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AusstellungWilliam Turner und die Auflösung der Welt

Verdammt und bejubelt wurde William Turner im 19. Jahrhundert. Heute erzielen die Arbeiten des Briten Preise in Millionenhöhe. Das Lenbachhaus in München zeigt seine Werke.Sabine Spindler 10.01.2024 - 17:54 Uhr aktualisiert Artikel anhören

Auf William Turners Gemälde „Schneesturm“ sind die Elemente in Ekstase. Die Auflösung der Form und den eruptiven Umgang mit Farbe hatte zur Zeit seiner Entstehung 1842 keiner so weit getrieben.

Foto: Tate

München. Ein mächtiger Sturm peitscht die See. Die Elemente sind in Ekstase auf William Turners Gemälde „Schneesturm“. Flocken, Dunst und Gischt bilden ein bedrohliches Nichts aus Weiß, Blau- und Grautönen. Sie wirbeln um ein wankendes Dampfschiff. Wie schmutziger Atem steigt der braunrote Kohlerauch aus dem Schornstein.

Der Fortschritt und die Kräfte der Natur waren ein großes Thema des Londoner Romantikers, der seine Zeit nicht ausblendete. Das Gemälde von 1842 offenbart zudem, warum Turner als Vorreiter der modernen Malerei gilt. Die Auflösung der Form und den eruptiven Umgang mit Farbe hatte bislang keiner so weit getrieben.

„Der Schneesturm“ ist heute eines der bekanntesten Werke des Briten. Und doch hat es das Münchner Lenbachhauses nicht wie eine Galionsfigur an den Anfang der grandiosen Ausstellung „Turner. Three Horizons“ gehängt. Es dient als Scharnier zwischen den beiden Polen des Ausstellungskonzepts. Es trennt scharf zwischen dem offiziellen Turner und dem experimentellen Maler. Der eine wollte in der Royal Academy Beachtung finden. Er malte um 1800 die geforderten Historienbilder und Schiffsbrüche und offenbarte doch seine wahre Natur als Künstler.

Wie ein Winzling agiert der Drachentöter auf dem Gemälde „Jason“ von 1802 zwischen bizarren Baumruinen an einem rutschenden Berghang. Auf seinem Gemälde „Mündung der Maas“ 1819 degradiert er Strandgutfischer zu pittoreskem Beiwerk, indem er Dreiviertel der Leinwand einem bewegten, wolkenreichen Himmel widmet. Die Bilder lassen keinen Zweifel, dass der Künstler mit einem tiefempfundenen Naturverständnis die Landschaft erneuern will.

Vom Wasser aus beobachtete er Naturphänomene. Aber auch die Ereignisse der Stadt wie etwa das „Feuer im großen Lagerhaus des Tower“ fesselten ihn. Als 44-Jähriger reiste er 1819 erstmals nach Italien. Das Licht des Südens hat die Farbpalette aufgehellt. Sonniges Gelb schimmert nun öfter durch Wolken und Dunst und verbreitet einen Sog auf die Betrachter. Venedig verschleierte er im Lauf der Zeit mehr und mehr mit einem atmosphärischen Zwielicht.

Mit schnell getuschten, abstrahierten Farbblöcken hielt Turner seine  Erinnerung an eine imposante Küstenlandschaft in Südfrankreich um 1834 fest.

Foto: Tate

Seine Zeitgenossen warfen ihm vor, seine Gemälde seien unfertig. Andere bewunderten die malerische Umsetzung des flüchtig Wahrgenommenen. Nicht ohne Grund sehen viele ihn ihm deshalb einen Vorläufer des Impressionismus.

Hinter seinen Ateliertüren aber befreite Turner sich gänzlich von den akademischen Normen und die Farbe von ihren bisherigen Grenzen. Der Vierwaldstätter See ist bei ihm ein diffuses Zusammenspiel von Nebelschwaden und Landschaftsandeutungen. Eine Küstenlandschaft vor Südfrankreich, festgehalten auf einer Wasserfarben-Skizze von 1834, gibt er als schnell getuschte Farbblöcke wider.

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Turner wollte Grenzen austesten. Schon 1827 malte er das seiner Zeit weit vorauseilende Bild „Drei Seeansichten“. Die auf ein Farbgewölk reduzierten Eindrücke von Himmel, Meer und Küste stapelt er blockartig wie ein meditatives Streifengemälde. Als der spätere Meister des Transzendenten, der US-Maler Mark Rothko, das Bild 1966 erstmals sah, sagte er scherzhaft: „ Tuner hat viel von mir gelernt.“

Turner wurde zu Lebzeiten verdammt und bejubelt. Seinen Geschäftssinn hat das nicht berührt. Sammler bediente er in der eigenen Galerie. Um die 500 Pfund kosteten seine ätherischen Landschaften. Derzeit liegt der Auktionsrekord bei 44,9 Millionen Dollar inklusive Aufgeld. Für diese Summe sicherte sich 2010 das J. Paul Getty Museum „Modern Rome – Campo Vaccino“. Im letzten Jahr ging eine Venedig-Ansicht mit der Kirche Il Redentore für 33,6 Millionen Dollar in neue Hände.

Papierarbeiten werden je nach Motiv und Schaffensphase zwischen 90.000 Pfund und Millionen-Beträgen zugeschlagen. Top-Ergebnis für ein Aquarell bleiben die 5,8 Millionen Pfund inklusive Aufgeld, bei Christie´s 2006 bezahlt für „The Blue Rigi: Lake of Lucerne“. Im letzten Jahr erzielte das etwas kleinere Aquarell „Der Lungernsee bei Mondschein“ im selben Haus 4,6 Millionen Dollar.

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Als der Maler 1851 starb, hinterließ er 20.000 Arbeiten der Royal Academy, davon 300 Gemälde. Sie gehören heute zum Bestand der Tate Gallery. Dass 40 davon derzeit in München zu sehen sind, verdankt die Städtische Galerie ihrer eigenen Sammlung. London will den Expressionismus der Künstlergruppe Blauer Reiter zeigen. Turner war die Gegenwährung.

„Turner. Three Horizons“, Städtisches Galerie Lenbachhaus, bis 10. März 2024, www.lenbachhaus.de. Katalog: „Turner. Ein Lesebuch / Turner. A Reader“, Hg. Karin Althaus, Nicholas Maniu und Matthias Mühling, Edition Lenbachhaus 8, ca. 400 Seiten und 100 Abbildungen, 22 Euro.

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