Problem zu“, schrieb er auf Twitter. Das Robert Koch-Institut sieht allerdings noch nicht genügend Daten, um die Variante als „besorgniserregend“ einzustufen.

Auch Modi betrachtet trotz der Mutation die Impfkampagne weiter als das beste Mittel gegen die Pandemie. Ab Mai will er alle Erwachsenen ab 18 Jahren zur Impfung zulassen. Bisher haben erst acht Prozent der Bevölkerung das Vakzin erhalten. Obwohl der Subkontinent mit dem Serum Institute of India (SII) über einen der größten Coronavirus-Impfstoffhersteller der Welt verfügt, steht dem 1,3 Milliarden Einwohner großen Land noch ein langer Weg bis zur Herdenimmunität bevor.

Ein Grund, weshalb es nicht schneller vorangeht, liegt aus Sicht von Indiens Pharmaindustrie in den USA. „Ich möchte Sie höflich darum bitten, den Exportstopp für Rohmaterialien aufzuheben“, schrieb SII-Chef Adar Poonawalla vergangene Woche an US-Präsident Joe Biden. Nur so könne er die Impfstoffproduktion tatsächlich so schnell hochfahren, wie es derzeit notwendig ist.

Mehr: Die nächste Corona-Welle überrollt Asien

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