Insolvenzverfahren: Strafanzeigen gegen die Galerie Thomas
Wiesbaden. Die Pleite der Münchener Galerie Thomas entwickelt sich zunehmend zum Krimi. Nachdem die seit 1964 bestehende Galerie – Raimund Thomas gehörte zu den Mitbegründern der Kunstmesse „Art Cologne“ – im letzten Jahr überraschend nicht auf der „Art Basel“ ausgestellt hatte, folgte wie berichtet im Juli die Insolvenzanmeldung.
Doch scheint sich der zivilrechtliche Vorgang zu einem strafrechtlichen Fall auszuweiten. Die Staatsanwaltschaft München I bestätigt auf Anfrage, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen „die Beschuldigten S.T. und R.T. wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung sowie des Betrugs und der Untreue in einer Vielzahl von Fällen“ führt. Gemeint sind damit wohl Raimund und Silke Thomas.
„Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen liegt der Schaden im unteren zweistelligen Millionenbereich.“ Aus ermittlungstaktischen Gründen könne die Staatsanwaltschaft keine weiteren Angaben zu einzelnen Ermittlungsschritten machen.
Eine Rettung des Unternehmens ist wohl nicht in Sicht. Vater Raimund Thomas war für das Handelsblatt nicht erreichbar, Tochter Silke reagiert auf Anfragen nicht. Mitarbeiter der Galerie geben keine Auskunft. Der vorläufige Insolvenzverwalter Hubert Ampferl von der Nürnberger Kanzlei Beck & Partner erklärt gegenüber dem Handelsblatt: „Da bislang kein Investor für die Übernahme des Geschäftsbetriebes gefunden wurde und derzeit nicht von einer Übernahme auszugehen ist, wird der Geschäftsbetrieb – nach derzeitigem Stand – einzustellen sein. Einen Zeitpunkt hierzu kann ich Ihnen jedoch noch nicht nennen.“
Seit Sommer hatte die Kanzlei in einem als PDF versandten Investment-Teaser nach einem Käufer für das Unternehmen oder Teile des Bestands gesucht. Doch „der eingeleitete Investorenprozess hat gezeigt, dass keiner der über 100 angesprochenen potenziellen Erwerber Interesse an der Übernahme des Galeriebetriebes in der bisherigen Form hat“, sagt Ampferl.
Warenbestand von 45 Millionen Euro
In der Broschüre wird ein Warenbestand mit einem Wert von rund 45 Millionen Euro aufgelistet, über zwei Drittel davon jedoch Kommissionsware, also Kunstwerke, die die Kunsthandlung im Kundenauftrag gegen Provision an Käufer vermitteln soll. Der festgestellte Bestand an fremder Ware könnte jedoch nur die Spitze eines Eisbergs sein.
„Sofern sich Ansprüche direkt gegen Herrn oder Frau Thomas richten, so sind diese nicht Teil des Insolvenzverfahrens“, erklärt Ampferl. „Daher liegen uns auch keine Hinweise zu weiteren Ansprüchen vor. Es ist jedoch bekannt, dass bei der Staatsanwaltschaft München I eine Vielzahl an Strafanzeigen vorliegen.“
Hierbei dürfte es sich vor allem um die Versuche von Einlieferern handeln, entweder die der Galerie übergebenen Kunstwerke zurückzuerlangen oder den Verkaufserlös zu erhalten.
Der Münchener Auktionator Robert Ketterer, über dessen Auktionsblog einige Kunstwerke gegangen sind, die später bei Thomas landeten, erklärt: „Auch wenn seine finanzielle Schieflage und die Folgen kritisch zu betrachten sind, habe ich großen Respekt vor seiner Lebensleistung.“ Geschäftlich habe er keinen Schaden erlitten: „Da ich von Natur aus eher vorsichtig bin, hatte ich mit ihm keine wirtschaftlichen Probleme.“
Der ehemalige Düsseldorfer Kunsthändler Eckart Lingenauber streitet sich mittlerweile seit gut drei Jahren mit der Galerie um die vollständige Bezahlung eines doppelseitig bemalten Gemäldes von Franz Marc. Das Bild hatte er ihr im Jahr 2021 zum Verkauf anvertraut. Die Galerie Thomas hat es im Jahr darauf – mit Verlust – an die Buchheim-Stiftung am Starnberger See verkauft.
Bis heute ist noch die Restsumme von 286.000 Euro offen, sagt Lingenauber. Im Sommer 2024 hatte er deshalb in einem Rundbrief an mögliche Geschädigte angeregt, gemeinsam eine Wirtschaftsdetektei zu beauftragen, nach Schwarzgeldkonten zu fahnden.
Ein in Thailand lebendes deutsches Sammlerpaar hat bisher hingegen noch kein Geld erhalten, obwohl zwei Gemälde von Ernst Wilhelm Nay, die im April 2022 an die Galerie gingen, seit Langem verkauft und bezahlt sind. Das kapitalere von beiden wurde laut Rechnung, die dem Handelsblatt vorliegt, bereits im Juni desselben Jahres für 1,25 Millionen Euro mit Gewinn an einen prominenten spanischen Sammler verkauft.
Die Scham des reumütigen Galeristen
Das zweite Bild wurde erst im April 2024 in die USA verkauft, diesmal mit Verlust. Über seinen Rechtsbeistand in strafrechtlichen Dingen, die Kanzlei Chasklowicz & Collegen in Kaufbeuren, lässt Raimund Thomas sein Bedauern übermitteln. Er schäme sich außerordentlich, das gute Vertrauen der Eheleute missbraucht und sie derart enttäuscht zu haben. Das sei zwar erklär-, aber nicht entschuldbar. Er wolle sich um Wiedergutmachung bemühen, sei dazu aktuell aber nicht in der Lage.
Ein Branchenteilnehmer mit jahrzehntelanger Erfahrung erzählt, er glaube nicht, dass im Kunsthandel viele Betroffene zu finden seien, da die Probleme der Galerie seit Jahren bekannt seien.
Auch Silke Thomas lässt sich anwaltlich vertreten. Die Wiesbadener Kanzlei Traut gibt sich jedoch auf Nachfrage schmallippig und erklärt, „dass während andauernder Verfahren inhaltliche Stellungnahmen nicht abgegeben werden. Ich würde es begrüßen, wenn Sie im Handelsblatt nicht zu anhängigen Verfahren, sondern vielmehr über Kunst berichten würden.“
Raimund Thomas hält sich derweil an unbekanntem Ort auf. Der Insolvenzverwalter gibt an, dass es zwar mehrere Gespräche mit der Tochter gegeben habe, zum Vater jedoch kein Kontakt bestehe. Spekulationen über den Verbleib Raimunds und das gesamte Ausmaß der Pleite dürften noch eine Weile ins Kraut schießen, zumindest bis zu einer möglichen Anklageerhebung.
Doch schon jetzt dürfte klar sein, dass es sich beim Untergang der Galerie Thomas finanziell um den zweitgrößten Unternehmenszusammenbruch in der Kunstbranche der Bundesrepublik handelt. Im Fall des 2017 in Insolvenz gegangenen Online-Auktionshauses wurde jedoch vor allem Risikokapital von Investoren vernichtet, nicht das Vermögen von Sammlern geschädigt.