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MigrationEin Plädoyer für weniger Populismus

Zwei Bücher versuchen, die Zuwanderungsdebatte zu versachlichen – und mit Irrtümern aufzuräumen.Ben Mendelson 25.11.2023 - 10:11 Uhr

Düsseldorf. Das Thema Migration ist ein riesiger Streitpunkt in der aktuellen politischen Debatte. Spätestens seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 und den dadurch nach Deutschland kommenden ukrainischen Flüchtlingen ist das Thema wieder verstärkt auf der Tagesordnung.

Der Schritt zum Populismus ist da nicht weit. Zwei aktuelle Sachbücher versuchen, dies einzuordnen. Denn die faktische Realität zum Thema Migration geht immer mehr unter in der Echokammer aus politischen Reden, Medienberichten und Meinungsumfragen.

Zunehmend überwiegen stattdessen gefühlte Wahrheiten, jenseits von Fakten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese Schlussfolgerung legt Hein de Haas‘ Buch „Migration: 22 populäre Mythen und was wirklich dahintersteckt“ nahe.

Kenntnisreich und unparteiisch erläutert der niederländische Migrationsforscher, wieso die allgemein verbreiteten Narrative zur Migration diversen Denkfehlern unterliegen – und gar empirisch widerlegt sind. Dabei kritisiert de Haas nahezu alle großen Akteure in dem Feld: Politik, Medien, Populisten, NGOs, ja sogar UN-Organisationen attestiert er Verzerrung von Fakten.

Unsinn sei etwa die Rede von einer zunehmenden Massenmigration: In den vergangenen Jahren waren konstant etwa drei Prozent der Weltbevölkerung Migranten (also mindestens ein halbes Jahr außerhalb ihres Geburtslands wohnhaft) – deutlich weniger als vor 100 Jahren.

Der Blick auf Migration im Wandel

Nur 0,1 Prozent seien aktuell Flüchtlinge. Und ein Großteil der Migranten komme keinesfalls nach Europa oder Nordamerika, sondern wandere in Nachbarländer aus. Denn die Süd-Süd-Migration sei viel häufiger, da sich die meisten Menschen aus den ärmsten Ländern den Weg in den Westen gar nicht leisten könnten.

De Haas widerlegt auch, dass sich angeblich die öffentliche Meinung immer stärker gegen Migration wende. Langfristuntersuchungen zeigten: Im Durchschnitt werde Migration etwa in Deutschland, Großbritannien oder den USA heute deutlich positiver gesehen als noch um die Jahrtausendwende. 

Hein de Haas: Migration: 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt
Übersetzung: Jürgen Neubauer
S. Fischer Verlag
Frankfurt 2023
512 Seiten
28 Euro

Nur in wenigen europäischen Ländern sei die Stimmung tatsächlich gekippt: in Italien, Griechenland, Bulgarien und Ungarn. Insgesamt sei die Öffentlichkeit „in Migrationsfragen deutlich vernünftiger als die Politik“, schreibt de Haas.

Der Autor beschäftigt sich auch mit dem Narrativ einer zunehmenden „Klimamigration“. Die medial verbreiteten Prognosen, wie viele Menschen in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des Klimawandels migrieren müssten, bezeichnet er als „Pseudowissenschaft“. Denn das Klima sei kein alleiniger Faktor. Menschen seien anpassungsfähig, der Klimawandel kein plötzlicher Prozess.

Bei Extremwettern wie Überschwemmungen würden Menschen in Nachbarorte fliehen und danach zurückkehren. Und: Jene Menschen, deren Lebensgrundlage mittelfristig durch den Klimawandel bedroht werde, könnten es sich ohnehin nicht leisten, bis nach Europa zu migrieren. Eher würden Menschen aus wohlhabenderen Regionen dorthin auswandern.

Die Klima-Migration wird unsere Welt verändern

Im Gegensatz dazu baut die britische Wissenschaftsjournalistin Gaia Vince ihr Buch „Das nomadische Jahrhundert: Wie die Klima-Migration unsere Welt verändern wird“ auf ebensolchen Studien und Prognosen auf.

Laut der UN-Bildungsorganisation Unesco würden beispielsweise schon bei einem Anstieg von 1,5 Grad Celsius der globalen Durchschnittstemperatur mehr als eine Milliarde Kinder „einem extrem hohen Risiko“ ausgesetzt. Mit vielen weiteren Quellen führt Vince an, welche Folgen der Klimawandel vor allem für die Bevölkerungen des globalen Südens haben könnte, mit der Migration in andere Weltregionen als Folge.

Gaia Vince: Das nomadische Jahrhundert: Wie die Klima-Migration unsere Welt verändern wird
Übersetzung: Helmut Dierlamm
Piper Verlag
München 2023
352 Seiten
24 Euro

Und sie beschreibt, was das für die Menschen im Westen und die globalen Lieferketten bedeuten könnte, wie sich etwa die Ernährung durch Migration und Klimawandel zwangsläufig weiter verändern wird.

Wie de Haas blickt die Journalistin dabei nicht ablehnend auf die Migration, sie skizziert im Gegenteil eine positive Perspektive für ein Zusammenleben in mehr und mehr von Migration geprägten Großstädten sowie rechtliche Rahmenbedingungen für eine legale und sichere Migration.

De Haas ist diese Verbindungen von Migration und Klimawandel mit ihren vermeintlichen Folgen zu viel Schwarzmalerei – vermutlich liegt die Wahrheit aber irgendwo in der Mitte.

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Denn dass der Forscher die Anpassungsfähigkeit der menschlichen Spezies preist, wirkt angesichts der größten menschengemachten Klimaveränderung zu optimistisch. Noch dazu, weil die globalen Klimaschutzmaßnahmen, sofern diese ihren Namen überhaupt verdienen, aktuell noch keine Eindämmung des Temperaturanstiegs erwarten lassen.

Einig sind sich de Haas und Vince indes, dass Abschottung gegen Migration der falsche Weg ist – einerseits aus menschenrechtlichen Gründen, andererseits, weil höhere Grenzzäune und illegale Pushbacks von Frontex auf dem Mittelmeer den Fluchtdruck aus ärmeren Ländern nicht verringern.

Mehr: Fast 1,5 Millionen Zuwanderer – nur wenige für den Arbeitsmarkt

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