Gastkommentar Allianz-Chefvolkswirt Subran: Die EU schlägt ein neues Kapitel in der Klimapolitik auf

Der Autor ist Chefvolkswirt der Allianz.
Der „Wiederaufbau“ nach der Coronakrise gilt allgemein als große Chance, die grüne Transformation der Wirtschaft zu beschleunigen. Passiert ist bisher allerdings nicht viel. Von den bisherigen Hilfsmaßnahmen jenseits der Zehn-Billionen-Euro-Marke ist nur ein Bruchteil von weniger als fünf Prozent für grüne Infrastruktur vorgesehen. Ambitioniertere Aufbauprogramme bestehen bisher nur auf dem Papier oder hängen – wie der europäische Wiederaufbaufonds – im politischen Betrieb fest.
Eine in der Öffentlichkeit bisher kaum beachtete Initiative der EU könnte dies jedoch ändern und ein neues Kapitel in der globalen Klimapolitik aufschlagen. Bereits im nächsten Jahr will die EU einen Gesetzentwurf für ein CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM – Carbon Border Adjustment Mechanism) vorlegen; die Einführung soll in gut zwei Jahren erfolgen.
Hinter dem Kürzel CBAM verbirgt sich dabei eine ebenso simple wie weitreichende Idee: Für Importe aus „braunen“ Ländern, das sind Länder ohne CO2-Steuer oder -Zertifikatehandel, wird eine Abgabe fällig, die die Differenz zur inländischen CO2-Belastung ausgleicht. Exporte in solche Länder können analog subventioniert werden, indem sie, wie derzeit diskutiert, von CO2-Abgaben befreit werden. Das Ergebnis sind gleiche Wettbewerbsbedingungen.
Die Konsequenzen sind in zweifacher Hinsicht enorm. Zum einen für die Bepreisung der Emissionen im Inland. Bisher wird der Gefahr der Abwanderung emissionsreicher Produktion in „braune“ Länder durch die Vergabe kostenloser Emissionsrechte begegnet. Tatsächlich hat mehr als ein Drittel der Zertifikate keinen Preis. Dies ist weder fürs Klima noch für den Finanzminister zielführend. Unter gleichen Wettbewerbsbedingungen ließen sich dagegen alle CO2-Emissionen bepreisen – ein Grund, warum viele Industrien nicht gerade begeistert über die Aussicht auf ein Grenzausgleichssystem sind.
Zum anderen, und noch entscheidender, ändert ein solcher Ausgleich die Dynamik der weltweiten Klimapolitik. Obwohl weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass ein globaler Preis für CO2 das ideale Instrument einer wirksamen Klimapolitik ist, blieb die Einführung beispielsweise einer globalen CO2-Steuer bisher reine Utopie. Mit einem CBAM fällt nun aber ein entscheidender Anreiz weg, striktere Umweltauflagen von Handelspartnern wie der EU zu unterlaufen: Der eigenen Industrie entstehen dadurch keine Wettbewerbsvorteile mehr.
Die Gretchenfrage lautet daher: Wie werden die Handelspartner auf den EU-Vorstoß reagieren? Immerhin ist die EU nach wie vor der größte Markt weltweit – weshalb sie in regulatorischen Fragen auch global über Gewicht verfügt. Dies hat zuletzt der weltweite Siegeszug der europäischen Regeln zum Datenschutz gezeigt. Die EU ist zumindest regulatorisch eine Supermacht.
Drohen Vergeltungszölle?
Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass viele Handelspartner auf einen europäischen CBAM vernünftig und im eigenen Interesse reagieren: mit der Einführung eigener, EU-kompatibler CO2-Bepreisungsinstrumente. Denn damit wäre sichergestellt, dass die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung nicht der EU zufließen, sondern der eigenen Staatskasse. Vielleicht nicht unbedingt erfreulich für die EU – die mit dem CO2-Grenzausgleich auch das unausgesprochene Nebenziel verfolgt, neue Einnahmen auf EU-Ebene zu kreieren –, aber für den Klimaschutz ohne Frage die beste Lösung. Die EU-Klimapolitik würde so zur globalen Benchmark avancieren.
Letztlich entscheidend wird aber sein, wie die USA – neben Russland und vor China potenziell am stärksten betroffen von einem EU-Grenzausgleichssystem – reagieren werden. Die Gefahr, dass die EU-Initiative nicht als Versuch begriffen wird, in der globalen Klimapolitik voranzukommen, sondern als unfreundlicher handelspolitischer Akt, ist leider nicht von der Hand zu weisen. In diesem Fall wären Vergeltungszölle die wahrscheinliche Antwort.
Die Abwärtsspirale der De-Globalisierung – bereits gefährlich angeheizt durch den US-chinesischen Handelskonflikt und verstärkt durch die Coronakrise – würde sich nur noch schneller drehen. Effektive internationale Zusammenarbeit – nicht nur in Klimafragen – dürfte dann kaum leichter werden.
Die Einführung eines europäischen Grenzausgleichssystems ist insofern ein riskantes Spiel. Es könnte gerade in der aufgeheizten politischen Gemengelage post Covid-19 Abwehrreaktionen auslösen, die mehr Schaden als Nutzen stiften. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Partner der EU den wahren, wenn auch paradoxen Zweck dahinter erkennen: CBAM wird eingeführt, um sich selbst überflüssig zu machen.
Das eigentliche Ziel bleibt weiterhin eine globale CO2-Steuer. Mit dem Grenzausgleichssystem macht die EU – diesseits von Sonntagsreden und endlosen Verhandlungsrunden – die Probe aufs Exempel, ob die Welt dafür bereit ist. Für diesen Mut hat sie Respekt verdient.
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