Medienbranche Bertelsmann-Chef will Einheiten zu „nationalen Media-Champions“ aufbauen

Der Bertelsmann-Chef fordert von seinen Einheiten, „nationale Media-Champions“ zu sein.
Gütersloh Eine neue Unternehmensstrategie soll den Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann zukunftssicher machen. In dieser Woche schwor Vorstandschef Thomas Rabe seine rund 550 Führungskräfte auf einer virtuellen Tagung auf seinen neuen Kurs ein. Die Strategie sei noch „in progress“, wie er betont, alles noch in Arbeit. Im November sollen die Unternehmensbereiche von Bertelsmann konkrete Maßnahmen präsentieren.
Die Zeit drängt. „Die neue Dimension des Wettbewerbs – die US-Plattformen“ heißt der Chart, den Rabe seinen Führungskräften präsentierte. Die Erkenntnis: Die amerikanischen Techkonzerne Google, Amazon, Facebook und Netflix sind im vergangenen Jahr satt zweistellig gewachsen und locken immer mehr Nutzer auf ihre Dienste.
Bertelsmann mit seiner TV-Tochter RTL Group, der Buchsparte Penguin Random House, der Musiktochter BMG und dem Verlagshaus Gruner + Jahr hingegen stagniert. Im vergangenen Jahr sank der Konzernumsatz um 4,1 Prozent auf 17,3 Milliarden Euro.
Vergleicht man die Nutzerzahlen, so fällt die Analyse noch schlechter aus. Der US-Streamingdienst Netflix hat in Deutschland nach Berechnungen des Analysehauses Ampere 10,9 Millionen Abonnenten. Die Bertelsmann-Tochter RTL kommt mit ihrem Streamingangebot „TV Now“ bislang nur auf 1,3 Millionen zahlende Kunden.
Rabe, der in Personalunion auch die RTL Group seit zwei Jahren führt, will nun mit fünf Prioritäten dagegenhalten. Alle fünf Stoßrichtungen hat der Bertelsmann-Chef mit klaren Wachstumszielen versehen.
Fakt ist: Der Konzern mit seinen rund 130.000 Mitarbeitern steht vor tiefgreifenden Veränderungen. „Wir müssen die eigenen Strukturen weiterentwickeln“, formuliert es Finanzvorstand Rolf Hellermann am Rande der Führungskräftetagung vorsichtig. Weiterentwickeln oder doch radikal umbauen?
Mit seiner neuen Strategie will Konzernchef Rabe den Rahmen setzen. Er fordert von seinen Einheiten, „nationale Media-Champions“ zu sein. Auf dem deutschen Markt sieht Rabe dafür Potenzial, in Frankreich weniger. Nach dieser Logik hat er das Portfolio bereinigt: Die französische Gruner+Jahr-Tochter Prisma Media wurde bereits veräußert, die französische Sendergruppe M6 sucht gerade einen Käufer.
Zu den nationalen Media-Champions zählt der Konzern vor allem die TV-Tochter RTL. Bis 2025 soll dieser Bereich um jährlich fünf Prozent wachsen, so sieht es der neue Strategieplan vor. RTL-Deutschlandchef Bernd Reichart präsentierte auf der internen Tagung seinen neuen Fokus auf das „Direct-to-consumer“ (D2C)-Geschäft.
Damit meint Reichart den hauseigenen Streamingdienst TV Now, der sowohl Nutzer als auch Werbekunden individueller ansprechen soll, als es das klassische Fernsehen vermag. „Dieser Bereich erfordert die höchsten Investitionen“, sagt Reichart. Eine Milliarde Euro steckt das Unternehmen pro Jahr in eigene Inhalte. Doch es lohne sich: „D2C ist der Nummer-eins-Treiber für Wachstum“, sagt er.
Der Umbau wird umfassend sein: „Wir bauen andere Geschäftsmodelle, das ist hochspannend“, sagt Rabe am Tag nach der internen Tagung. Der Konzernchef will Kräfte bündeln. Hier eine Kooperation mit der Deutschen Telekom, um mehr Abonnenten für TV Now zu generieren, dort ein Zusammenschluss von Unternehmenstöchtern, wie er gerade zwischen RTL und Gruner + Jahr ausgelotet wird.
Zukunft von Gruner + Jahr ungewiss
Die Verlagstochter Gruner + Jahr („Brigitte“, „Stern“) ist schon länger in schwierigem Fahrwasser. Die langjährige Chefin Julia Jäkel hatte kurz vor Ostern ihren sofortigen Abschied bekannt gegeben. Derzeit laufen interne Analysen über eine mögliche Fusion von RTL und Gruner + Jahr. Unter dem Arbeitstitel „Discovery“ – Entdeckung – arbeiten Dutzende Mitarbeiter beider Organisationen zusammen mit dem Beratungsunternehmen McKinsey an möglichen Unternehmensformen.
Die Macher der „Discovery“ erhoffen sich viele neue Potenziale – und auch erhebliche Kosteneinsparungen, wie einige Manager in Gütersloh einräumen. Sowohl RTL als auch Gruner + Jahr haben unter der Werbeflaute in der Coronakrise stark gelitten: Der Umsatz der RTL Group sank 2020 um 9,5 Prozent auf sechs Milliarden Euro, der von Gruner + Jahr schrumpfte um 16 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro.
Doch nicht nur die Pandemie hat den Werberückgang bewirkt, auch die Techkonzerne graben seit Jahren an dem Geschäftsmodell der Gütersloher. Google und Facebook vereinen heute drei Viertel des Onlinewerbemarkts auf sich. Rabe sucht nach einem Gegengewicht dazu.
Schon heute arbeiten RTL und Gruner + Jahr auf der Vermarktungsseite mit der Ad Alliance und auf der Inhalteseite mit der Content Alliance zusammen. Jäkels Nachfolger Stephan Schäfer ist bereits in Personalunion Inhaltechef bei RTL. Alle Signale deuten auf eine Zusammenlegung beider Töchter hin.
Starkes Wachstum bei Inhalten gefordert
Das Problem: Eine Fusion wäre wohl nur möglich, wenn die börsennotierte RTL Group die kleinere Tochter Gruner + Jahr kauft. Das würde aber das Ende eines traditionsreichen Verlagshauses bedeuten. Doch Tradition wird in Gütersloh großgeschrieben.
Unternehmerin Liz Mohn hielt – wie auf jeder großen Führungskräftetagung – auch in dieser Woche ein Grußwort. Sie erinnerte an ihren verstorbenen Mann Reinhard Mohn, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. „Wir müssen viele Köpfe zum Denken bringen – das führt zu mehr Erfolg“, zitiert ihn Liz Mohn, die in diesem Sommer 80 Jahre alt wird. In dem seit 2012 amtierenden Vorstandschef Rabe sieht sie einen Garanten für Kontinuität. Sein Vertrag wurde bis 2026 verlängert.
Rabe fordert von seinen Topmanagern vor allem Wandel. Seine Ansagen sind deutlich: In der neuen Strategie sollen die Produzenten der globalen Inhalte bis 2025 eine jährliche Wachstumsrate von fünf bis zehn Prozent hinlegen. In diesen Bereich fallen die Buchtochter Penguin Random House, die Produktionstochter Fremantle und die Musikeinheit BMG.

Die Sendergruppe hat unter der Werbeflaute stark gelitten.
Eine jährliche Wachstumsrate von fünf bis zehn Prozent wird auch den Dienstleistern von Bertelsmann unter dem Namen Arvato abverlangt. Das Geschäft ist weit gefächert, es reicht von Callcentern über Finanzsysteme für Amazon bis hin zu Löschtruppen für Hasskommentare bei Facebook. In dieser umsatzstarken Sparte sind die amerikanischen Techkonzerne die besten Kunden.
Noch höhere Wachstumsquoten erhofft sich Rabe von den beiden kleinsten Einheiten des Konzerns: So soll Onlinebildung, zu der Anbieter wie Relais und Alliant gehören, mehr als zehn Prozent pro Jahr schaffen. Und bei den internationalen Investments liegt der Wunsch bei mehr als 15 Prozent.
Digitalgeschäfte sollen zunehmen
Technologie soll die Zukunft von Bertelsmann sichern. Aktuell liegt der Anteil der Digitalgeschäfte bei Bertelsmann bei 53 Prozent. Er soll weiter steigen. CFO Hellermann verweist auf die Techinitiativen innerhalb des Konzerns, etwa die „Bertelsmann Collaboration Platform“, auf der sich die Entwickler und IT-Experten der Divisionen untereinander helfen. Eine simple Idee, die aber bislang nicht praktiziert wurde. Eine andere Allianz mit dem Namen „Be Data“ befasst sich mit der gruppenübergreifenden Verwertung von Daten.
Konzernintern hat Personalvorstand Immanuel Hermreck das Weiterbildungsprogramm „Upskilling“ auf den Weg gebracht. Weiterbildung in den Bereichen Tech & Data für „alle businessrelevanten Positionen“ steht für Hermreck ganz oben auf der Agenda.
Im Traditionshaus Bertelsmann geht es um einen Kulturwandel. Rabe fordert von seinen Mitarbeitern, „nicht immer an das Naheliegende zu denken“, wie er sagt. „Stretch your mind“, strecke deinen Geist, ist sein Rat für die Geschäftsführer. Die werden sich in den kommenden Monaten gehörig dehnen müssen, um die ehrgeizigen Wachstumsziele ihres Vorgesetzten zu erreichen.
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