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Nagelkünstler Günther Uecker„Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht!“

Der Künstler Günther Uecker hat den Nagel in die Kunstgeschichte eingeführt und als Künstler Grenzen geöffnet. Für das Handelsblatt öffnete er sein Atelier und sprach er über Gewalt und Aggression, Kunst und Markt.Susanne Schreiber und Gabor Steingart 16.10.2011 - 12:07 Uhr Artikel anhören

Düsseldorf.

Herr Uecker, nervt es, wenn Sie Nagelkünstler genannt werden?

Warum soll ich mich ärgern? Das ist so, als wenn Sie mich zu einem Markennamen erklären.

Sie sind Maler und haben diesen Markennamen angenommen?

Die Leute, die sehen nur die Nägel. Ich mache Werke, die sich bewehren. Sie haben ihre eigene Verteidigungsdominanz, es sind bewehrte Bilder. Dahinter befinden sich auf der Fläche malerische Entwicklungen, die so übermalt sind, dass sie kaum wahrnehmbar sind. Darin sind Chiffren, Metaphern, Empfindungen artikuliert, dann wieder übermalt, am Ende werden die Nägel eingeschlagen.

Was gab den Impuls, Nägel zu verwenden?

Das ist aus dem Zeichnen entstanden. Den Nagel habe ich verwendet wie einen Bleistift, um eine Linie zu ziehen. Ich bin in der DDR aufgewachsen und geprägt vom idealistischen Materialismus. Die Realität zu zeichnen ist eine Lüge. Darstellung ist Theater. Nach der Russischen Revolution hieß es: „Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht!“ Das war für mich eine Herausforderung, meine Faust, den Nagel, einfach ins Papier zu schlagen.

So haben Sie den Nagel in die Kunstgeschichte eingeführt.

Ja, 1957. Jeder Nagel ist eine gezeichnete Linie im plastischen Raum. Die Nägel werfen Schatten. Der verändert sich im Laufe des Tages und beflügelt unsere kosmischen Fantasien.

Woher kam die Aggression, den Nagel sogar mit der Spitze auf den Betrachter zu richten?

Das befriedet die Aggression.

Wessen?

Des Künstlers und des Betrachters. Weil das Kunstwerk die Zärtlichkeit herausfordert. Alle müssen es anfassen. Berührt man es, erfährt man doch, dass es Widersprüche gibt im Menschen, vereint in seiner Poesie. Diese Widersprüche erfährt man bei der Rezeption meiner Werke.

Ihre Kunst hat die Bourgeoisie attackiert. Doch Sie lebten von Sammlern, die Unternehmer waren. Ein Widerspruch?

Bürgerlichkeit mit Büchern und Bildern hatte ich eigentlich bewundert. Aber unkritische Bürgerlichkeit ist gefährlich. Etwa verminderte Zivilcourage und kollektive Verführbarkeit. Ich habe Möbel aus dem Alltag der Leute gesammelt und benagelt, um deren Kultverhalten zu stören. Kunst transformiert.

Günther Uecker vor seinen Kunstwerken

Foto: Andreas Fechner für Handelsblatt

Susanne Schreiber und Gabor Steingart im Gespräch mit Günther Uecker.

Foto: Andreas Fechner für Handelsblatt

Sie machen Installationen, malen Bilder und schreiben Texte auf 3x5- Meter-Leinwände. In welchen Sprachen?

In sehr vielen, unter anderem in Deutsch, Hindi, Laotisch, Arabisch und Hebräisch. Mal sind es die Menschenrechte, mal wie in „Der geschundene Mensch“ diese schrecklichen Verletzungswörter: Knebeln, Bluten, Aufklatschen, Vergasen, Vergessen. Ich habe sie aufgeschrieben in poetischer Folge, jetzt auch auf Arabisch mit grünem Hintergrund.

Gehören Kunst und Kunstmarkt zusammen?

Er dient den Künstlern und vielen anderen Beteiligten zum Lebensunterhalt. Alles, was wir machen, ist ein Produkt, und es ist auch tauschwertig. Wer entscheidet, was Kunst ist? Wenn Sie das Licht ausmachen, ist die Kunst weg, aber wenn Sie sie ans Licht holen, ist die Kunst da. Kunst kommt vor. Kunst ist ein Teil der Vielfalt unserer kulturellen Hervorbringungen.

Sind Sie auch ein Geschäftsmann?

Dass etwas was kostet, ist nicht Thema in der Kunst. Wissen Sie, Lebenszeit kostet. Sie ist sicher ein Äquivalent für einen Tauschwert. Gelebte Zeit ist Erkenntniszeit – auch zur Entwicklung meisterlicher Werke.

Haben Sie gespart?

Ich habe nie gespart, nein, nein, ich habe alles verlebt.

Hatten Sie je ein Salär von einem Galeristen?

Nee, ich hatte auch nie einen Galeristen, mit dem ich einen Vertrag hatte. Ich bin so ein Fossil, das sich selbst durchgekämpft hat. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich kein Stipendium hatte und auf meinem Weg eigentlich nie gefördert worden bin. Ich wollte es selber machen. Deshalb habe ich auch keinen Assistenten, der meine Werke ausführt.

Wie wird dann der Preis eines Kunstwerks ermittelt?

Es gibt Punkte. Diese Punktbewertungen ändern sich nach Auktionen. Daran orientieren sich die Händler. Teurer und gefragter sind ältere Arbeiten.

Wer profitiert von den jüngsten großen Wertsteigerungen?

Sammler und Händler. Ich freue mich, wenn das Risiko jener Sammler, die früh bei mir gekauft haben, durch die Marktentwicklung belohnt wird. Ich gebe kein Werk in eine Auktion.

Günther Uecker im Gespräch

Foto: Andreas Fechner für Handelsblatt

Als die Sammlung von Lenz Schönberg mit frühen Werken von Ihnen versteigert wurde, fühlten Sie sich da verraten?

Am Anfang war ich sehr erschrocken. Wieso kamen damals sehr günstig erworbene Werke auf den Markt? Dann habe ich die Einsicht gewonnen: Das muss vor die Augen der Leute. Gerhard und Anna Lenz haben sehr wichtige Werke zusammengeführt. Doch der Zugang zu einer Privatsammlung ist halt eingeschränkt.

Wie wirken sich die hohen Auktionspreise für Sie aus?

Nicht unbedingt bei meinen neuen Werken. Wenn ich aber eines der älteren Werke verkaufe, dann habe ich den Vorteil der Wertsteigerung von frühen Werken.

Als politischer Künstler haben Sie oft auf die Verletzung des Menschen durch den Menschen aufmerksam gemacht. Reagieren Sie auf die aktuelle Lage in Nordafrika?

Die Nachrichten aus Ägypten und Libyen, beide Länder kenne ich gut, bewirken tiefste Erregung. Bilder und Skulpturen bringen diese Eindrücke erst nach einiger Zeit hervor.

Lassen Sie sich von den aktuellen Nachrichten inspirieren?

Ja, sicher. Gewalttätigkeit ist in mir vorhanden, durch Kinderarbeit ausgebildet und durch Schwerstarbeit auf dem Land. Dieses Wissen, gewalttätig sein zu können und die Gewalt zu befrieden – das ist mein Thema. Das spürt man bestimmt in meinen Werken. Ich bin manisch besessen, etwas ins Bild zu setzen, was ich mir anders nicht erklären kann und was in mir drin ist. Das kann ein Betrachter auch als erschreckend wahrnehmen. Wo die Sprache versagt, beginnt das Bild.

Ist die Kernschmelze unseres Finanzsystems ein Thema für Sie?

Die menschliche Reaktion darauf ist für mich interessant. Aber eine Inflation, eine Geldentwertung, ist positiv zu sehen. Das habe ich 1949 erlebt. Es gab einen neuen Anfang, eine Befreiung von den Finanzverstrickungen.

Sind Banker die Inkarnation des Bösen?

 Ich kann gar nicht so denken.

Kann der Künstler die Menge seiner Werke steuern, wie die EZB die Geldmenge steuert?

Das liegt in der Proportion des Menschlichen. Das Erreichbare ist, so weit meine Hände reichen und wie weit meine Kraft reicht. Das ist proportional zu meiner Vitalität. Ich kann nicht mehr machen, als ich kann.

Wie viel vom Gesamtwerk befindet sich in Ihrer Hand?

Das kann ich nicht sagen. Das will ich nicht wissen. Das verdränge ich auch, aber es ist erfahrbar.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

In diesen Tagen erscheint ein Buch mit 60 meiner „Geschriebenen Bilder“. Diese Text-Bilder setzen 1974 ein mit der „Sprachlosigkeit oder das Schweigen der Schrift“. Ich war tief beeindruckt von den Menschen in Laos und ihrem Schicksal. Sie enden mit aktuellen Großformaten in grüner arabischer Schrift und solchen, auf denen eine palästinensische Fahne im Sande verweht ist.

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Gibt es dazu auch eine Ausstellung?

Ich soll in Teheran im Museum of Contemporary Art ausstellen. Seit zwei Jahren arbeiten wir an der Idee, mit einer Ausstellung meiner geschriebenen Bilder, Irans Öffnung nach außen zu unterstützen. Kunst kann den Menschen nicht retten. Aber mit Hilfe der Kunst ist ein Dialog möglich.

Herr Uecker, vielen Dank für dieses Interview.

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