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Terror in Kabul Aus Bidens Afghanistan-Krise wird eine Katastrophe

Der US-Präsident droht nach den Anschlägen am Kabuler Flughafen mit Vergeltung. Doch jede neue Entscheidung in Afghanistan wird für ihn zum Risiko. 
27.08.2021 - 03:45 Uhr 2 Kommentare
Der US-Präsident schweigt im Weißen Haus für die Toten des Terroranschlags am Kabuler Flughafen. Quelle: Reuters
Joe Biden

Der US-Präsident schweigt im Weißen Haus für die Toten des Terroranschlags am Kabuler Flughafen.

(Foto: Reuters)

Washington Während die Todeszahlen am Kabuler Flughafen weiter stiegen, ließ sich der US-Präsident von seinen engsten Vertrauten informieren. Fünf Stunden verbrachte Joe Biden am Donnerstag im Situation Room, der Notfallzentrale des Weißen Hauses.

Seine Experten übermittelten ihm eine dramatische Nachricht: Zwölf Mitglieder des US-Militärs wurden bei dem Doppelanschlag am Kabuler Hamid Karzai Airport in Afghanistan getötet. Mehr als ein Dutzend US-Soldaten wurde verletzt, dazu starben mindestens 60 afghanische Zivilisten. Seit fast eineinhalb Jahren hatte es keine amerikanischen Todesopfer mehr in Afghanistan gegeben.

Eigentlich wollte Biden, der nach 20 Jahren Kriegseinsatz den Truppenabzug befahl, das Sterben von US-Soldaten beenden. Doch die Blitzeroberung des Landes durch die Taliban überrumpelte den US-Präsidenten und provozierte eine chaotische Evakuierungsmission, die Tag für Tag gefährlicher wurde.

Seit rund einer Woche hatte Biden vor Attacken des Islamischen Staats (IS) in Afghanistan gewarnt, jetzt ist das Schreckensszenario einer Eskalation eingetreten.

Über Nacht ist damit aus der Krise in Afghanistan eine Katastrophe geworden – und jede Entscheidung, die der US-Präsident jetzt trifft, wird zum Risiko: 

1. Biden droht mit Vergeltung 

Washington kündigte am Donnerstag militärische Vergeltung an. „Wir werden nicht vergeben, wir werden nicht vergessen, wir werden sie jagen und bezahlen lassen“, versprach Biden bei einem Auftritt im Weißen Haus, bei dem er sichtlich erschüttert wirkte. Er habe bereits angeordnet, „Operationspläne zu entwickeln, um die wichtigsten Vermögenswerte, Zentralen und Einrichtungen des IS zu treffen“. In Arbeit sei eine „gezielte und kraftvolle Reaktion“.

Doch die Attacken, für die die USA den IS verantwortlich machen, haben die Verwundbarkeit der etwa 6000 US-Soldaten gezeigt, die den Kabuler Flughafen sichern sollen. Vergeltungsangriffe könnten laut US-Experten von Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder von einem U-Boot oder Flugzeugträger im Arabischen Meer aus gestartet werden.

Biden droht Attentätern von Kabul mit Vergeltung


Allerdings hält John R. Allen, Präsident der US-Denkfabrik Brookings und früherer Befehlshaber der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan, die Pläne für höchst riskant. „Es fehlt eine feste regionale Basis, dazu machen potenzielle Überflugsbeschränkungen solche Strategien unglaublich herausfordernd, wenn nicht unmöglich“, schrieb er. „Mit ihrem Abzug aus Afghanistan haben die USA fast ihren gesamten Einfluss als Hauptakteur in Zentralasien verloren“.

Es droht außerdem eine Spirale der Gewalt, die Biden mit seinem Abzug eigentlich stoppen wollte. Die Gefahr durch den afghanischen Zweig des IS wurde bei vielen Anschlägen in diesem Jahr deutlich, unter anderem auf eine Mädchenschule und eine Entbindungsklinik. Schon in den kommenden Tagen könnten weitere Attacken folgen, warnen Experten, auch auf US-Truppen.

2. Die Luftbrücke ist in Gefahr

Die Anschläge ereigneten sich nur fünf Tage vor dem Abzugsdatum der USA, an dem Biden weiterhin festhält. Doch die Evakuierungsmission ist noch nicht beendet, und es ist unklar, ob die USA sie überhaupt erfüllen können. Zwar wurden seit Juli mehr als 100.000 US-Bürger und afghanische Helfer ausgeflogen, doch laut dem Pentagon sind schätzungsweise 150 amerikanische Staatsbürger nicht auffindbar. Der Sender CNN geht mit Berufung auf Flüchtlingsorganisationen davon aus, dass „Tausende afghanische Übersetzer und andere Helfer zurückgelassen werden könnten“.

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Schon in den vergangenen Tagen verlangsamte sich das Tempo der Evakuierungen wegen der zunehmend angespannten Sicherheitslage – mehrere Länder haben die Rettungsflüge komplett eingestellt. Auch symbolisch ist das Blutvergießen am Kabuler Flughafen, Epizentrum einer beispiellosen Luftbrücke des Westens, ein Rückschlag für die Biden-Regierung.

Noch 24 Stunden zuvor hatte das Weiße Haus betont: „Die Evakuierungen sind nichts anderes als ein Erfolg.“ Die Regierungszentrale hatte nach massiver Kritik einen schnellen, gewaltfreien Abzug versprochen. Dieses Ziel ist nun endgültig zerstört. 

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3. Wie verlässlich sind die Taliban?

Die Terrorattacken durchkreuzen Bidens Strategie, die Taliban strategisch in die Evakuierungen mit einzubeziehen. Bislang waren die Taliban für Teile der Sicherung des Flughafens mitverantwortlich, was selbst in Bidens eigenen Reihen Kritik provoziert. „Eines ist klar: Wir können den Taliban die Sicherheit der Amerikaner nicht anvertrauen“, warnte der demokratische Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, Bob Menendez.

Zwar sind die Taliban und der IS verfeindet, das heißt aber nicht, dass die Taliban plötzlich zum verlässlichen Partner der USA werden. Es gibt inzwischen unzählige Berichte über Taliban, die im ganzen Land Verbündete des Westens aufspüren und foltern oder töten. Im Zuge der Rückeroberung Afghanistans waren mutmaßlich Hunderte IS-Anhänger aus den Gefängnissen befreit worden. Und noch Stunden vor den Terrorattacken wiesen die Taliban die Gefahr von Anschlägen am Kabuler Flughafen zurück. 

Biden betonte am Donnerstag, dass „wohl niemand den Taliban vertraut“. Doch in der Realität verhandeln die USA seit Tagen mit den Taliban und halten die Kommunikationskanäle offen – mit dem Ziel, die Evakuierungen so schnell wie möglich abzuwickeln.

Mehrere Republikaner fordern bereits den Rücktritt des US-Präsidenten. Quelle: AP
Joe Biden

Mehrere Republikaner fordern bereits den Rücktritt des US-Präsidenten.

(Foto: AP)

Biden bleibt dabei, es sei „richtig gewesen“, mit den Taliban zu kooperieren. „Es ist in ihrem eigenen Interesse, dass wir das Land verlassen und dass wir so viele unserer Leute wie möglich rausholen.“ Der US-Präsident erklärte, es gäbe keine Hinweise darauf, dass sich Taliban und IS-Kämpfer für die Anschläge zusammengeschlossen haben. 

4. Der Druck auf Biden wächst

Die meisten politischen Attacken, vor allem aus der Opposition, sind zwar populistisch. Aber das Dauerfeuer der Kritik, gepaart mit sinkenden Zustimmungswerten, unterstreicht, dass Biden zum ersten Mal in seiner Präsidentschaft wirklich angreifbar geworden ist.

„Joe Biden hat Blut an den Händen“, twitterte Elise Stefanik, wichtigste Republikanerin im Repräsentantenhaus. Die frühere UN-Botschafterin Nikki Haley forderte Biden zum Rücktritt auf, mehrere republikanische Senatoren zogen nach. Parallel schürte Ex-Präsident Donald Trump Ängste vor einer neuen Flüchtlingskrise und warnte, Biden hole „Hunderte neue Terroristen“ ins Land. 

Wäre die Evakuierung am Ende ohne neue Todesopfer über die Bühne gegangen, hätte es für Biden zumindest die Chance gegeben, die Afghanistan-Krise mit ein paar Wochen Abstand hinter sich zu lassen. Doch neben der Pandemie entwickelt sich Afghanistan nun zum zweiten großen Problem seiner Amtszeit. 

Mehr: Alle Entwicklungen in der Afghanistan-Krise in unserem Newsblog.

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2 Kommentare zu "Terror in Kabul: Aus Bidens Afghanistan-Krise wird eine Katastrophe"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Auch Matthias Claudius schrieb schon anno 1778 das "Kriegslied:

    Es ist Krieg, es ist Krieg, oh Gottes Engel rede Du `drein..........
    und ich begehre nicht Schuld daran zu sein.

    Wer von allen säbelrasselnden Generälen kennt schon diese " alte Lyrik"?
    the stupid german.

  • Theodor Fontane hat bereits 1859 über den britischen Rückzug aus Kabul geklagt: „Die hören sollen, sie hören nicht mehr, vernichtet ist das ganze Heer. Mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.“

    Der Westen hätte also gewarnt sein können. Aber wer denkt heute schon in geschichtlichen Bezügen? Oder gar in geostrategischen Kategorien? Es scheint, als wäre es besser gewesen, die militärische Präsenz in Afghanistan mit einer Minimalbesetzung fortzuführen und so die geopolitischen Gesamtkosten zu minimieren.

    Und was Deutschland und Europa angeht: Der alte Kontinent ist noch weit davon entfernt, "weltpolitikfähig" zu sein. Im Vorfeld der Bundestagswahl könnte man fast den Eindruck gewinnen, als gäbe es zu viele politische Leichtmatrosen, die das Fähnchen im Wind für einen Kompass in der Welt von morgen halten.

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