Zeitgenössische Kunst: Das Geschäft mit Urs Fischer

Urs Fischer: "Ohne Titel", Wachs, ausgestellt im Palazzo Grassi, Venedig.
Venedig. Die Ausstellung des Schweizer Künstlers Urs Fischer im Kunsthaus Palazzo Grassi in Venedig ist weniger eine Retrospektive als ein kaleidoskopischer Querschnitt durch seine skurrile Bildwelt. 30 Werke aus den letzten 20 Jahren sind zu sehen. Dabei gebärdet sich das Enfant terrible der internationalen Kunstszene diesmal erstaunlich zahm.
1973 wurde Fischer in Zürich geboren. Er lebt heute in New York und wird als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler angesehen. Das erklärt, warum ihm die Ehre zuteil wird, den Anfang der neuen Ausstellungsreihe des Multimillionärs und Sammlers François Pinault zu machen. Pinault hat einige seiner Schützlinge eingeladen, sein Kunsthaus am Canale Grande in Einzelausstellungen zu bespielen. Den Ausgangspunkt bilden Werke aus den Sammlungen Pinaults, zu denen sich im Fall von Urs Fischer Leihgaben aus über zehn internationalen Sammlungen gesellen.
Der Kunstbetrieb läuft wie geschmiert
Die Veranstaltungsreihe dient verschiedenen Zwecken: sicher dem Künstler selber, aber auch dem Hausherrn, der sich so seine Spürnase für gute - und teure - Kunst bestätigen lässt. Eine Form der Heiligsprechung zu Lebzeiten, die für alle Beteiligten von großem Vorteil ist: Der Kunstbetrieb läuft wie geschmiert
Mit bis zu siebenstelligen Preisen gehört Fischer zu den best bezahlten zeitgenössischen Künstlern. Frische Fischer-Ware gibt es bezeichnenderweise fast ausschließlich beim Auktionshaus Christie's, das Pinault gehört, dem Hausherrn des Grassi-Palastes. Bei Christie's in New York wurden jüngst 1,3 Millionen Dollar für das überlebensgroße Porträt des Sammlers Peter Brant als Wachskerze erzielt. Im Preis inbegriffen ist das Recht, weitere Kerzen in derselben Gussform bei Fischer zu ordern. Eine knapp 17 Tonnen schwere Metallskulptur aus einem gelben Teddy und einer schwarzen Schreibtischlampe versteigerte Christie's im Mai letzten Jahres für 6,8 Millionen Dollar. 2011 im September kletterte am selben Ort das erst 2010 gemalte Bild "Tomorrow" auf 920.000 Dollar.
Den Vertrieb von Fischers Werken besorgt im Übrigen auch das Verkaufsgenie Larry Gagosian. So lieferte der umsichtige Galerist in seiner Niederlassung in Beverly Hills das Vorspiel für die Palazzo-Schau, die "Beds & Problem Paintings", in denen vor den Konterfeis der Hollywoodstars der 1950er-Jahre allerlei krummes Zeug wie Gurken oder Schrauben baumeln. In seiner Pariser Niederlassung zeigt er derweil die Ausstellung "schmutz schmutz", eine Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Thema Stillleben, in der Fischer unter anderem echte Früchte dem Verfall anheim stellt.
Die Zunge gezeigt
Die Schau, die Urs Fischer gemeinsam mit Pinaults Haus-Kuratorin Caroline Bourgeois ausgerichtet hat, vereint frühere Werke, von denen einige vor Ort eigens für den Palazzo Grassi geschaffen wurden. Fischers Thema ist die Vergänglichkeit, vor allem die Vergänglichkeit der Kunst, der er ihre Beständigkeit abspricht. Früher tat er das auf eklatante Weise, etwa 2009 in seiner großen New Yorker Schau "Marguerite de Ponty", als dem ahnungslosen Besucher aus einem Loch in der Wand eine rosarote Zunge entgegenschnellte. In Venedig gibt er sich zahm, denn die Life-Präsenz einer splitternackten Schönheit sorgt wohl kaum für Aufregung. Die Gemeinschaftsarbeit mit dem Bildhauer Georg Herold wurde bereits in Glasgow gezeigt. In Venedig will Fischer den Besucher in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen. Er führt ihn gleichsam in sein Labor: "Madame Fisscher."

Urs Fischer legt Hand an sein unbetiteltes Werk aus Wachs.
Die Rekonstruktion seines Londoner Ateliers (1999- 2000), die den Besucher im Atrium des Grassi-Palastes empfängt und der Schau den Titel verleiht, wird als Kunstwerk präsentiert. Doch für den Besucher scheint es sich schlichtweg um eine Bretterbude zu handeln. Ein Chaos aus Entwürfen, Materialien und Gebrauchgegenständen. Gleichwohl liefert es Anhaltspunkte für Fischers Kunst- und Selbstverständnis. Nicht das Werk, sondern der Künstler spielt die Hauptrolle. Er beherrscht die Bühne, die Fischer als verformbar, wächsern versteht. Denn das doppelte "s" im Namen Madame Fisscher soll auf Madame Tussaud anspielen, was zugegebenermaßen nicht unbedingt offenkundig ist. Fischer vertraut darauf, dass der Besucher ihn kennt und etwa seinen Biennale-Auftritt im vergangenen Jahr in Venedig verfolgt hat. Dann weiß er nämlich, dass Fischers Kosmos ein schaurig schönes Wachsfigurenkabinett ist, das der Vergänglichkeit nicht entrinnen kann.
Im Gegensatz zu Marie Tussauds Geschöpfen haben Fischers Kreaturen einen Kerzendocht, der durchaus funktionstüchtig ist. Auf der Biennale ließ er seinen Freund und Kollegen Rudolf Stingel als menschliche Kerze niederbrennen. In „Ohne Titel“ im Palazzo Grassi leistet er ihm dabei Gesellschaft. Er hat sich selbst lebensgroß in Wachs modelliert, am Tisch sitzend, vor einer Flasche. Ihm gegenüber hängt Stingel lässig im Drehstuhl. Wenig wird von beiden am Ende der Schau übriggeblieben sein.
Das Werk als Kunst-Stück
Es ist ein Spiel von Sein und Schein, das Fischer da vorführt. Doch verbirgt sich hinter der Leichtfertigkeit des Künstlers, hinter der Leichtigkeit des Scheins die makabre Tragödie der Unerträglichkeit des Seins. Fischer ist ein Jongleur, ein Magier. Er spielt mit einer Welt, die er alles andere als heiter empfindet. Sie ist zusammenhanglos, absurd, schaurig.
Diese zerstückelte Welt setzt der Zauberkünstler Fischer wieder zusammen, nur folgt er dabei nicht den Regeln der Vernunft sondern einer ganz eigenen, assoziativen Logik. So schweben die Öffnungen des menschlichen Körpers in „Untitled (Holes)“ von 2004 wie in einem Mobile von der Decke. In dem 2001 entstandenen Werk „Keep it going is a private thing“ (2001) ist nur das schwanzwedelnde Hinterteil eines Hundes in der Ecke zu sehen.

Es ist eine verkehrte Welt, in der Dinge, die nicht zusammengehören, zueinander finden und die Illusion einer heilen, wenngleich schrägen Welt entsteht. Fischer versteht die Kunst nicht als Werk sondern als Kunst-Stück. Er zerlegt, um eine Welt zu formen, in der die Grenze von Wirklichkeit und Fiktion nicht aufgehoben, sondern unaufhörlich überschritten wird. Ihn interessiert der Prozess von Auflösung und Entstehung.
Urs Fischer „Madame Fisscher“ läuft im Palazzo Grassi Venedig bis 15. Juli. Ein dreisprachiger Katalog erscheint voraussichtlich Ende Mai. “schmutz schmutz” in der Gagosian Gallery, Paris, läuft bis zum 26. Mai und “Skinny Sunrise” in der Kunsthalle Wien bis 28. Mai.





