Nachruf auf den Sammler Harald Falckenberg: Mit Witz gegen die Kulturindustrie
Harald Falckenberg war bereit, hart für die Kunst zu arbeiten: aber „frei, experimentell, im Zweitakt von Leidenschaft und Regulierung“.
Foto: Imago: xeventpress/mpxHamburg. Harald Falckenbergs umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst zählt zu den international wichtigsten Sammlungen. Sie umfasst über 2400 Werke und Werkgruppen institutionskritischer Kunst, die der Hamburger Jurist und Unternehmer in gut 30 Jahren zusammentrug. Am vergangenen Montag ist der renommierte Sammler, kurz nach seinem 80. Geburtstag, gestorben. Das an Kunstsammlern reiche Deutschland ist um eine herausragende Persönlichkeit ärmer.
Der promovierte Jurist war von 1992 bis 2004 ehrenamtlicher Richter am Hamburger Verfassungsgericht und von 1979 bis 2015 Geschäftsführer eines Hamburger Familienunternehmens. Seine Leidenschaft galt dennoch dem Thema des zivilen Ungehorsams, den er in Werkkomplexen von Albert Oehlen, Katharina Sieverding, Nicole Eisenman, Paul McCarthy, Mike Kelly oder auch Martin Kippenberger in seine Sammlung integrierte. Er war Vorsitzender des Kunstvereins in Hamburg, in den Ausstellungshäusern Deichtorhallen Aufsichtsrat und Honorarprofessor an der Hochschule für Künste in Hamburg.
Falckenberg schrieb in seinem 2007 publizierten Buch „Aus dem Maschinenraum der Kunst. Aufzeichnungen eines Sammlers“, „dass Auseinandersetzungen über Ideale und Glauben jederzeit in Machtfragen umschlagen und handgreifliche Formen annehmen können.“ Ein Zustand, der ihm schon seit Schulzeiten unangenehm war. Nicht der Stärkere hat Recht, nur weil er stärker ist.
In der Kunst fand er einen Verbündeten gegen die vielfältigen Formen struktureller Gewalt. Die „Gesellschaft des Spektakels, die global organisierte Ausbeutung von Menschen und eine dem Imperativ reibungslosen Funktionierens unterworfene Kulturindustrie zu attackieren und mit Witz zu unterminieren“ wurde eines seiner mit Hingabe verfolgten Ziele. Das machte ihn und seine Sammlung im Kunstbetrieb schnell unverwechselbar.
Er erkannte, „die maßgeblichen Entscheidungen in Sachen Kunst fallen nicht auf Kommandobrücken, Cocktailpartys oder Golfplätzen“. Immer noch sei es notwendig, die Ärmel hochzukrempeln und sich dorthin zu begeben, wo die eigentliche Arbeit geleistet werde, „frei, experimentell, im Zweitakt von Leidenschaft und Regulierung“.
Das Ausstellungshaus der Dauerleihgabe Sammlung Falckenberg befindet sich in den Phoenix Fabrikhallen in Hamburg-Harburg.
Foto: Pressefoto DeichtorhallenDie Ergebnisse dieser Arbeit von Künstlern, über die er lange und intensiv diskutieren konnte, begann er konsequent zu sammeln. Falckenberg war in Produzentengalerien unterwegs, besuchte mit kritischem Blick Kunstmessen, wurde zum Freund von Künstlerinnen und Künstlern. Er wurde, wie er es nannte, zum „Sammler-Sammler“. Er unterschied sich bewusst vom „Sammlungs-Sammler“, dem es um Prestigeobjekte geht, um „Vermögensanlage, langfristig in Generationen gedacht oder kurzfristig spekulativ eingesetzt“.
Indem er seine Sammlung 2011 zusammen mit seiner 6200 Quadratmeter großen Ausstellungshalle in Hamburg-Harburg der Hansestadt mit einem Leihvertrag überantwortete, entzog er sie seinen Kindern Isa, Johann, Jenny und Robert, zumindest vorläufig. Im vergangenen Jahr konnte Falckenberg den Vertrag bis Ende 2032 verlängern. Seinen Wunsch, die Werke der Stadt zu verkaufen, um sich damit aus der Situation der ewigen Leihgabe zu befreien, gelang ihm nicht mehr.
Aktuell ist eine um Leihgaben aus seiner Sammlung ergänzte umfangreiche Cindy Sherman-Ausstellung zu sehen. Davor war es eine große Schau zum Thema Witz und Humor in der Kunst, die einen Kern seines Sammelns widerspiegelte.
Überall sammelte er, mal Kunst, mal Streitgespräche, mal neue Verbündete für Ausstellungsprojekte. Meinungsfreudig blieb Falckenberg bis zum Schluss, die Kultur des Dagegen-Seins zählte für ihn zur eigentlichen Hochkultur. Dabei unterstützte ihn bereits langjährig Larissa Hilbig. Beide heirateten Anfang 2022.
Harald Falckenberg erzählte ab und zu eine von dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky kolportierte Geschichte. „Wenn ein Hamburger die Wahl hat zwischen dem Paradies und einem Vortrag über das Paradies, wird er den Vortrag wählen“.
Auch wenn Falckenberg selbst ein Teil dieser hanseatischen Gesellschaft der Pfeffersäcke war, über die sich Panofsky so gekonnt mokierte, konnte er ihr kritisch gegenüberstehen. Er hielt es sogar für seine Pflicht, das zu tun. Dieses kunstvolle Gegengewicht wird jetzt nicht nur der hanseatischen Gesellschaft fehlen.