Medizintechnik „New Ambition“: Siemens Healthineers erhöhen die Mittelfristziele

In der Bildgebung ist der Dax-Konzern Weltmarktführer. Die Sparte soll auch in den nächsten Jahren stark wachsen.
München, Frankfurt Die Siemens Healthineers wollen in den kommenden Jahren ihr Wachstum beschleunigen. „Wir leisten Pionierarbeit im Gesundheitswesen“, sagte Healthineers-Chef Bernd Montag am Mittwoch auf einem Kapitalmarkttag und hob die Mittelfristziele für die kommenden Jahre an.
Die Healthineers sind die Medizintechniksparte von Siemens. Das Unternehmen ist seit dreieinhalb Jahren an der Börse notiert. Im September wurden die Healthineers in den Dax aufgenommen.
Mit der Strategie „New Ambition“ will Montag nun den nächsten großen Schritt einläuten. „Es geht um eine stetig steigende Zunahme bahnbrechender Innovationen und um beschleunigtes Wachstum“, sagte Montag.
Konkret wollen die Healthineers mit Zukunftsthemen wie Präzisionstherapie, Digitalisierung und der Bekämpfung von Krebserkrankungen in den Geschäftsjahren 2023 bis 2025 den Umsatz auf vergleichbarer Basis um sechs bis acht Prozent im Jahr steigern. Der bereinigte Gewinn pro Aktie soll um zwölf bis 15 Prozent zulegen.
Bislang hatten die Healthineers ein Umsatzwachstum von vergleichbar mindestens fünf Prozent pro Jahr und ein Wachstum von rund zehn Prozent beim bereinigten Gewinn je Aktie pro Jahr in der Mittelfristplanung. Die zweite Strategiephase „Upgrading“ wurde nun ein Jahr früher als geplant abgeschlossen.
Die Börse reagierte positiv auf die neuen Mittelfristziele. Mit einem Plus von mehr als fünf Prozent auf 63 Euro stand die Healthineers-Aktien am Mittwochmorgen an der Dax-Spitze.
Weltmarkt für Medizintechnik wächst kräftig
Die Wachstumspläne von Siemens liegen im Trend der Branche. Das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan prognostiziert, dass der Weltmarkt für Medizintechnik bis 2025 pro Jahr durchschnittlich um mehr als sechs Prozent wachsen wird – konservativ gerechnet.
Im optimistischen Szenario könnte der Markt sogar um mehr als sieben Prozent pro Jahr auf dann rund 616 Milliarden Dollar ansteigen. Minimalinvasive Medizin und Kardiologie gehören dabei derzeit zu den am stärksten wachsenden Bereichen, mit Zuwachsraten von mehr als zehn Prozent. Orthopädie und bildgebende Verfahren legten in diesem Jahr mit Raten von mehr als acht Prozent ebenfalls stark zu.
Die Healthineers sind in den vergangenen drei Jahren im Schnitt um knapp sechs Prozent im Jahr gewachsen. Im Geschäftsjahr 2020/21 (30. September) profitierte das Unternehmen von der Pandemie. Die Umsätze stiegen um vergleichbar 19 Prozent auf erstmals 18 Milliarden Euro. Das Unternehmen verkaufte allein Antigen-Schnelltests für mehr als eine Milliarde Euro.
Dieser Boom dürfte in den nächsten Quartalen nachlassen. Doch Montag rechnet damit, dass als Lehre aus der Pandemie die weltweiten Ausgaben für Gesundheit steigen werden. „Die Gesundheitsbranche ist ein Wachstumsmarkt – jetzt erst recht“, sagte er, als er im Interview mit dem Handelsblatt erstmals die Erhöhung der Mittelfristziele ankündigte. Die Gesellschaften hätten in der Krise gelernt, dass ein funktionierendes Gesundheitswesen mehr sei als ein Kostenfaktor.
Geschäft mit digitalen Gesundheitsdiensten legt zu
Besondere Wachstumschancen sehen Experten im Bereich digitaler Angebote. „Wir erwarten eine hohe Dynamik im Markt, die in den kommenden Jahren auch Fusionen und Übernahmen nach sich ziehen wird“, sagte Roland-Berger-Berater Karsten Neumann. Nach Berechnungen der Berater dürfte allein der Markt für digitale Gesundheitsangebote in Europa bis 2025 um die Hälfte auf 232 Milliarden Euro steigen.
Die Siemens Healthineers sehen gute Chancen, davon besonders zu profitieren. Das Unternehmen ist traditionell in der Bildgebung Weltmarktführer und rollt gerade die neue Diagnostikplattform Atellica aus. Der Start geriet zwar holprig. Doch wenn die Basis erst einmal bei den Kunden steht, winken gute Umsätze mit den Ingredienzien.
In der bildgebenden Diagnostik setzt Siemens große Hoffnungen in neu entwickelte Geräte: Zum einen hat das Unternehmen in mehr als 15 Jahren den weltweit ersten quantenzählenden CT-Scanner entwickelt, der nun für den klinischen Einsatz in den USA und Europa zugelassen ist.
Die quantenzählende Technologie bietet im Vergleich zu herkömmlichen Computertomografen eine höhere Auflösung bei stark verringerter Strahlendosis. Die neuen Geräte generieren mehr verwertbare Daten und ermöglichen beispielsweise das Scannen der Lunge mit hoher Geschwindigkeit, sodass der Patient nicht mehr die Luft anhalten muss. Mehr als 20 Systeme sind laut Healthineers bereits installiert und im klinischen Alltag im Einsatz.
Ganzkörper-MRT wird zur Umsatzhoffnung
Eine weitere Neueinführung ist ein kostengünstigerer Ganzkörper-MRT-Scanner, der weltweit einen besseren Zugang zur Magnetresonanztomografie ermöglichen soll. Über den gesamten Lebenszyklus gerechnet soll der neue Scanner um bis zu 30 Prozent günstiger sein als herkömmliche Geräte. Laut Healthineers sind 50 Prozent der Weltbevölkerung von der MRT-Bildgebung ausgeschlossen.
Schwerpunkt der neuen Strategie sollen die Bekämpfung schwerwiegender Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Ermöglichung effizienterer Abläufe im Gesundheitswesen, zum Beispiel durch Automatisierung, sein. Zudem solle mehr Menschen in der Welt Zugang zu bezahlbarer, hochwertiger Gesundheitsversorgung ermöglicht werden.
Konkret soll die Bildgebung im Rahmen der neuen Mittelfriststrategie um jährlich fünf bis acht Prozent zulegen. Die Diagnostiksparte soll um vier bis sechs Prozent wachsen, die Einheit Advanced Therapies, die minimalinvasive Verfahren und durch Bildgebung unterstützte Operationen umfasst, um fünf bis acht Prozent.
Große Hoffnungen setzt CEO Montag auf den US-Krebstherapiespezialisten Varian, den die Healthineers in der größten Akquisition der Konzerngeschichte für mehr als 16 Milliarden Dollar übernommen hatten. Er hob das Synergieziel von 300 auf mehr als 350 Millionen Euro an und stellte ein Umsatzwachstum von jährlich neun bis zwölf Prozent bei Varian in Aussicht. Die Varian-Marge soll bis 2025 auf deutlich über 20 Prozent steigen.
Coronaeffekte lassen nach
In seinem neuen Finanzrahmen will Healthineers zudem unter anderem acht bis neun Prozent des Umsatzes für Forschung und Entwicklung ausgeben und weiterhin 50 bis 60 Prozent des Nettogewinns ausschütten.
Im laufenden Geschäftsjahr 2021/22 rechnet Siemens Healthineers ausnahmsweise nur mit null bis zwei Prozent Umsatzwachstum auf vergleichbarer Basis. Damit ist die Medizintechnik im Siemens-Konzern Schlusslicht, die anderen Sparten Digitale Industrien, Intelligente Infrastruktur und Bahntechnik prognostizierten Zuwächse von fünf bis acht Prozent.
Allerdings liegt das primär daran, dass die kurzfristigen Coronaeffekte kleiner ausfallen dürften. Rechnet man die Umsätze mit Schnelltests heraus, erwartet das Unternehmen ein Umsatzplus von fünf bis sieben Prozent. Die Umsätze ohne den Schnelltest-Effekt sind auch die Absprungbasis für das versprochene Wachstum in den nächsten Jahren.
Die neue Strategie soll von einem neu formierten Vorstandsteam umgesetzt werden. Die Asienverantwortliche Elisabeth Staudinger steigt in das oberste Führungsgremium auf. Christoph Zindel wird dagegen aus persönlichen Gründen Ende März gehen. Der 60-Jährige verantwortet das Ultraschallgeschäft, über dessen Verkauf immer wieder spekuliert wird.
Die Healthineers-Aktie war im Frühjahr 2018 zu einem Ausgabepreis von 28 Euro an der Börse gestartet. In diesem Jahr hat der Kurs deutlich stärker als der Dax um mehr als 40 Prozent auf rund 60 Euro zugelegt.
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