Quartalsbilanzen Gewinnwarnungen bei Conti und Knaus Tabbert: Auch bei anderen Unternehmen sind die Gewinnziele gefährdet

Die beiden werden nicht die einzigen Unternehmen mit Gewinnwarnungen bleiben.
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Düsseldorf Noch immer überwiegt in weiten Teilen der Wirtschaft der Optimismus: Große Nachfrage und starke Erträge haben Chemiehersteller BASF, Sportartikelproduzent Puma und Flugzeugbauer Airbus in diesen Tagen veranlasst, ihre Prognosen für das laufende Geschäftsjahr zu erhöhen.
Aber in ersten Unternehmen kippt die Stimmung schon wieder. Gestörte Lieferketten, zu wenig Halbleiter und steigende Kosten für Energie, Logistik und Produktion trübten die Aussichten bei Continental ein. Der Dax-Konzern überraschte seine Aktionäre am Freitag vergangener Woche mit einer Ertragswarnung für das laufende Geschäftsjahr.
Zuvor hatte der Wohnwagenhersteller Knaus Tabbert angesichts knapper Materialien seine Umsatz- und Profitabilitätsprognose gesenkt. Verzögerungen bei der Belieferung von Fahrgestellen werden im vierten Quartal die Produktion vorübergehend stoppen.
Continental und Börsenneuling Knaus Tabbert werden nicht die einzigen Unternehmen mit solchen Hiobsbotschaften bleiben. „Das gesamte produzierende Gewerbe ist, ähnlich wie Continental, gefährdet, die Gewinnziele nicht zu erreichen“, prognostiziert Michael Ausfelder von der unabhängigen Anlageberatung VZ Vermögenszentrum.
So optimistisch wie zum Halbjahr ist die Stimmung jedenfalls nicht mehr. Damals hatten die Nachholeffekte infolge des pandemiebedingten Stillstands der Wirtschaft für stürmisches Wachstum gesorgt. Im ersten Halbjahr hatte mehr als die Hälfte (53 Prozent) der knapp über 300 deutschen börsennotierten Unternehmen im Prime Standard mindestens einmal ihre Jahresprognose heraufgesetzt. So viele positive Überraschungen hatte es zuvor noch nie gegeben.
Volkswagen umschiffte am Donnerstag zwar die bei Aktionären ungeliebte Gewinnwarnung, senkte aber aufgrund von Versorgungsengpässen und Lieferausfällen seine Absatzerwartungen für das laufende Jahr. Wegen des anhaltenden Chipmangels fiel das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen im dritten Quartal unerwartet stark um zwölf Prozent auf rund 2,8 Milliarden Euro.
Von „andauernden Herausforderungen auf den globalen Beschaffungsmärkten“ sprach der Vorstand des Lasertechnik-Spezialisten LPKF Laser. Wegen roter Zahlen in den ersten neun Monaten werde der Umsatz im Gesamtjahr nur am unteren Rand der prognostizierten Spanne von 110 bis 120 Millionen Euro liegen.
Auch aus den USA werden Gewinnwarnungen gemeldet
Einen Vorgeschmack auf die abrupte Trendwende in der laufenden Quartalssaison hatte bereits die Wall Street geliefert, wo große Unternehmen wie der Mischkonzern Honeywell und der Haushaltsgeräteproduzent Whirlpool ihre Geschäftserwartungen reduzierten. „Wir erwarten ähnliche Warnungen am deutschen Aktienmarkt in der anstehenden Gewinnsaison“, prognostiziert Commerzbank-Analyst Andreas Hürkamp.
Selbst Apple wird nach mehrheitlicher Einschätzung von Analysten seine Produktionsziele für das neue iPhone 13 in den nächsten Wochen wohl reduzieren müssen. Wichtige Komponenten fehlen. Vorstandschef Tim Cook hatte schon im Juli gewarnt, dass sich im nächsten Geschäftsquartal Lieferengpässe bemerkbar machen könnten.
Für Verunsicherung sorgen darüber hinaus rasant steigende Rohstoffpreise und sinkende Konjunkturdaten. Sie deuten auf eine Abschwächung des Wachstums weltweit hin. Im August waren die Auftragseingänge für die deutschen Industrieunternehmen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 7,7 Prozent gegenüber dem Vormonat eingebrochen, die Produktion sank um 4,7 Prozent.
Am stärksten sind die drei großen Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen vom Materialmangel betroffen. Ausgerechnet in der Branche, die mit einem Nettogewinn von 23,8 Milliarden Euro im ersten Halbjahr für gut ein Drittel des Gesamtgewinns aller 40 Dax-Konzerne stand.
„Die Chipkrise schlägt immer heftiger auf den Neuwagenmarkt durch“, sagt Peter Fuß, Partner bei der Unternehmensberatung EY. Derzeit können Millionen Autos nicht gebaut und ausgeliefert werden, weil Halbleiter fehlen. „Für viele Zulieferer wird es in den kommenden Monaten extrem eng“, sagt Fuß.
Nicht nur Halbleiter, auch das in der Autoproduktion wichtige Magnesium fehlt. China, das für 80 Prozent der weltweiten Exporte steht, liefert derzeit so gut wie nichts. Die jetzigen Vorräte dürften in Europa spätestens Ende November erschöpft sein, hatte die Wirtschaftsvereinigung Metalle jüngst gewarnt.
Darüber hinaus gewinnt der Kostenfaktor mehr und mehr an Bedeutung. Der Preis für den Transport von Frachtgut hat sich seit Jahresanfang mehr als verdoppelt. Das betrifft vor allem Unternehmen, deren Herstellung sich wie bei Sportartikelherstellern auf wenige asiatische Staaten konzentriert, der Absatz aber sich weltweit auf viele Regionen verteilt.
Nike etwa lässt gut 50 Prozent der Turnschuhe in Vietnam fertigen. Infolge von Fabrikschließungen gingen nach Konzernangaben zehn Produktionswochen verloren. Der weltgrößte Sportartikelhersteller senkte deshalb seine Umsatzziele für das laufende Geschäftsjahr.
Abhängigkeit von China belastet
Schließlich bedroht das schwächere Wachstum in China, dem für viele deutsche Unternehmen wichtigsten Absatzland, die hohen Gewinnerwartungen. Chinas Wirtschaft ist im dritten Quartal nur noch um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Zum Vorquartal gab es mit einem Plus von 0,2 Prozent fast einen Stillstand. Das ist ein so geringer Zuwachs wie nur einmal in den vergangenen zehn Jahren. Nicht nur für die drei Autobauer BMW, Daimler und VW, auch für Infineon und Adidas ist China der wichtigste Absatzmarkt.
Häufig fehlt es an Kohle zum Erzeugen von Strom, sodass etliche chinesische Unternehmen ihre Förderbänder wochenlang anhalten mussten. Hinzu kamen in den vergangenen Wochen immer wieder neue Ausbrüche von Delta-Varianten des Covid-Virus, auf die die Provinzregierungen mit rigorosen Abriegelungen reagierten, sodass viele Firmen nicht mehr produzieren konnten. Obendrein ist der Bauboom abgeebbt, seitdem der Immobilienfinanzierer Evergrande in finanzielle Schieflage geraten ist und die Sorge vor einer Kettenreaktion ausgelöst hat.
„Sollten sich die Stilllegungen weiter ausbreiten, könnten sie die globalen Versorgungsketten, die durch die Pandemie bereits unter Druck stehen, empfindlich stören und die Weltwirtschaft in Gefahr bringen“, warnt Ryan McGrail, Analyst beim amerikanischen Vermögensverwalter Loomis Sayles.
Die Auswirkungen wären verheerend: Die börsennotierten Konzerne im Dax und MDax erwirtschaften nach Handelsblatt-Berechnungen rund zwei Drittel ihrer Umsätze im Ausland und sind deshalb auf eine starke Weltwirtschaft angewiesen.
Vor allem in der Industrie schrumpft die Produktion, weil wichtige Vorprodukte fehlen. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts beklagten zuletzt rund 70 Prozent der befragten Unternehmen, dass ihre Produktion durch die Engpässe behindert werde.
Angehobene Prognosen werden nicht immer zu halten sein
Doch nach dem starken ersten Halbjahr, das die Dax-Konzerne mit einem Rekord-Nettogewinn von knapp 63 Milliarden Euro beendeten, überwiegt immer noch Optimismus mit Blick auf das Gesamtjahr. Dazu haben die Unternehmen mit ihren vielen angehobenen Prognosen beigetragen, woraufhin viele Analysten ihrerseits ihre Erwartungen für das restliche Geschäftsjahr heraufsetzen, und das oftmals stärker, als es allein aufgrund des starken ersten Halbjahres notwendig gewesen wäre.
Ein gutes Beispiel dafür ist BASF: Allein auf Basis des besser als erwartet ausgefallenen Ergebnisses für das zweite Quartal hätten die Schätzungen für den Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) nach Berechnungen des Commerzbank-Analysten Markus Wallner für das Gesamtjahr um etwa zwei Prozent erhöht werden müssen. Stattdessen stiegen die Konsens-Schätzungen aber um mehr als zehn Prozent.
Offensichtlich sehen die Analysten die Aussichten für BASF weiterhin sehr positiv und haben deshalb ihre Schätzungen für das restliche Geschäftsjahr deutlich erhöht. Ähnliches ist auch bei anderen Dax-Unternehmen wie Covestro oder MTU zu beobachten.
Zwar hat BASF in diesem Jahr bereits zum dritten Mal die Prognose erhöht. Das Geschäft mit Basischemikalien läuft gut. Doch in anderen Segmenten, wie etwa den hoch veredelten Chemieprodukten, Saatgut und der Automobilzulieferung, läuft es schlechter. Steigende Rohstoff-, Energie- und Frachtkosten setzen dem Konzern zu. Unternehmenschef Martin Brudermüller geht davon aus, dass im vierten Quartal Lieferengpässe die weltwirtschaftliche Erholung beeinträchtigen werden.
Die Chemiebranche gilt als wichtiger Konjunkturindikator, da ihre Produkte in allen großen Industriezweigen benötigt werden. „Für das vierte Quartal gehen wir von einem Dämpfer bei den Unternehmensgewinnen aus“, sagt Marc Decker, Leiter Fondsmanagement bei Merck Finck. Die Dynamik der ersten drei Quartale werde wohl nicht anhalten. Positive Überraschungen dürften seltener werden, so Decker, „zumal die Messlatte für Unternehmensgewinne bislang kontinuierlich nach oben gesetzt worden ist“.
Das gilt vor allem für einige Dax-Neulinge, deren Aktienkurse vor ihrem Aufstieg stark gestiegen sind. Laborausrüster Sartorius berichtete im abgelaufenen Quartal über ein Umsatzplus von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr und eine Umsatzrendite vor Steuern von gut 30 Prozent. Die Neuaufträge legten um mehr als 70 Prozent zu. Auch bestätigte das Göttinger Unternehmen seine erst im Sommer angehobene Jahresprognose.
Besser kann es fast gar nicht gehen. Doch Anleger reagierten mit Verkäufen, der Aktienkurs fiel. Dieser war in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 6.000 Prozent gestiegen. Das eröffnet jetzt viel Enttäuschungspotenzial.
Es gibt aber auch Gewinner
Doch nicht alle Branchen leiden unter der Knappheit an Materialien. Die starke Nachfrage und eine steigende Produktion hat viele Vorprodukte wie Baustoffe verknappt und deren Preise im dritten Quartal nochmals steigen lassen. Davon profitieren viele Unternehmen mit höheren Margen, weil mit jedem Euro Umsatz mehr Reingewinn übrig bleibt.
Das dürfte sich in höheren Umsatzrenditen niederschlagen, beispielsweise bei Stahlherstellern wie Thyssen-Krupp und Salzgitter, Baustoffkonzernen wie Heidelberg Cement und Chemieproduzenten wie Covestro.
„Infineon sollte an der Chipnachfrage prächtig verdienen“, meint Vermögensexperte Ausfelder. Klassischen Coronagewinnern wie dem Essenslieferanten Delivery Hero oder dem Kochboxen-Spezialisten Hello Fresh dürfte es auch weiterhin gut gehen. Ebenso der Pharma- und Biotechindustrie, angeführt vom Covid-19-Impfstoffhersteller Biontech.
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