Chipfabrik von Infineon Doch nicht abgehängt: In diesem Feld ist Europas Chipindustrie führend

In seinem Werk in Regensburg fertigt der Konzern unter anderem auch Radar- und Luftdrucksensoren für Autos sowie die Chips, die im amerikanischen Reisepass verbaut sind.
Regensburg Einst war Regensburg die letzte Bastion der Römer gegen die Barbaren. Heute ist die Universitätsstadt eine der letzten Standfesten der europäischen Chipindustrie im Kampf mit Wettbewerbern aus Asien und Amerika. Denn in Regensburg produziert Infineon in großem Stil Sensoren. Sie sind einer der wenigen Halbleitertypen, in denen Europa noch führend ist.
In diesen Tagen bereitet Infineon die Serienproduktion von neuen, innovativen CO2-Sensoren in dem Werk an der Donau vor. Mit dem fingernagelgroßen Chip lässt sich zuverlässig die Luftqualität messen – eine gefragte Anwendung angesichts der Corona-Pandemie. Denn Covid-19 und andere Viren werden über Aerosole in der Atemluft übertragen, und die CO2-Konzentration korreliert mit den Tröpfchen.
Sensoren stehen dem Branchenverband ZVEI zufolge zwar nur für 3,4 Prozent des gesamten Chipgeschäfts weltweit, das entspricht einem Umsatz von 15 Milliarden Dollar. Aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist der Markt jedes Jahr im Schnitt um gut ein Drittel gewachsen – und damit deutlich stärker als die Halbleiterindustrie insgesamt.
Mehr noch: Der Rest der Welt ist auf Sensoren aus Europa angewiesen. Die Beratungsgesellschaft McKinsey schätzt, dass Amerika und Asien den Europäern auf diesem Feld technologisch um fünf Jahre hinterherhinken. Der Vorsprung auf China betrage sogar bis zu zehn Jahre.
Das ist bemerkenswert, denn laut McKinsey ist Europa nur noch in zwei weiteren Bereichen den anderen Weltregionen voraus: bei Leistungshalbleitern und Lithografie-Maschinen für die Chipproduktion. Leistungshalbleiter sind ebenfalls ein Schwerpunkt von Infineon. Beim Halbleiterequipment ist ASML aus den Niederlanden vorn dran. Auf allen anderen Gebieten, von den Prozessoren bis hin zu Speicherchips, sind Firmen aus Amerika und Asien technologisch führend.
Die Fertigung der Chips bei Infineon dauert bis zu 150 Tage
Das Werk in Regensburg mit seinen rund 2800 Mitarbeitern ist daher nicht nur für Infineon wichtig, sondern insgesamt für den Erhalt der Chipbranche in Europa. Zumal Deutschlands größter Chiphersteller in der Oberpfalz den gesamten Produktionsprozess angesiedelt hat, also auch das Verpacken und Testen der Bauelemente. Das erfolgt normalerweise größtenteils in Asien, weil es arbeitsintensiv ist und dort die Löhne niedriger sind. Die Fabrik ist jedoch hochautomatisiert, daher rechnet sich die Produktion an dem Standort.
Die Fertigung ist hochkomplex: Es dauere bis zu 150 Tage, um die aufwendigsten Bauelemente zu bearbeiten, sagt Standortleiter Jörg Recklies. 1500 einzelne Prozessschritte durchlaufen die Chips dabei.
Die Chipbranche insgesamt boomt derzeit wie lange nicht mehr. Für 2021 erwartet der Industrieverband World Semiconductor Trade Statistics (WSTS) ein Umsatzplus über alle Bereiche hinweg von knapp 20 Prozent auf 527 Milliarden Dollar. Das Geschäft mit Sensoren werde sogar um gut 22 Prozent wachsen. Kommendes Jahr dürfte der Branchenumsatz den Experten zufolge um weitere neun Prozent klettern.
Es liegt natürlich nicht nur an Infineon, dass Europa bei den Sensoren führend ist. Der Autozulieferer Bosch produziert solche Bauteile ebenfalls in großem Stil. Die Schwaben haben erst im Juni eine neue, eine Milliarde Euro teure Chipfabrik in Dresden eröffnet. „In jedem zweiten Smartphone stecken Sensoren von Bosch“, sagte Konzernchef Volkmar Denner im Handelsblatt-Interview. Bei den sogenannten Mems-Sensoren, also den mikroelektromechanischen Elementen, sieht sich Bosch als Weltmarktführer.
Auch weniger bekannte deutsche Firmen sind bei den Sensoren vorn mit dabei: die börsennotierte Elmos aus Dortmund etwa oder First Sensor aus Berlin. In Europa gehören ST Microelectronics sowie die österreichische AMS zu den großen Sensoranbietern. AMS hat vergangenes Jahr Osram übernommen.
IoT-Anwendungen auch für kleinere Firmen
Darüber hinaus drängen Start-ups in das Geschäft. Sensry aus Dresden etwa hat einen Sensor entwickelt, mit dem sich Kühlketten kontrollieren, Maschinen überwachen oder Ventile überprüfen lassen. Die Sachsen wollen eine Lösung auf den Markt bringen, mit dem auch kleinere Firmen problemlos Anwendungen fürs Internet der Dinge entwickeln können.
Ein Einsatzgebiet ist zum Beispiel die vorausschauende Wartung: Die Sensoren erfassen Geräusche und erkennen so den Verschleiß an Maschinen. Automatisch ruft das System bei Bedarf Techniker hinzu und bestellt Ersatzteile. Im Gegensatz zu den großen Chipherstellern wie Infineon unterhält Sensry keine eigenen Werke, sondern lässt bei Auftragsfertigern wie Globalfoundries in Dresden produzieren.
In Regensburg fertigt Infineon auch Radar- und Luftdrucksensoren für Autos, Mems-Mikrofone für Handys und sogar die Chips für den amerikanischen Reisepass. Der CO2-Sensor indes hat wohl das derzeit größte Potenzial. Die Nachfrage sei weltweit sehr hoch, das größte Interesse verzeichnet Infineon aber in Europa und den USA.

Der Chip gibt Aufschluss über die Luftqualität. Die Umstände der Pandemie haben das Geschäft daher gestärkt.
Die Marktforscher von Yolé gehen davon aus, dass der Markt für derartige Gas- und Partikelsensoren kräftig zulegen wird: von 1,2 Milliarden Dollar vergangenes Jahr auf 2,2 Milliarden im Jahr 2026.
Die Technik ist anspruchsvoll. In dem Chip erzeugt eine Infrarotquelle Lichtimpulse. Die CO2-Moleküle in der Messkammer absorbieren das Licht, wodurch die Moleküle zittern und mit jedem Puls eine Druckwelle erzeugen. Ein akustischer Mems-Detektor erkennt die Druckänderung, die durch die CO2-Moleküle erzeugt wird. Ein Mikrocontroller, also ein kleiner Computer, wandelt die Ausgabe in eine CO2-Konzentrationsmessung um.
Die Ingenieure des größten deutschen Halbleiterherstellers haben schon Jahre vor Corona an dem Chip getüftelt. Dass er eines Tages dazu beitragen könnte, eine Seuche einzudämmen, war anfangs kein Thema. Mit Covid habe der Sensor einen richtigen Schub bekommen, sagt Betriebsleiter Recklies. Mitunter ist es eben wichtig, zur richtigen Zeit mit dem richtigen Angebot zur Stelle zu sein.
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