Halbleiterhersteller Intel will 20 Milliarden Dollar in Chip-Produktion investieren

Der US-amerikanische Chiphersteller will expandieren.
San Francisco/München Dass Intel in der Krise steckt, daraus macht Pat Gelsinger keinen Hehl. Nicht umsonst hat der seit Februar amtierende Chef die Veranstaltung, auf der er seine Strategie präsentiert, „Intel Unleashed“ getauft, Intel entfesselt. In diesem Bild liegt der weltgrößte Chipkonzern wie Gulliver gefesselt am Boden, umringt von feindseligen Liliputanern.
Unter Gelsinger will sich der Chipriese aber losreißen: 20 Milliarden Dollar sollen allein in zwei neue Chipfabriken im US-Bundesstaat Arizona fließen, die ab 2024 Halbleiter produzieren sollen, kündigte Gelsinger an. Weitere Werke sollen in der EU entstehen, wo Intel bislang in Irland produziert. „Die EU hat starke Vorschläge für eine heimische Halbleiterindustrie vorgelegt“, sagte der Konzernherr.
Das kam bei den Investoren gut an: Am Mittwoch legten Intel-Aktien im vorbörslichen Handel in New York knapp vier Prozent zu. Für das Gesamtjahr prognostizierte Intel einen Umsatz von 72 Milliarden Dollar und einen bereinigten Gewinn je Aktie von 4,55 Dollar. Analysten rechneten zuvor mit Erlösen von 72,9 Milliarden Dollar und einem bereinigten Ergebnis je Anteilsschein von 4,77 Dollar. Der Ausblick reflektiere den branchenweiten Mangel an einigen Komponenten wie Substraten, teilte Intel mit.
Wo genau die neuen Fabriken gebaut werden, wolle Intel im kommenden Jahr verkünden. Intels Deutschlandchefin Christin Eisenschmid weist gegenüber dem Handelsblatt darauf hin, dass Intel bereits seit 2019 sieben Milliarden Dollar in Europa investiert habe, um seine modernste Prozesstechnologie dorthin zu bringen und die Produktionsflächen mehr als zu verdoppeln.
Bislang würden 80 Prozent aller Halbleiter in Asien produziert, nur 15 Prozent in den USA und fünf in Europa, sagte Gelsinger. Intel ist einer der wenigen Chipkonzerne, die überhaupt noch selbst und in Werken in den USA und Europa fertigen. Mit den richtigen finanziellen Anreizen sei Intel bereit, sich gegen dieses „Ungleichgewicht in der globalen Lieferkette“ zu stemmen.
„Jede Industrie braucht mehr Chipkapazität“
In den neuen Werken sollen nicht nur Intels eigene Chips hergestellt werden, sondern auch die von Kunden. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley will eine eigene Sparte für Auftragsfertigung schaffen, mit Extra-Produktionsstätten und einem Chef, der direkt an Gelsinger berichtet.
„Jede Industrie braucht mehr Chipkapazität“, sagte der Intel-CEO, von der Autobranche bis zu den Herstellern von Unterhaltungselektronik. Dem Manager zufolge wird das Geschäft der Auftragsfertiger, der sogenannten Foundries, bis 2025 auf mindestens 100 Milliarden Dollar wachsen. Als Beispiel für einen Kunden nannte Gelsinger das US-Militär, das eine vertrauenswürdige Halbleiterversorgung im eigenen Land benötige.
Für Intel ist die Auftragsfertigung nicht neu. Der Konzern hat schon in der Vergangenheit für andere Hersteller produziert. Allerdings hat dieses Geschäft bislang keine große Rolle gespielt. Der Chipkonzern rühmt sich, der letzte große „Integrated Device Manufacturer“ (IDM) zu sein, bei dem Design und Produktion von Chips eng einhergehen. Der alte Gegenspieler AMD dagegen hat seine Fabriken schon vor Jahren verkauft. Sie produzieren heute unter dem Namen Globalfoundries für zahlreiche Kunden. Konkurrenten wie Nvidia oder Qualcomm haben ihre Fertigung von vornherein an Foundries vergeben, etwa TSMC in Taiwan.
Was lange als Intels Stärke galt, wurde in den vergangenen Jahren aber zum Problem. Die Umstellung der Werke auf die modernsten Fertigungstechniken verzögerte sich um Jahre, während TSMC neue Verfahren meisterte. Die Anleger sorgen sich daher um Intel. Der Konzern führt die Chipbranche zwar nach wie vor an und ist hochprofitabel. Trotzdem hat Nvidia Intel 2020 als wertvollsten Konzern der Industrie abgelöst.
Intel verfolgt ein entschiedenes Sowohl-als-auch
Die neue Linie nennt Gelsinger „IDM 2.0“. Sie ist ein entschiedenes Sowohl-als-auch. Intel will für andere fertigen, aber auch selbst mehr Produktion auslagern: So sollen für 2023 geplante Prozessoren für PCs und Netzwerkrechner teilweise von TSMC stammen. Auch wenn Gelsinger die „schon lange bestehenden Beziehungen zu Foundries“ betont, ist es ein Eingeständnis, dass Intel derzeit technologisch nicht ganz vorn dran ist. Der Kern der Prozessoren werde aber auch künftig aus den eigenen Fabriken stammen, betont Intel. Prozessoren sind das Gehirn eines jeden Rechners.
Neben der Reputation leidet auch Intels Geschäft unter den Fertigungsproblemen: Apple bestückt einige seiner Mac-Laptops seit vergangenem Jahr mit dem selbst entwickelten Prozessor M1, den TSMC produziert, statt mit einem Intel-Prozessor.
Dass Apples Prozessor so gute Kritiken bekommt, wurmt Gelsinger: Der Chipkonzern müsse bessere Prozessoren „als ein Lifestyle-Unternehmen“ entwickeln, sagte er Mitte Januar bei seinem ersten internen Auftritt, noch ehe er das Amt offiziell übernommen hatte.
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Lange hat Intel das Geschäft mit Prozessoren für Bürocomputer und Server nach Belieben beherrscht. Nun sind beide Geschäftsfelder bedroht: Bei den PCs übernehmen Konkurrenten wie Apple und AMD die Marktanteile. Für die Rechenzentren, wo Intel mehr als 90 Prozent des Marktes kontrolliert, entwickeln die großen Cloud-Anbieter wie Amazon eigene Chips.
Nvidia plant, die Übernahme des britischen Chipdesigners Arm für die Entwicklung energieeffizienter Chips zu nutzen und so Intels Vorherrschaft in dem Geschäft zu brechen. In zwei Wochen will Intel seine neuen „Ice Lake“-Chips für Datenzentren vorstellen.
Analysten sehen den neuen Kurs von Gelsinger mit gemischten Gefühlen. Es sei positiv, dass der Konzern seine Produktionsprobleme der jüngsten Zeit nun in den Griff bekomme, so Stacy Rasgon von Bernstein Research. Die Profitabilität dürfte wegen der angekündigten hohen Investitionen aber unter Druck geraten.
Genau das wird eine der kniffligsten Aufgaben für Gelsinger in den kommenden Monaten und Jahren sein: Er muss Intel für die Zukunft fit machen, ohne den Kapitalmarkt mit den riesigen Ausgaben für die Werke zu verschrecken.
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