Kommentar Gegen den Chipmangel: Biden setzt die richtigen Signale

Wafer von Branchenführer Intel: US-Präsident Biden will die Halbleiterindustrie in seinem Land mit 50 Milliarden Dollar fördern. Konzerne wie Intel sollen dafür mehr in Amerika produzieren und forschen.
Viele Entscheidungen seines Vorgängers hat US-Präsident Joe Biden binnen weniger Stunden nach seinem Amtsantritt rückgängig gemacht. An Donald Trumps Chipboykott gegenüber China allerdings hält Biden fest. So wie Trump hat auch Biden erkannt, dass Halbleiter für die Zukunft eines Landes von entscheidender Bedeutung sind.
An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Denn Biden belässt es im Gegensatz zu Trump nicht bei Strafaktionen und wortgewaltigen Drohungen gegen den Rivalen China. Der Demokrat will selbst gestalten. Mit 50 Milliarden Dollar möchte der Präsident die amerikanische Chipindustrie fördern, um unabhängiger von Lieferungen aus Fernost zu werden und Versorgungsengpässe wie momentan in der Autoindustrie zu vermeiden.
Es sieht so aus, als würde er für dieses Megaprojekt tatsächlich auch die Unterstützung der oppositionellen Republikaner gewinnen – und die staatliche Förderung so binnen kürzester Zeit auf den Weg bringen.
Auch Europa setzt Biden damit unter Druck: Wenn der Kontinent nicht weitgehend von der Landkarte der Chipindustrie verschwinden will, müssen EU und nationale Regierungen jetzt schnell wichtige Fragen beantworten: Wo genau soll es mit der Chipindustrie in Europa hingehen? In welche Bereiche ist es jetzt sinnvoll zu investieren? Welche Forschungsinstitute und welche Firmen bekommen wie viel Geld? Anschließend müssen Entscheidungen fallen, spätestens diesen Sommer. Jahrelanges Gezerre kann sich Europa nicht leisten. Es geht nicht um Klein-Klein, es geht um die großen Fragen und große Herausforderungen.
Kein europäischer Hersteller in den Top Ten
Europa produziert heute nicht einmal zehn Prozent aller Halbleiter weltweit, verbraucht aber 20 Prozent. Wenn nichts geschieht, wird der Anteil an der Fertigung weiter sinken. Die Chipindustrie rechnet mit einem jährlichen Umsatzplus von zehn Prozent für die nächsten Jahre. Dazu kommt: In der Branche zählt Größe, doch unter den zehn umsatzstärksten Anbietern weltweit war den Marktforschern von Gartner zufolge vergangenes Jahr kein einziger aus Europa. Stattdessen stammten sechs aus den USA, also jenem Land, das jetzt zur großen Offensive ansetzt. Zugegeben, viele der US-Konzerne fertigen nicht in der Heimat. Chiptechnologie aber ist Schlüsseltechnologie, Europa droht die Marginalisierung.
Vor allem aber werden die elektronischen Bauelemente für alle Kernbereiche der europäischen Industrie immer wichtiger. Autos wandeln sich zu fahrenden Computern und benötigen entsprechend mehr und leistungsstärkere Chips. Maschinenfabriken werden vernetzt, genauso wie Windkraftanlagen, Elektroräder oder Waschmaschinen.
Es wird künftig daher einerseits viel mehr Abnehmer in Europa geben, andererseits werden bestehende Kunden mehr Chips als heute kaufen. Das spricht dafür, neue Werke zu unterstützen.
Natürlich ist es illusorisch, bei den Chips völlig unabhängig von anderen Regionen zu werden. Wenn sich die Wirtschaftsblöcke komplett abkoppeln, würden die Preise für Halbleiter zwischen 35 und 65 Prozent steigen, hat die Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group ausgerechnet. Anders formuliert: Weil sie global stark verzahnt ist, spart die Halbleiterbranche momentan jedes Jahr zwischen 45 und 125 Milliarden Dollar.
Europa sollte seine Champions fördern
Trotzdem sollte Europa Bereiche definieren, in denen der Kontinent einen gewissen Grad an Selbstversorgung erreichen möchte. Dafür spricht nicht zuletzt der seit Monaten anhaltende Lieferengpass bei Autochips. Mit einer neuen, hochmodernen Fabrik für Prozessoren könnte Europa beispielsweise dafür sorgen, dass ausreichend Halbleiter für Zukunftsfelder wie das autonome Fahren bereitstehen. Prozessoren sind das Gehirn eines jeden Rechners.
Darüber hinaus sollte die EU die eigenen Stärken in der Chipbranche gezielt fördern, also jene Felder, auf denen es weltweit ohne europäisches Halbleiter-Know-how nicht geht. Das sind zum Beispiel die Autochips, die Leistungshalbleiter zur Stromversorgung, die Sicherheitschips, wie sie etwa in Pässen oder Geldkarten eingesetzt werden, und auch Sensoren. Hier sind Infineon, NXP und ST Microelectronics führend.
Zudem besitzt Europa mit ASML einen einzigartigen Hersteller von Maschinen für die Chipherstellung. Nur mithilfe der Niederländer lassen sich die ehrgeizigen Wachstumspläne der riesigen asiatischen Auftragsfertiger TSMC und Samsung umsetzen. In Verhandlungen mit China und den USA könnten die europäischen Technologieführer noch enorm wichtig werden.
Joe Biden ist mit viel Elan angetreten, das ist sein Vorteil. In Brüssel und den europäischen Hauptstädten sollten sie dem US-Präsidenten nun nacheifern in seinem Engagement für die Chipindustrie.
Mehr: Gegen den Chipmangel: Kunden finanzieren Fabrikausbau von Globalfoundries
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.