Corona-Pandemie Zwischen Homeoffice und Homeschooling: Was sich Führungskräfte mit Kindern jetzt wünschen

Trivago-Chef Axel Hefer (r.) mit Sohn Victor beim Fernsehinterview mit dem US-Sender CNN.
Düsseldorf Ein Jahr lang wurschteln sich berufstätige Eltern schon als Aushilfslehrer, Ersatz-Erzieherinnen und Familien-Krisenräte in der Pandemie durch – und das neben ihren eigentlichen Jobs. In keinem Land denken mehr Eltern über einen Jobwechsel nach als in Deutschland, zeigt eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group. Zu hoch ist der Stress bei den meisten, zu viele Bälle müssen Beschäftigte mit Kindern in der Pandemie gleichzeitig in der Luft halten.
Doch wie organisieren sich eigentlich Führungskräfte in dieser Situation? Was sind ihre Wünsche? Berichte aus dem Alltag von Corona-Eltern, die viel Verantwortung tragen.
Axel Hefer, Trivago: „Homeschooling kann sich nur jemand ausgedacht haben, der selbst keine Schulkinder hat“
Axel Hefer ist in der Pandemie zu so etwas wie einem Maskottchen für Corona-Eltern geworden, nachdem sein Sohn Victor bei einer Live-Schalte mit dem US-Sender CNN unerwartet ins Gespräch platzte. Der Trivago-Chef reagierte in der Stresssituation sympathisch und führte das Fernsehinterview souverän mit Kind auf dem Schoß weiter. Das Video sehen Sie hier:
Davon ab ist Trivago durch die Coronakrise schwer getroffen: 2020 lag der Umsatz der Hotelsuchmaschine nur noch bei 249 Millionen Euro – ein Einbruch von 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr, das Unternehmen musste massiv Stellen abbauen. Hier beschreibt der vierfache Vater und Chef eines börsennotierten Reiseunternehmens, wie er den Corona-Alltag managt:
„Seit Mitte März sind wir bei Trivago praktisch im Homeoffice – mit ein paar Wochen Unterbrechung im Sommer und Frühherbst. Ich selbst bin nur im Büro, wenn Aufsichtsratssitzungen anstehen oder ich eine Ansprache halte. Meine Frau muss in ihrem Job jedoch fast jeden Tag präsent sein. Für unsere Situation zu Hause heißt das: Seitdem die Schulen geschlossen sind, bin ich praktisch so gut wie jeden Tag mit vier Kindern im Homeoffice.
Ein CEO mit vier Kindern im Homeoffice? Für Außenstehende mag das unvorstellbar klingen. Die Wahrheit ist aber: Die Größeren helfen viel, unterstützen beim Kochen, der Hausarbeit und der Betreuung des Jüngsten. Ich habe das Gefühl, dass meine Kinder in dieser schwierigen Lage noch einmal mehr zueinanderhalten als ohnehin schon – was wirklich toll ist.

Mit vier Kindern im Homeoffice.
Dennoch bin ich als Elternteil nach einem Jahr Corona ernüchtert: Das Homeschooling – gerade für die Kleinen – können sich eigentlich nur Menschen ausgedacht haben, die selbst keine Kinder in diesem Alter haben. Kein Siebenjähriger konzentriert sich 45 Minuten, wenn man nicht permanent danebensitzt. Mit den meisten Jobs – und nicht nur mit meinem – ist das nur schwer zu vereinbaren.
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann dass die Grundschulen und Kitas wieder überall komplett und regulär geöffnet haben. Keine Notbetreuung, keine Kompromisse. Es ist wichtig, dass Kinder unter Kindern sind. Mit zunehmenden Impfungen der Risikogruppen sollte sich der Fokus verlagern – auf die mentale Gesundheit und die Entwicklung unserer Kinder. Das dürfte viel Stress von den Familien nehmen.“
Christina Sontheim-Leven, ehemals Spiekermann: „Für Eltern hat sich in einem Jahr Corona verhältnismäßig wenig geändert“
Die letzten zwölf Monate „waren ein wildes Jahr“ für Christina Sontheim-Leven, wie die Managerin sagt. Die ehemalige Geschäftsführerin des Ingenieurbüros Spiekermann hat das Unternehmen durch eine substanzielle Krise geführt.
Mit allem, was dazugehört: Insolvenz in Eigenverwaltung, Distressed-M&A, anschließend Verkauf an einen neuen Eigentümer. „Normalerweise reicht schon eines dieser Ereignisse, bei mir kam 2020 alles zusammen“, sagt Sontheim-Leven.
Seit Februar hat die Managerin die Geschäftsführung beim Ingenieurbüro Spiekermann offiziell abgegeben. Das entspannt die Lage zu Hause mit zwei Kindern – zwei und acht Jahre alt – derzeit. Aber es gab auch andere Zeiten, wie Sontheim-Leven erzählt:

Führungsversagen in der Corona-Politik.
„Ein krasser Tag – das war bei uns in den letzten zwölf Monaten, wenn der Kindergarten morgens anruft und sagt, dass meine kleine Tochter für diese Woche nicht in die Gruppe kommen kann. Mein Mann und ich haben dann unsere Terminkalender durchgekämmt und geprüft, wer wo welche Telkos verschieben kann.
Wenn dann noch genau in dieser Woche die Schule beschließt, die Winterferien früher beginnen zu lassen, haben wir auch noch unseren Achtjährigen zu Hause, der normalerweise ja auch noch nebenbei Schulaufgaben mit Anleitung erledigen muss. Hat dann auch die Babysitterin keine Zeit auszuhelfen, beginnt der Spagat erst richtig wehzutun.
Was mich ärgert: Für Eltern hat sich in diesem einen Jahr Corona verhältnismäßig wenig geändert. Homeschooling, Kitas, Kinderbetreuung: Wir wurschteln uns weiter wie bisher durch.
Für uns Eltern ist kein Lerneffekt erkennbar. Es werden keine oder zu wenige Maßnahmen getroffen, damit faktenbasierte Entscheidungen besser getroffen werden können. Wäre das Corona-Management der Bundesregierung eine Unternehmensstrategie, man hätte der Führungsmannschaft längst Managementversagen attestiert.
Im April - noch zum ersten Lockdown - habe ich deshalb eine Petition gestartet. Ich hatte das Gefühl, dass ich irgendetwas in dieser Situation tun muss.
Heute wünsche ich mir von der Politik vor allem, dass sie mehr Energie auf Prävention als auf Isolation verwendet. Ein Schritt dahin könnte zum Beispiel sein, endlich überall Lehrer und Erzieherinnen zu impfen und Luftfilteranlagen in allen Klassenzimmern aufzustellen.
Hilfreich wäre auch, dass die Länder sich beim Homeschooling zu Best-Practice-Anwendungen austauschen und daraus eine einheitliche Lernplattform schaffen, die alle nutzen.
Auch das Modell des Kinderkrankengelds sollte die Politik der Realität anpassen, sodass die Kindkranktage auch stundenweise genommen werden können – ganz so, wie es Eltern brauchen.“
Katharina Peterwerth, Volkswagen: „In mancher Hinsicht ist der Koordinationsaufwand für uns geringer als vor Corona“
Als Chefin der Organisationsentwicklung ist Katharina Peterwerth verantwortlich für 70 Mitarbeiter und berichtet direkt an Konzernchef Herbert Diess. Ihr Team ist das Bindeglied zwischen Strategie, Finanzen und Personal. Auch ihr Mann arbeitet bei VW als Produktmanager in der Elektro-Baureihe ID, aktuell auf 80-Prozent-Basis. So blickt sie auf ein Jahr Corona mit drei Kindern im Alter von zehn, sieben und drei Jahren zurück:

Flexibilität und positives Denken.
„Mein Mann und ich sind beide in anspruchsvollen Positionen tätig und geben jeden Tag alles. Daher mussten wir uns schon immer gut in der Kinderbetreuung organisieren, zumal wir keine Eltern oder Großeltern in der Nähe haben. Von diesen Erfahrungen profitieren wir definitiv in der Pandemie.
In mancher Hinsicht ist der Koordinationsaufwand für uns aktuell sogar geringer als in Nicht-Corona-Zeiten, insbesondere dadurch, dass viele Aktivitäten der Kinder wegfallen. Die Belastung durch geschlossene Kindergärten und Schulen ist trotzdem enorm: zeitlich und psychisch.
Was uns hilft: Wir haben bei Volkswagen in vielen Bereichen flexible Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle. Mein Mann ging im ersten Lockdown in Elternzeit und arbeitet heute 80 Prozent. Ohne seine Unterstützung und die eines super Teams könnte ich meinen Job nicht ausfüllen. Auch für mich als Leiterin der Organisationsentwicklung ist es so an einzelnen Nachmittagen möglich, mal ein bis zwei Stunden für die Kinder freizunehmen und dafür bestimmte Aufgaben in die Abendstunden zu legen.
Klar ist und bleibt: Diese Zeit ist anstrengend. Die Kinder und wir alle vermissen persönliche Kontakte und Aktivitäten. Es fehlen uns externe Impulse, insbesondere aus Kunst und Kultur. Aber, ich sehe es trotzdem positiv: Ich bin viel mehr zu Hause als früher, reise weniger und bin zur Freude meiner Familie fast jeden Tag beim Abendessen dabei. Das war früher deutlich seltener möglich.“
Maike Albers-Malkus, IKB: „Und wer kümmert sich um mich, Mama?“
Maike Albers-Malkus ist als Direktorin bei der Mittelstandsbank IKB für die Bereiche Unternehmensentwicklung und Kommunikation verantwortlich. Eine echte Schnittstellenposition.
Mit ihrem Mann, der ebenfalls in einer Managementposition arbeitet, geht sie regelmäßig die nächsten zwei Kalenderwochen durch und schaut, „wer wo welche Termine hat und was sonst noch zu Hause ansteht“. Zusätzlich unterstützt eine Nanny, die, wenn Präsenzunterricht ist, Albers-Malkus’ sechsjährige Tochter an drei Tagen pro Woche aus der Schule abholt.

Klare Regeln fürs Selbstmanagement.
„Vor allem an den ersten Lockdown erinnere ich mich noch sehr gut – auch wenn es nicht die schönsten Erinnerungen sind: Es gab Tage, da habe ich mit Kopfhörern gekocht, einem Meeting gelauscht, und meine Tochter stand neben mir und fragte traurig: Und wer kümmert sich um mich?
Ja, mein Mann und ich sind beide beruflich stark eingespannt, aber wir sind auch mit Leib und Seele Eltern. Das ist derzeit alles nicht leicht in Einklang zu bringen: Wir haben kein Familiennetzwerk in der Nähe, das uns unkompliziert unterstützten könnte. Umso mehr sind wir auf uns gegenseitig angewiesen.
Bei all dem Zeitmanagement für die Familie habe ich in der Pandemie erkannt, wie wichtig es ist, auf die eigene Gesundheit zu achten. Ich bin ein sehr belastbarer Mensch, doch zwischenzeitlich bin auch ich in den letzten zwölf Monaten an das Maximum meiner Belastungsgrenze gekommen.
Deshalb habe ich ein paar Regeln für meinen Tagesablauf eingeführt: Der beginnt mit einem vernünftigen Frühstück – und nicht bloß einem schnellen Toast zwischendurch. Mittags blocke ich mir auch zu Hause mindestens eine Stunde Mittagspause – und verbinde das im Idealfall mit einem Spaziergang oder einer Sporteinheit. Am späteren Abend klappe ich dann wirklich nur noch in absoluten Ausnahmefällen den Laptop auf. Dieses verantwortungsvolle Agieren und Abwägen zwischen Beruf und Privatleben wird von meinem Arbeitgeber proaktiv unterstützt.
Klingt trivial, ist in dieser Konsequenz aber enorm wichtig, damit ich einerseits meiner Rolle als Mutter, aber auch als Führungskraft von zahlreichen Mitarbeitern jeden Tag gerecht werde.“
Nico Rose, Wirtschaftspsychologe und Sachbuchautor: „Heute hast du wieder nichts gebacken gekriegt? – So ein Quatsch!“
Es gibt diverse Studien, die zeigen, dass die Coronakrise dazu führt, dass Frauen wieder mehr in die klassische Rolle der Haushälterin gezwängt werden. „Bei uns verläuft es genau umgekehrt“, sagt Nico Rose, Wirtschaftspsychologe an der International School of Management in Dortmund und Vater von zwei Kindern.
Seine Frau hat im Herbst in dritter Generation die Geschäftsführung des Familienbetriebs übernommen. Ein lokaler Großhandel, der Schulen, Kindergärten und mittelständische Unternehmen mit Reinigungsmitteln versorgt. Das Geschäft ist im vergangenen Jahr quasi explodiert. „Das ist betriebswirtschaftlich ein Glücksfall, aber sie arbeitet eben nicht weniger, sondern pro Woche zehn bis fünfzehn Stunden mehr als noch vor Corona.“

Manchmal nur 70 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit.
„Dazu kommt, dass wir seit 2016 ein Au-Pair-Mädchen hatten, die designierte Nachfolgerin aber nicht einreisen durfte. Meine Eltern sind Mitte 70, auch sie fallen als Risikogruppe aus der Betreuung heraus. Meine Schwiegereltern kümmern sich ab und zu, sind aber in das Unternehmen eingebunden. Manchmal, wenn es gar nicht anders geht, geht der Sohn mit in die Firma, er kann sich mittlerweile ganz gut selbst beschäftigen, verbringt gerne Zeit mit der Lern-App Anton. Die Kleine ist dafür aber noch zu jung.
Als Professor und Freiberufler kann ich in den meisten Situationen einfach am flexibelsten reagieren – abseits der Vorlesungen bin ich selbstgesteuert. Das bedeutet aber auch: Die meisten zusätzlichen Aufgaben in der Kinderbetreuung und im Haushalt hängen derzeit an mir. Ich finde das auch absolut okay. In meiner vorigen Rolle war ich acht Jahre Manager in einem internationalen Konzern. Damals hat meine Frau den Großteil der häuslichen Last getragen, jetzt schwingt das Pendel gerade dezidiert in die andere Richtung.
Das macht es dennoch nicht leichter in der aktuellen Lage. Fakt ist: dass meine Produktivität in den meisten Wochen derzeit auf höchstens 70 Prozent eines normalen Jahres liegt. Oft ertappe ich mich aktuell dabei, wie ich abends denke: ,Heute hast du wieder nichts gebacken gekriegt.‘
Aber das bezieht sich auf ein enges Konzept von Arbeit. In Wirklichkeit war ich natürlich fast durchgängig produktiv, nur eben deutlich mehr rund um Haus und Kinder. Das sollten sich alle Eltern verdeutlichen, die sich gerade ähnlich fühlen.“
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